Blumen blühen vor maroden Baracken. Eine Zink-Wanne steht auf einem wackeligen Küchenstuhl. Vor einem verrosteten, auf dem Dach liegenden Auto hockt ein Kind. Andere Kids spielen vor einer offenen Küchentür, auf dem altmodischen Herd dampfen Töpfe. Porträts zeigen melancholische dunkelhäutige Männer. Gut angezogene Mädchen und Frauen schauen selbstbewusst in die Kameras. Der junge Fotograf Wolfgang Schreier nahm diese großformatigen Bilder 1967 in der Fuldaer Obdachlosensiedlung „Sandhohle“ auf.

Die Leute auf den Fotos sind Sinti mit deutschen Pässen, die man früher als „Zigeuner“ beschimpfte. Diese „Anderen“ kommen uns manchmal etwas fremd vor, dann wiederum ist uns ihr Umgang miteinander, ihr Alltag sehr vertraut. Schreier machte diese Menschen nicht zum Objekt romantischer Fantasien oder sozialer Anklage, sondern gab den Ausgegrenzten vor allem ihre menschliche Würde zurück: Vor einem halben Jahrhundert, 22 Jahre nach der Ermordung von Zehntausenden Sintis durch die Nazis!

Mehrmals sehen wir auf den Porträts auch die Fuldaerin Berta Reinhard, die als einzige ihrer Familie das Grauen von Ausschwitz überlebte, bei einem Todesmarsch ihren Peinigern entkam und am letzten Kriegstag in die Heimatstadt zurückkehrte. Helmut Kopetzky, der Kurator des fotografischen Teils der Ausstellung, spielte zu Beginn des Galeriegesprächs eine alte Tonbandaufnahme dieser Frau ab: „Es sind alle umgekommen, ich bin nur noch alleine rausgekommen“, berichtete sie.

Zur Vernissage der Schau „Die Anderen“ vor einigen Wochen kamen auch viele Sinti und brachten reichlich Trubel in den Kunstverein: Tränen flossen, lachend wurden Erinnerungen ausgetauscht, Fotografien geküsst. Ein aus Frankreich angereister Mann ließ sich glücklich neben dem Porträt seines lange verstorbenen Vaters ablichten. Diese Fröhlichkeit und Lebendigkeit der Sinti und ihren Kindern, trotz der erbärmlichen Lebensverhältnisse, habe ihn damals als Junge sehr fasziniert, berichtete Günther Elm den zahlreichen Zuhörern und Zuhörerinnen. „Wir durften da eigentlich nicht hin, aber wir gingen trotzdem heimlich. Uns wurde nie irgendetwas über die Leute in ‚Spitzbubenhausen’ erzählt.“ Die galten alle als kriminell - die um ein würdiges Leben bemühten „Zigeuner“ und die dort auch lebenden, sich prostituierenden und saufenden „Weißen“ wurden in einen Topf geworfen.

Neben Schreier, der künstlerisch schnell Zugang zu den Sintis bekam, beschäftigten sich in der Zeit auch Ernst und Christa Sporer als Studenten in einer Projektgruppe der Fachhochschule Fulda mit den Menschen in der „Sandhohle.“ Damals waren sie noch voller Illusionen, dort die Randgruppen für gesellschaftliche Veränderungen zu gewinnen, wie sie lachend bekannten. Fotograf Schreier konnte aufgrund eines Unfalls seiner Frau leider nicht aus Dortmund anreisen. Doch der sehr gut über die Geschichte der „Sandhohle“ informierte Kopetzky moderierte abwechslungsreich und engagiert den Nachmittag.

Bereits in den letzten Wochen hatte er zahlreiche Gruppen durch die Galerie geführt. Die Einträge im Gästebuch des Kunstvereins zeugen von der Betroffenheit gerade der älteren Besucher, damals nichts von diesen ausgegrenzten Menschen in der Siedlung gewusst zu haben. Auch mit dieser Ausstellung erfüllt sich ein wenig die Hoffnung des großen Künstlers Josef Beuys, dass die Kunst eine Rückwirkung auf das Leben haben kann.


ZITAT

„Hier habe ich gesehen, wie sich Menschen untereinander in prekären Verhältnissen begegnen, und wie Kinder und alte Leute fürsorglich miteinander umgehen. Ich war nach wenigen Tagen intergiert.“ (Fotograf Wolfgang Schreier)


Foto:
© Hanswerner Kruse: Kurator und Organisator Helmut Kopetzky erläutert die Fotos

Info:
„Die Anderen“ - Metallplastiken und Fotografien noch bis zum 24. Juni 2018 in Fulda, Habsburgergasse 2.
Geöffnet Donnerstag bis Sonntag jeweils von 15 bis 18 Uhr.