Irritiert sind wir noch öfter, in einer Ausstellung, die erst einmal geheimnisvoll vor uns so viele Materialien und Plätze mit Video und baumstumpfartigen Vitrinen ausbreitet, daß es schwer fällt, diesen großen Raum als Installation zu bezeichnen, was aber der Fachausdruck ist.  „Künstliche Landschaft“ oder auch „Raumgefühl“ wäre uns lieber, weil der ganze Raum zwar mit vielen einzelnen Dingen bestückt ist, uns aber scheint, daß wir verbunden mit der raunenden Erzählerstimme doch eher Atmosphäre inhalieren sollen und vorbewußt uns durch den gestalteten Raum bewegen sollen, denn mit offenen Augen, geradem Blick und wachem Verstand,  kunstsachverständig dazu .

 

Angezogen wird man magisch von der großen Sandfläche, auf der ein rundes Gebilde wie eine geplatzte Weltraumkapsel oder ein aufgeblasener und aufgeschnittener Lampenschirm ruht, das so merkwürdige Arabesken als Schmuck oder Aufsätze trägt, sodaß die arabische Anmutung mit Tausendundeine Nacht sich auch ästhetisch verstärkt, was der viele Sand ja zusätzlich nahelegt, denn für Island ist Sand nicht typisch. Im Sand dann vergraben und vom Wind der Zeit ausgetrocknet und zerfranst: die Manuskripte. Tatsächlich liegen dort Schriften eingegraben und ausgegraben, aber mitnichten handelt es sich um die originalen Handschriften aus Island, die zum ersten Mal in ihrer jahrhundertelangen Geschichte ihr Mutterland für den Gastlandauftritt zur Buchmesse in der Schirn verlassen haben.

 

Diese acht Handschriften ruhen im Hintergrund im Dämmerlicht – und hier trifft der Begriff Crepusculum absolut und mit konservatorischem Recht zu – in seltsam ausgehöhlten Baumstümpfen aus Lava, in der wir durch die Glasplatte die Handschriften identifizieren, irgendwie allein auf der Welt und auch in der Gesellschaft von acht doch ein wenig lieblos behandelt in einer Landschaft, wo soviel Gefühl erzeugt werden soll – vergessen Sie nicht die psychedelisch einlullende Erzählstimme, die man – im Gegensatz zu ihrer Sprache – nicht genug loben kann.

 

Sicher lernt man mehr über die Absichten der Künstlerin, wenn man die Videofilme - an zwei Stellen möglich - von Anfang bis Ende anschaut und auf diesem Hintergrund sich die herumliegenden Dinge: gebrannte Holzstücke, Seile, Glaskolben, von denen so viele bunt gefüllt oder leer im Sand liegen, aber auch aufgehängt und eingeordnet uns an das Wirken eines Alchemisten, ach eines Alchemistenweibleins denken lassen, Lehm, Fäden, Feuer, Staub und was an amorpher Gestalt noch dazu gehören kann. Die im Sand liegenden Tonteile erinnern an die Kleidung der Skythen, können aber auch zerschlagene, besser mit dem Messer fein säuberlich abgeschnittene Körperteile sein.

 

Wir fühlen uns ein wenig so, als ob wir aufgefordert wären, den künstlerischen Prozeß logisch oder auch psychologisch nachzuvollziehen. Da ist für unseren Geschmack ein wenig zu stark die Absicht spürbar, organische Lebensprozesse durch sie ausdrückende Materialien wie Gips und Blut und Dreck (für die im Gemüt ablaufenden Assoziationen zu Körperkünstlern wie Rudolf Schwarzkogler  können wir nichts) und sonstwas uns einzupflanzen, so als ob ein kunsthandwerklicher Lehrgang ausgestellt ist, in dem wir wie Schüler die Intentionen der Vormacherin nachempfinden, nachspüren und nachahmen sollten. Wir wenden uns deshalb den acht originalen Handschriften, hauptsächlich aus dem Mittelalter zu und versuchen mit viel Ruhe deren Aura wahrzunehmen und uns ihrer Bedeutung für ihre Zeiten zu versichern.

 

 

Bis 8. Januar 2012

 

Katalog: Gabríela Fridriksdóttir, Crepusculum, Kehrer Verlag 2011. Der luxuriös gestaltete Katalog in Gold ist ein Werk, mit dem man sich in das Universum der Künstlerin vertiefen kann. Vieles von dem, was sich in der Ausstellung als Andeutungen selbst erklären, werden hier in den von der Künstlerin beabsichtigten Rahmen gestellt. Die Fotos sind wunderschön, weil sie das in der Ausstellung ablaufende Video in viele Bilder zerteilen und festhalten, die zwar nicht so sehr Dämmerung oder Abenddämmerung intendieren, aber das Hauptmaterial der Ausstellung: Sand wunderbar im Sonnenlicht glänzen lassen. Vier der 308 Seiten sind den acht Handschriften, der eigentlichen Bedeutung der Ausstellung, gewidmet.

 

Die umfangreichen Begleitveranstaltungen bitte unter www.schirn.de abrufen.

 

Claudia Schulmerich