Neue Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mirjam Wenzel wird ab 1. Januar 2016 neue Direktorin des Jüdischen Museums. Das hatte der Magistrat der Stadt Frankfurt bei seiner Sitzung am 11. September beschlossen, weshalb Kulturdezernent Felix Semmelroth vorsorglich für den gleichen Freitagnachmittag eine Pressekonferenz einberufen hatte.

 

Die neue, in Frankfurt geborene Direktorin, die – das ist wichtig und wurde ausdrücklich betont – nicht in Personalunion das an der Uni beheimatete Fritz Bauer Institut übernehmen wird, ist Nachfolgerin von Raphael Gross, der erstmals beide Institutionen leitete, was nicht immer glücklich schien, geht es doch um unterschiedliche Aufgaben, in der eine Vermengung Probleme bereiten kann, wie die Ausstellung zu Fritz Bauer im Jüdischen Museum ab Mai 2014 zeigte. Für die Leitung des Fritz Bauer Institutes ist eine eigene Professur geschaffen worden, die nach dem Ausschreibungsverfahren besetzt wird.

 

Derzeit leitet die 43-jährige Literaturwissenschaftlerin Wenzel die Medienabteilung am Jüdischen Museum Berlin, wo sie, wie sie betonte, die Digitalisierung des Museums als Internetauftritt erstellt hat. Außerdem ist sie verantwortlich für die Publikationen des Hauses sowie interaktive Medieninstallationen. In der Frage der zukünftigen Digitalisierung des Jüdischen Museums Frankfurt sieht sie eine vordringliche Aufgabe, weil sie die Erfahrung hat, daß die Museen, die ansprechende Internetauftritte haben, nicht weniger, sondern umgekehrt mehr Besucher haben. Vorkenntnisse nehmen die Scheu vor einem Besuch in eine weithin unbekannte Welt und sie machen neugierig, das alles sinnlich wahrnehmen zu können.

 

Mirjam Wenzel hatte 2008 ihre literaturwissenschaftliche Dissertation mit dem Titel „Im Gericht mit sich und den anderen. Von der Schuldfrage zum Dokumentartheater der sechziger Jahre“ erstellt, ein interessanter Ansatz, weil sie nicht nur die Literatur, sondern die Künste generell in der Museumsarbeit ebenso angesiedelt sieht. Dezidiert führte sie aus, daß sie den zeithistorischen Ausstellungsschwerpunkt,des bisherigen Direktors nicht fortsetzen werde, sondern „ein Zentrum für jüdische Kultur und Geschichte von der Antike bis heute schaffen“ wolle. „Das bisherige Museumsprogramm soll dabei um Ausstellungen mit kulturgeschichtlichen und religionsphilosophischen Fragestellungen und Perspektiven erweitert werden.“

 

Dabei ist ihr in der Umsetzung der interkulturelle Ansatz wichtig, was bedeutet, daß sie die jüdische Kultur und die jüdische Religion in Beziehung setzt zum Christentum und/oder dem Islam, was für eine derart internationale Stadt wie Frankfurt auch geboten ist. Liest man in ihrer Vita, daß sie auch Stipendiatin des Leo Baeck-Fellowships der Deutschen Studienstiftung zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums in Europa war, kann man sich davon viel erwarten, denn was auch Not tut, ist die Differenziertheit im Judentum zur Kenntnis zu nehmen und als Faktum anzuerkennen, was nicht nur Fragen der Assimilation betrifft, aber eben auch.

 

Neben ihrer wissenschaftlichen Qualifikation und ihrer Führungserfahrung bringt Mirjam Wenzel Ausstellungs- und Kuratorenerfahrung mit. So hat sie als Kuratorin der zeitgenössischen israelischen Kunst in der Bundesrepublik ein Forum geboten, was einen daran denken läßt, wie stark in den 90er Jahren auch in Frankfurt aktuelle israelische Kunst einmal eine Rolle spielte. Denn mit den jungen Künstlern wurden nach dem Besuch der Ausstellung intensiv diskutiert, was deshalb wichtig war, weil damals noch eine offene und bereichernde Diskussion auch um politische Fragen möglich war, wie sich das Leben in Israel zunehmend als Apartheid erweist. Grundsätzlich sieht Mirjam Wenzel das Museum auch als Ort aktueller gesellschaftspolitischer Diskussionen, wie sie etwa bei der öffentlichen Beschneidungsdebatte vor kurzem auftraten, worauf Museen auch durch Diskussionen und Ausstellungen reagieren müssen. Sie will ein Aufklärungszentrum leiten und die Besucher in Diskussionen verwickeln

 

Das Problem der neuen Direktorin ist ab 1.1. 2016 erst einmal, daß sie kein Museum, sondern nur zwei Baustellen leiten kann, was sie nicht machen wird, zumal auch die Baupläne abgesegnet sind, von denen sie sagt, daß sie diese sehr durchdacht und museumstauglich findet. Die beiden, eigentlich sogar drei Baustellen sind der Stadt Frankfurt rund 50 Millionen wert. Es geht einmal um das Museum Judengasse, das Zugeständnis der Stadt Frankfurt als man am Börneplatz, dem Ort der großen Synagoge (Bild von Max Beckmann!), die zerstört wurde, ein Gaswerk baute und bei den Bauarbeiten Reste der alten Judengasse entdeckte, die man freilegte und darüber das neue Museum Judengasse errichtete. Mirjam Wenzel will es stärker als bisher als Teil des Jüdischen Museums werten, in dem künftig keine Wechselausstellungen mehr stattfinden werden, sondern jüdisches Leben bis 1800 Thema ist. Es ist also das Museum des alten jüdischen Ghettos Judenfasse, das in der Frühen Neuzeit die größte jüdische Gemeinde Deutschlands besaß. Das Haus soll im Frühjahr 2016 wiedereröffnet werden.

 

Dann sind im Rothschildpalais die Arbeiten erst in vollem Gange, weil das Haus, das bisher für Wechselausstellungen nur sehr schwierig zu bespielende langgezogene Räume hatte, völlig umgekrempelt wird, zudem hinter dem Museum Richtung Oper einen Anbau erhält. Im Jüdischen Museum werden dann drei Bereiche als feste Ausstellungsgrößen mit den von heute 250 Quadratmetern auf 600 gesteigerten Ausstellungsflächen für Wechselausstellungen gekoppelt. Letzteres verspricht großzügige Ausstellungsmöglichkeiten.

 

Die zukünftige Dauerausstellung nimmt sogar 1 500 Quadratmetern ein. Die drei Bereiche umfassen bedeutende jüdische Familien Frankfurts „wie etwa die Rothschilds und Franks“, Leben und Geschichte der Frankfurter Juden ab 1800 bis heute und auch eine kunstgeschichtlich und religionsgeschichtlich fundierte Ausstellung der Kunst- und Judaicasammlung. Das klingt gut, aber der Teufel steckt im Detail. Denn allein die Bezeichnung 'bedeutende jüdische Familien' im Kontext der Familien Rothschild und Frank führt in die Irre. Nur die Familie Rothschild war eine bedeutende Frankfurter jüdische Familie. Die Familie Frank war eine der vielen Frankfurter jüdischen Familien, die ihre Bedeutung erst durch das Tagebuch der Anne Frank erwarb. Im Nachhinein sozusagen. Diese in der ganzen Welt gelesenen und tief berührenden Tagebücher bringen nun für Besucher ein ganz anderes Interesse dieser Familie Frank mit sich, was man nutzen muß und was für jeden Ausstellungsmacher eine herrliche Motivation ist. Lassen wir uns überraschen.

 

Kulturdezernent Felix Semmelroth war sichtlich zufrieden, daß sich sein Besetzungsvorschlag als lebhafte Frau und eine, die sich einmischt präsentierte, die er so angekündigt hatte: „Dr. Mirjam Wenzel ist eine hoch qualifizierte Wissenschaftlerin mit großer kuratorischer Erfahrung. Ihre innovativen Ideen für eine besucherorientierte Vermittlungsarbeit sind sehr überzeugend, vor allem hinsichtlich der neuen Aufgaben des Jüdischen Museums. Die Arbeit mit sozialen Medien ist sowohl für das pädagogische Konzept zur Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle als auch für die Vermittlungsarbeit der Sammlung der Familie Frank von höchster Bedeutung“. Er führte weiter aus: „Der Erweiterungsbau wird internationale Kooperationen in erheblich größerem Ausmaß als bisher zulassen, so dass die präzisen Ideen von Mirjam Wenzel zu einem erweiterten Ausstellungsprogramm zur jüdischen Geschichte und Kultur über den lokalgeschichtlichen Bezug hinaus einen neuen Blick auf den gesellschaftlichen Wandel und Themen wie Migration und Diversität ermöglichen können.“