Gerade weil dies Bild zu seinen bekanntesten Sujets gehört und Raffael kein Künstler ist, von dem man unbekannte Werke erwarten darf, ist die Spannung groß, wie denn das Städel an dieses Bild gelangt ist und worauf sich das Zertifikat: ‚echt‘, also ein echter Raffael gründet. Wobei wir, wenn man ehrlich ist, bei der Qualität der Raffaelschen Bilder und dem Wissen um die kurze Lebenszeit des Meisters und um seine große Werkstatt, besser erst einmal immer hinzufügt: Raffael und Werkstatt. Das tut soliderweise auch das Frankfurter Städel. Es bleibt trotzdem eine Sensation, daß eine weitere, bisher in der Kunstgeschichte nicht erfaßte Fassung dieses berühmten Julius II. vorhanden ist und daß diese das Städel erwerben konnte.

 

„Das Julius-Bildnis verstärkt die großartige Folge italienischer Porträts der Renaissance und des Manierismus im Städel. Der Einzug eines Werkes, das in so aufregender Weise Einblick in den Schaffensprozeß Raffaels und seiner Werkstatt gewährt, ist ein besonderer Glücksfall“, sagt Prof. Dr. Jochen Sander, Sammlungsleiter der Abteilung „Alte Meister“. der dies Bild innerhalb der von ihm vorgenommenen Neupräsentation Alter Meister zeigen wird. Museumsdirektor Max Hollein betont: „Wir schätzen uns außerordentlich glücklich, ein so hochkarätiges Werk der Hochrenaissance für unsere Altmeistersammlung gesichert zu haben. Für ein Haus, an dem die Raffael-Forschung bereits eine fast 200-jährige Tradition hat und das in seiner Graphischen Sammlung wichtige Werke Raffaels beherbergt, ist dieser Neuzugang von ganz besonderer Bedeutung.“

 

Das Museum teilt zudem mit, daß das 106,0 x 78,4 cm große, auf Pappelholz gemalte Bildnis kunsthistorisch und gemäldetechnologisch umfassend analysiert und untersucht wurde sowie von alten Firnisschichten und Retuschen befreit worden ist. Es besticht nicht nur durch seine hohe künstlerische Qualität, sondern weist im Gegensatz zu der Londoner und Florentiner Fassung eine Reihe im Verlauf der Ausführung getätigter schöpferischer Veränderungen auf. Die mit Infrarotreflektografie sichtbar zu machende Unterzeichnung läßt erkennen, daß vor allem im Bereich des Gesichts und der Position des Stuhls Modifikationen vorgenommen wurden. Außerdem wurde, wie die Röntgenaufnahme dokumentiert, im Lauf des Malprozesses die Haltung der rechten Hand verändert. Diese Veränderungen und der besondere Charakter der Unterzeichnungen bezeugen einen überaus kreativen Bildfindungsprozess, der diesem Werk eine besondere Stellung im Vergleich zu den bislang bekannten Julius-Porträts verleiht. 

Das sind die vorsichtigen Worte des Museums. Man kann deutlicher formulieren. Sobald man bei alten Gemälden feststellt, daß die Unterzeichnung eine andere ist, als die ausgeführte Oberseiten, erkennt man, daß es sich nicht um eine herkömmliche Kopie oder Replik handeln kann, denn dann wird von Anfang an gleich 'richtig' gezeichnet, wenn überhaupt eine Zeichnung verwendet wird. Beim vorliegenden Tatbestand könnte man annehmen, daß dieses Gemälde in den Findungsprozeß einer endgültigen Fassung gehört, wo Raffael noch ausprobierte und dann das ihm Sinnvollerscheinende ausführte. Das allerdings spräche dann für eine frühe Fassung, sicher sogar früher als das herrliche Bild in London. Und das ist dann wirklich eine kunsthistorische Sensation, völlig unabhängig, wieviel Raffael im Rest steckt, hieße das, daß der Meister dieses Bild zumindest anfing.

Die Provenienz des Gemäldes läßt sich bis 1905, wo es als Teil der Sammlung Bercioux im Hôtel Drouot in Paris versteigert wurde, lückenlos nachverfolgen. Erst dann gibt es unterschiedliche Privatbesitzer und so gelangte es spätestens 1909 von Paris nach New York und 1914 zurück nach Europa. Nach weiteren Eigentümerwechseln wurde es 2007 im Dorotheum in Wien als Werk eines Raffael-Nachahmers angeboten. Dort wurde es von der Privatsammlung Ellermann gekauft, von der das Städel es 2010 dank des Entgegenkommens des Verkäufers um einen deutlich unter dem Marktwert liegenden Preis für ein solches Gemälde erwerben konnte. Der mutmaßliche Weg des Gemäldes vor 1905 führt bis in die Familie von Julius II. zurück.

 

Das klingt nun wirklich als zu schön um wahr zu sein. Aber sicher werden nähere Aussagen zu den Preisen und dem gesamten Vorgang noch öffentlich. Das Städel auf jeden Fall reagiert auf den Neuzugang mit einer kunsthistorisch sehr sinnvollen Aktion: Die Provenienz vor 1905 und vor allem der Vergleich mit den bislang bekannten Bildnisfassungen in London und Florenz werden vom November 2012 bis Februar 2013 unter dem Titel „Raffael und das Bildnis Julius’ II. Bildpropaganda eines Renaissance-Papstes“ Gegenstand einer eigenen Ausstellung im Städel sein. Erstmals wird das Gemälde Julius’ II. ab 15. Dezember 2011 im Rahmen der nach 14-monatigen Sanierungsarbeiten wiedereröffneten und neu gestalteten Sammlungspräsentation „Alte Meister“ im Städel zu sehen sein.

 

Info:

 

Publikation: Sammlungsüberblick „Alte Meister. 1300–1800 im Städel Museum“, hrsg. von Jochen Sander und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein, einer Einleitung von Jochen Sander sowie Texten von Gabriel Dette, Katrin Dyballa, Almut Pollmer-Schmidt, Jochen Sander und Fabian Wolf. 276 Seiten, 230 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, ISBN 978-3-941399-02-0 (dt. Ausgabe), 35,00 €.

Sammlungspräsentation „Alte Meister“ (Mainflügel): ab 15. Dezember 2011

Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt

Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag bis Sonntag 10–18 Uhr; Mittwoch und Donnerstag 10–21 Uhr

Information: www.staedelmuseum.de, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Tel.: +49(0)69-605098-0, Fax: +49(0)69-605098-111

 

Fax: +49(0)69-605098-111