Und dieser Ausruf ist ein guter Beweis für die Subjektivität in der Kunst. Mag vielleicht keiner von außerhalb dieses Bild mit den zwei linken Füßen und der Absurdität, daß da einer die ganze Welt zu seinem persönlichen Sofa erklärt, für voll nehmen oder gar für hohe Kunst, für die Frankfurter ist es eben ihr Goethe, den sie kennen und der sie ein Leben lang von Kindheit an bei den Museumsbesuchen empfangen hat. Anders als früher hat Tischbeins Goethe allerdings eine neue Begleitung erhalten und an ihr kann man gut das Gesamtkonzept des Kurators Felix Krämer erkennen. Während früher in diesem Raum sogenannte Höhepunkte der Sammlung über Zeiten und Nationen hinweg zusammenhingen, hat Goethe einerseits rechts und links von sich italienische Pendants von deutschen Malern, die wiederum an den Gegenwänden weitere Gemälde von Zeitgenossen in Italien erblicken.

 

Den Goethe kann man sich in aller Ruhe auf den Sitzbänken im Carré anschauen, denn das 164 x 206 große Gemälde kann Abstand gebrauchen. Für Jakob Philipp Hackerts „Blick auf Sankt Peter in Rom“, 1774, sollte man schon nahe herangehen, denn es ist in dieser klassischen Manier der klassischen Landschaft gemalt, „mit Staffage“, wie man die winzigen Personen im Vordergrund nennt. „Dort strahlt sie wie eine Vision von der ewigen Größe Roms“, sagt ein Text zur gemalten Landschaft. Das ist neu und gilt nur für einige Gemälde, daß Bilder erklärt oder kommentiert werden.

 

Sehr aufschlußreich dann, sich auf der Rechten „Die Wasserfälle von Tivoli“, 1817, anzuschauen, die Carl Philipp Fohr gemalt hat, der erst 1795 in Heidelberg geboren, schon 1818  in Rom starb, ertrunken im Tiber. Welch künstlerische Begabung spricht aus diesem Bild, das die eben gesehene klassische Landschaft aufreißt und durch seine Perspektiven genauso dramatisiert wie durch die Malweise, die an die Donauschule des 16. Jahrhunderts erinnert. Schon sind wir eingenommen von diesem Auftakt, der sich fortsetzt, wenn man die Seitenwände betrachtet, wo völlig neu von Andreas Achenbach, einem der Düsseldorfer Malerschule “Ein Seesturm an der norwegischen Küste“ von 1837 in imperialer Größe hängt. Zwei Jahre später hat er Norwegen dann erst besucht, aber die romantische aufwühlende Stimmung schon vorbedacht.

 

Dann der nächste früh Verstorbene, der für die Entwicklung der Nazarener wichtig war: Franz Pforr aus Frankfurt am Main, der 24jährig in Italien starb. Sein Selbstbildnis von 1810, zwei Jahre vor dem Tod, zeigt ihn ernst und streng, auch schlicht und nachdenklich. Der „Einzug des Königs Rudolf von Habsburg in Basel 1273“, das er von 1808 bis 1810 als Hauptwerk malte, ist gut geeignet, die tiefe Anteilnahme dieser jungen Maler, die sich vom Lukasbund zu den Nazarenern mauserten, am Mittelalter als idealem Zeitalter zu zeigen, das man in der Malerei wiedererwecken wollte – wie in England die Präraffaeliten. Viel Volk, viel Farbe, an Gotik und Frührenaissance gemahnend.

 

Hier hängen vor allem mit Johann von Passavant – Selbstbildnis  und Heilige Familie, beide  a la Raffael  – und Philipp Veit – Blick auf den Taunus - auch die Maler, die als Städeldirektoren  diese Sammlung begründet hatten und durch ihre Ankäufe der Nazarener diese zu einem Schwerpunkt gemacht hatten. Passavant sind aber auch die wunderbaren frühen Niederländer zu verdanken, herausragend van Eyck und der Meister von Flémalle, aber das ist eine andere Geschichte und wird Thema einer folgenden Neueröffnung. Noch sind wir im ersten Raum, dessen Gemälde auf hellem Grau sehr vornehm wirken. Mit einem Rundblick kann man nun also die Grundlagen der Sammlung erkennen und auch ihre Orientierung auf Italien.

 

Wir setzten unseren Rundgang detailliert von Raum zu Raum fort, vermißten an manchen Stellen Bekanntes, fanden uns aber sofort mit der neuen Ordnung zurecht, die wir folgendermaßen charakterisieren wollen: Zeichnete schon bisher die Städelsammlung aus, „aus jeden Dorf einen Hund zu haben“, also über die Zeiten hinweg durch je einzelne Gemälde Schulen und Stile, Nationen und Zugehörigkeiten quasi didaktisch eine Kunstgeschichte in Form von Bildern sehen zu können, so hat die neue Hängung äußerst intelligent noch eins draufgegeben.

 

Man wird wie von selbst durch die Geschichte der Malerei der Moderne geführt, weil Kurator Felix Krämer zwei oder eigentlich drei Prinzipien erfolgreich verschränkt hat: Er hat als Grundprinzip eine historische Hängung, also Bilder ihrer Entstehung nach zueinandergehängt, dann aber auch, wo es sich anbot, diese Struktur durch eine thematische Hängung ersetzt oder auch eine Stilrichtung wie den Impressionismus. Seine Entscheidung, auch die Fotografie miteinzubeziehen, ist eine überfällige und sehr klug auf die Kabinette begrenzt, wo sie den Gemälden durchaus die Schau stehlen können, während sie in den großen Räumen untergingen.

 

Sehr gut gelöst auch die Sammlungsschwerpunkte des 20. Jahrhunderts: Beckmann und Kirchner, beide in Frankfurt und seinem Umkreis länger ansässig, beide haben hier Frankfurt und die Frankfurter gemalt. Die Beckmanns – gibt es außer den drei Ausstellungen in Basel, Leipzig und Städelanbau immer noch welche? Ja! – hängen zusammen im letzten Raum links, der als Abschluß auch eine gewisse Intimität ausstrahlt und einem sagt: mit Max Beckmann war auch eine bestimmte Malerei an ihrem Ende angekommen, so wie er sich selbst als der letzte Alte Meister verstand. Ganz anders dann Ernst Ludwig Kirchner auf der gegenüberliegenden Seite, wo der Zugang zum Anbau ist. Kirchner ist sozusagen zweigeteilt:

 

Kirchner wird zum einen zusammen mit den übrigen Expressionisten im großen Raum gezeigt, die mit Dix, Nolde, etc. einen herrlichen Überblick über deutsche Malerei dieser Zeit geben. Und er wird in einem Kabinett monographisch geboten. Das erscheint uns alles so sinnvoll, daß es glücklich macht, als wie gelungen wir diese Hängung empfinden. Und nun wundern wir uns. Über uns. Noch kein Wort zu den wunderbaren Courbets, zu Manet, Monet, Degas, Renoir, Rousseau und all den anderen malerischen Delikatessen, nicht mal Liebermann, Corinth und Slevogt. Doch, sie sind alle noch da, sie sind auch noch genauso schön, aber sie sind auf einmal eingereiht als Juwelen in einem funkelnden Gang durch die Kunstgeschichte der Zeit  kurz vor 1800 bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Überzeugend und gelungen.

 

Katalog: Sammlungsüberblick „Kunst der Moderne. 1800–1945 im Städel Museum“, hrsg. von Felix Krämer und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein, einer Einleitung von Felix Krämer sowie Texten von Peter-André Alt, Ingo Borges, Eva Demski, Mathias Döpfner, Chantal Eschenfelder, Karolin Feulner, Anna Fricke, Wilhelm Genazino, Durs Grünbein, Katharina Hacker, Ulla Hahn, Felix Krämer, Martin Mosebach, Neo Rauch, Nerina Santorius, Helmut Schmidt, Wolf Singer und Roger Willemsen. 304 Seiten, 274 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, ISBN 978-3-941399-03-7 (dt. Ausgabe), 35,00 €.

 

Das wird ein gutes Weihnachtsgeschenk für Frankfurter Familien, diese Widerspiegelung der Sammlung auf Papier, wo den Bildabdrucken jeweils Erklärungen zur Seite stehen. Tolle Idee, einige Schriftsteller und Künstler zu bestimmten Bildern auf ein- zwei Seiten Stellung nehmen zu lassen. Vergnüglich. Lehrreich dann die Einführung durch Kurator Krämer, der die Geschichte des Städel mitliefert.

 

Kunstkrimi für Kinder ab 8 Jahren „Das Geheimnis des Raben“, von Karin Hagemann, 215 Seiten, Fischer Verlag, Frankfurt 2011, ISBN 978-3-596-85462-2, 12,95 €