Strategien der Aneignung“ als Ausstellung im Städel in Frankfurt am Main
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist eine alte Geschichte. Kaum war im 19. Jahrhundert die Fotografie geboren, schon begann die Malerei der Zeit unter Druck zu geraten, sie trieb die Malerei vor sich her. Diese mußte ihre Kunstfertigkeit zeigen, die Wirklichkeit darzustellen, im Realismus genauso wie erst recht im Naturalismus, denn sie konnte anders als die Fotografie auch das Fleisch unter der Haut malen, tief ins Innere des Menschen hineinreichen. Die Fotografie dagegen konkurrierte anschließend mit der Malerei intimstem Verfahren, die Welt verschwommen als visuellen Eindruck von Farbe und Form wie in einem Traum wiederzugeben und bannte sie auf ihre Platten, ihre Negative, ihre Papierabzüge. In dieser Ausstellung geht es aber nur um die Wechselbeziehung beider Medien in den letzten 60 Jahren.
Aber auch das ist eine Menge. Dazu trägt Kurator Martin Engler, im Städel Sammlungsleiter der Kunst der Gegenwart und derjenige, der den neuen unterirdischen hellen 'himmlischen' Saal mit der Malerei der Zeit bestückt hat, ein Vorhaben und eine Interpretation vor. Zum einen geht es darum, das Medium Fotografie noch stärker in die Sammlung des Städel zu integrieren, die ja in der Hauptsache aus Gemälden besteht. Zum anderen befänden wir uns in der Phase, wo beide Medien konvergieren, sich also aufeinander zu bewegen, sich nicht nur annähern, sondern sogar kreuzen und vermischen, also eine neuartige Situation nach Konkurrenz und gegenseitiger Ausgrenzung.
Wir müssen uns hier selbst am Riemen reißen, denn die Geschichte der wechselvollen Geschichte der Malerei – auch ein Stichwort: Fotorealismus – und der Fotografie ist gar zu interessant. Aber hier wollen die Ausstellungsexponate zu ihrem Recht kommen, an denen also die Aussagen“Malerei in Fotografie.Strategien der Aneignung“ der für die Hängung Verantwortlichen zu überprüfen ist. Die rund 100 Fotografien sind in sechs Räumen thematisch angeordnet. Gleich beim Hereinkommen in den Saal der Graphischen Sammlung im Erdgeschoß begrüßt einen die eigene Situation im Museum: Besucher bei dem Betrachter von Bildern in einem Museum. Diese berühmte Fotografie von Thomas Struth LOUVRE 3. PARIS 1989 ist nun auch schon über 20 Jahre alt, ist der erste Gedanke. Der zweite, wie angenehm im Louvre, wo man im Sitzen die großformatigen Werke in sich aufnehmen kann. Die Erschöpfung ist den Betrachtern nämlich deutlich anzumerken. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, hat Karl Valentin für den Produzenten und den Aufnehmer von Kunst gleichermaßen gültig formuliert.
Hier bei den Fotografien, die in der Regel kleinere Ausmaße haben als Struths 152 x 163 Zentimeter, wäre für Sitzen nicht nur kein Platz, sondern man selbst spürt den Drang, sich ganz nah vor die Fotografie zu stellen, um jedes Detail genau zu sehen und zu interpretieren. Hier also geht im ersten Raum geht es bei allen Darstellungen um die Malerei als Objekt der Fotografie, Malerei wird also fotografiert. In der nächsten Themenecke geht es um perspektivische Verfahren, die den Betrachter in die Irre führen, so wie Manets Bild der Bar, das bis heute die Besucher des Courthauld-Instituts in London zur Verzweiflung treibt, wenn sie im Gemälde UN BAR AUX FOLIES-BERGÉRE VON 1882 dem Barmädchen in die Augen gucken, sich aber nicht im hinter ihr befindlichen Spiegel sehen und – wie immer man es auch angeht – einfach nicht eine Bildordnung hinbekommen, die ein Abbild der Wirklichkeit wäre. Jeff Wall ist es hier, der dies Spiel in seiner Fotografie aufnimmt und solches mit uns treibt in PICTURE FOR WOMAN, auch schon aus dem Jahr 1979 und eine Leihgabe des Künstlers in dieser Ausstellung, die in der Regel aus den eigenen Beständen des Städel zusammengestellt ist.
Eine feine kleine Ausstellung und eigentlich müßte man jedes der Ausstellungsstücke gesondert beschreiben, denn die Oberthemen in den sechs gegliederten Räumen sind zwar sinnvoll, aber jede Fotografie gewinnt ein derartiges Eigenleben, daß man nur dazu raten kann, sich die Rätselbilder genauso anzuschauen, wie Hiroshi Sugimotos See-/Meerbilder. Sie sehen das Ionische, das Ägäische und das Schwarze Meer. Welches welches ist, eben! Thomas Ruff lehrt Sie, psychedelische Farbfelder ernst zu nehmen und die Nacht mit den Romantikern als „der Wald steht schwarz und schweiget“ wahrzunehmen. Peter Roehr dagegen hat viel zu viele Autos und Robert Rauschenberg den Abbruch fotografiert.
Fein, daß mit Lázló Moholy-Nagy auch die Lichtmalerei von 1923-25 eine Rolle spielt und Luigi Ghirri die Uhr zurück dreht. Waren Fotos einst die Skizzen für Maler, so dreht er den Spieß um und fotografiert die Stücke, die sich Morandi für seine Vasenbilder zusammengestellt hatte. Das ist ganz eindeutig eine Ausstellung vor allem für diejenigen, die bildersüchtig und bildererfahren sind. Denn die erhalten den intellektuellen Mehrwert, die Ausrufezeichen in den Fotografien zu erkennen: Sieh hin, ich bin eine Produkt oder eine Assoziation von...
bis 23. September 2012
Katalog:
Malerei in Fotografie, hrsg. von Martin Engler, Kehrer Verlag 2012, zweisprachig Deutsch-Englisch. Anders als die in sechs Themenblöcken gegliederte Ausstellung unterliegt der Katalog der nach den Fotografen der Ausstellung geordneten Systematik und führt diese 25 Künstler auf und vor, von John Baldessari bis Amelie von Wulffen. Dadurch geht zwar der Zusammenhang der thematischen Aussagen in den sechs Räumen der Ausstellung verloren, aber der intensivere Blick auf das Werk eines Künstlers wird gewonnen, wobei sie natürlich auf ihre Werke dieser Ausstellung rückbezogen werden.
www.staedelmuseum.de