Wie abgesichert das Städel im gemeinsamen Vorgehen von Museumsdirektor Max Hollein und dem Kurator der Sammlung „Alter Meister“ Jochen Sander sich auch kulturpolitisch verhält, kann man daran sehen, wie umfangreich die Mitteilung an die Presse nicht nur die wesentlichen Daten des Erwerbs niederlegte, sondern wie ausführlich die nun interessierenden Fragen alle schon beantwortet wurden, bevor die Presse sie stellen kann. Deshalb erfolgen hier Ausführungen des Museums, die sowohl die gemalte Person in ihrem geschichtlichen Kontext wie auch kunsthistorische Hintergründe liefern. Zudem können so auch die gemäldetechnischen Befunde weitergegeben werden. Ein gläsernes Museum also und gleichzeitig eine profunde Gemäldeerhebung, was das Städel hier so positiv vorführt.

 

Daten und Fakten :Papst Julius II.

 

Giuliano della Rovere (* 5. Dezember 1443 in Albisola Superiore bei Savona, Ligurien; † 21. Februar 1513 in Rom), der 1503 als Papst Julius II. den Stuhl Petri bestieg, bewies Kunstverstand wie kaum ein anderer Papst. Er beauftragte Bramante mit dem Neubau von St. Peter, Michelangelo mit der Ausmalung der Decke der Sixtinischen Kapelle und der Schöpfung seines Grabmals und schließlich den 25-jährigen Raffael (* 6. April oder 28. März 1483 in Urbino; † 6. April 1520 in Rom), der 1508 nach Rom kam, mit der Ausmalung der Stanzen, seiner Wohn- und Repräsentationsräume im Vatikanischen Palast. Während dieser Arbeiten, 1509, verließ Julius Rom, um an der Spitze der päpstlichen Truppen in Oberitalien Krieg zu führen. Doch auch Julius’ persönliche Teilnahme an dem Kriegszug brachte nicht den erhofften Erfolg; das militärische Eingreifen der Franzosen unter Ludwig XII. führte zu einer empfindlichen Niederlage des Papstes, der überdies im Herbst 1510 lebensgefährlich erkrankte. Julius scheint für seine Gesundung und für die Wiederherstellung der päpstlichen Herrschaftsansprüche in Oberitalien göttlichen Beistand erfleht und dies mit einem Gelübde verbunden zu haben. Seit Oktober 1510 ließ er sich einen Vollbart wachsen, den er erst nach der erfolgreichen Vertreibung der französischen Truppen aus den Gebieten des Kirchenstaats im April 1512 wieder entfernte.

 

 

Raffaels neuer Bildtypus des Papstporträts

 

Am 27. Juni 1511 kehrte Julius – vollbärtig – in die Ewige Stadt zurück. Im Verlauf des nachfolgenden Dreivierteljahres ließ er sich von Raffael porträtieren, der mit dem Julius-Bildnis eines seiner einflußreichsten Werke schuf: Kein Papstbildnis bis hin zu denen des gegenwärtigen Papstes, kein Porträt eines hohen Kirchenfürsten, das sich nicht fortan am Vorbild von Raffaels Julius orientiert hat. Raffael stellt den Papst lebensgroß und in Dreiviertelfigur in einem Lehnstuhl vor einem grünen Vorhang sitzend dar. Leicht nach rechts gewandt, geht auch der konzentrierte Blick des Dargestellten in diese Richtung. Der Papst sitzt in sich gekehrt, doch nicht zuletzt der feste Griff der von einer Vielzahl von kostbaren Ringen geschmückten Linken um die Sessellehne lässt seine ungebrochene Energie erahnen. Über einem weißen Rochett, die sein bischöfliches Amt signalisiert, trägt der Papst Camauro und Mozzetta, einen kurzen, nur die Schultern bedeckenden Umhang mit Kapuze und eine eng anliegende Kappe. Aus purpurfarbenem Samt gefertigt und mit Hermelin gesäumt, machen diese beiden Kleidungsstücke Julius’ imperialen Machtanspruch unmißverständlich deutlich. Selbst das weiße Tuch in der Rechten des Papstes dürfte ein bewußte Anspielung auf jenes Tuch sein, mit dem antike Kaiser das Zeichen zur Eröffnung der Spiele im Circus Maximus in Rom gaben. Die großartige Farbkombination von Rot, Weiß und Grün wird durch das Braun und Gold des päpstlichen Sessels abgerundet, dessen Lehnen von zwei goldenen Eicheln bekrönt werden. Als Frucht der Eiche, des Wappenmotivs seiner Familie, diente die Eichel als allgegenwärtiges Emblem des Della-Rovere-Papstes.

 

 

Unterzeichnung und Detailgenauigkeit des Julius-Porträts im Städel

 

Die vom Städel Museum erworbene Fassung des Porträts Julius’ II. besticht nicht nur durch ihre herausragende künstlerische Qualität. Außergewöhnlich sind – anders als bei den beiden bisher bekannten Versionen des Julius-Bildnisses in der National Gallery in London und in den Uffizien in Florenz – die umfangreichen, im Verlauf der Ausführung vorgenommenen schöpferischen Veränderungen, die durch gemäldetechnologische Untersuchungen wie Infrarotreflektografie und Röntgenaufnahme sichtbar gemacht werden können. So zeigt die mit einem Pinsel ausgeführte, überaus freie, die Komposition vorbereitende Unterzeichnung eine leicht von der endgültigen Lösung abweichende Position des Sessels. Die Eicheln der Sesselbekrönung, die auf das Familienwappen des Della-Rovere-Papstes anspielen, fehlen in der ersten Unterzeichnung und damit in der ersten Bildkonzeption noch ganz. Doch auch das unterzeichnete Gesicht des Papstes weicht in wichtigen Punkten von der gemalten Fassung ab; dies betrifft etwa die Gestaltung der Nase sowie des Mundes, dessen Winkel in der Unterzeichnung deutlich weiter nach unten gezogen sind als schließlich ausgeführt. Während die bisher beschriebenen Veränderungen bereits mit Beginn des Malvorgangs korrigiert wurden, brachte der Künstler die Rechte des Papstes anscheinend erst im Verlauf des Malprozesses in ihre heutige Position: Der Röntgenaufnahme zufolge scheint sie zunächst in Segenshaltung vor dem Oberkörper erhoben gewesen zu sein. Sie dürfte damit Raffaels Rollenporträt des Della-Rovere-Papstes als Gregor IX. bei der Übergabe der Dekretalen entsprochen haben, das er zur Entstehungszeit des Bildnisses in der Stanza della Segnatura freskierte.

„All diese Beobachtungen“, so Prof. Dr. Jochen Sander, „weisen dem Städel-Gemälde eine wichtige Position innerhalb des Vorgangs der Bildfindung dieser bedeutenden Komposition zu, an der Raffael selbst, aber vermutlich auch seine Werkstatt beteiligt war.“ Die Präzision und Sorgfalt, die auf die Ausführung der überaus lebendigen Gesichtszüge des Papstes und seiner Hände gelegt wurden, stehen in offenkundigem Gegensatz zur vergleichsweise simplen Art der Gestaltung des Rochetts – des weißen Gewandes – oder des Hintergrundes. Die Detailgenauigkeit, mit der die Fingerringe des Papstes ins Bild gesetzt wurden, übertrifft aber bei Weitem deren eher nachlässige Gestaltung in den beiden anderen bekannten Versionen, und auch die Verwendung von echtem Gold für die raffinierte Wiedergabe der Fassungen der Ringe und der feinen Goldfransen der Sesseldekorationen verdeutlicht gleichermaßen die herausragende Malkultur des Schöpfers dieses Gemäldes wie die exquisiten Erwartungen seines Auftraggebers.

 

 

Gemäldetechnologische Untersuchungen und Reinigung

Das Gemälde ist umfassend auf die verwendeten Materialien, die Ausführungstechnik und den Erhaltungszustand untersucht worden. Die durchgeführten Untersuchungen umfaßten systematische stereomikroskopische Analysen und reichten von der Röntgenaufnahme bis zur Infrarotreflektografie, von der UV-Fluoreszenzuntersuchung bis zur Falschfarben-Infrarotreflektografie, von der makrofotografischen Dokumentation bis zur Röntgenfluoreszenzanalyse. Für die Bestimmung der Zusammensetzung von Grundierungs- und Malschichten wurden Proben entnommen und analysiert; zudem wurde der Bildträger holzbiologisch untersucht (da es sich um Pappelholz handelt, war eine dendrochronologische Bestimmung nicht möglich). Neben den bereits benannten Einblicken in die Entwicklung der Bildidee und in den Herstellungsprozess des Gemäldes belegen alle Untersuchungsergebnisse zweifelsfrei die Entstehung des Werks in einer italienischen Künstlerwerkstatt des frühen 16. Jahrhunderts.

 

In der Restaurierwerkstatt des Städel Museums wurde das Gemälde von Stephan Knobloch, Leiter der Gemälderestaurierung, gereinigt. Alle nicht originalen Firnisschichten wurden abgenommen, spätere Retuschen und Übermalungen, die sich im Laufe der Zeit verfärbt hatten, entfernt. Nach der Reinigung wurden Fehlstellen geschlossen. „Das Gemälde“, so Stephan Knobloch „befand sich in einem seinem Alter entsprechend sehr guten Zustand, sodaß sich die restauratorischen Arbeiten mehr oder weniger auf die Reinigung, die Abnahme späterer Übermalungen und geringfügige Retuschen beschränken konnten. Vor allem die Farbschichten, aus denen das Gesicht des Papstes aufgebaut ist, sind bestens erhalten.“

 

 

Provenienz

 

Die Provenienz des Julius-Bildnisses lässt sich bis 1905 lückenlos zurückverfolgen. Am 29. März 1905 wurde das Gemälde als Teil der Sammlung Bercioux im Hôtel Drouot versteigert. Der Käufer war der Sohn (?) des Sammlers, Eugène Bercioux, ein in Paris ansässiger Instrumentenmacher und -händler, der auch in New York ein Geschäft unterhielt, wo er unter dem Namen Eugene Burceaux firmierte. Spätestens 1909 übergab Bercioux/Burceaux das Gemälde als Sicherheit für ein Darlehen George Essigke († 29. Mai 1909), den Leiter der Military Academy Band von West Point. Dessen Frau und Erbin Hedwig Essigke, geb. Reil († 1934), ließ das Gemälde 1909/10 durch den New Yorker Künstler und Gemälderestaurator Arthur Dawson restaurieren, der es wenig später erwarb und als Raffael-Original publizierte (New York Times, 15. Mai 1910). Vor 1914 verkaufte Dawson das Bild an einen bisher nicht identifizierten amerikanischen Sammler. Dieser sandte das Gemälde kurz vor August 1914 nach Europa, um es dort mit den Porträtversionen in den Uffizien und im Palazzo Pitti in Florenz vergleichen zu können. Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs verblieb das Bild in Europa im Familienbesitz des vor Kriegsende verstorbenen unbekannten Sammlers und wurde frühestens 1918 von dessen Familie der American Vienna Relief Company in Wien geschenkt. Am 1. Januar 1924 wurde das Bild vom American Committee for Vienna Relief, Chicago, einer Unterorganisation der American Vienna Relief Company, Wien, an den Wiener Bankier, Unternehmer und Schriftsteller Richard Kola (1872–1939) verkauft, dessen Erben es am 19. Juni 2007 im Dorotheum in Wien versteigern ließen. Dort wurde es durch die Sammlung Ellermann und aus dieser 2010 durch das Städel Museum erworben.

 

Die mutmaßliche Vorprovenienz führt bis in die Familie des Dargestellten zurück: Das vom Städel angekaufte Gemälde ist vermutlich mit dem am 29. März 1826 in der Auktion „Tableaux des maîtres des écoles italienne, espagnole, flamande et allemande“ in Paris, Me. Laneuville, fils, Me. Lacoste, versteigerten Bildnis identisch. Das von Johann David Passavant (Kunst-Blatt 1826, S. 203) als gute Kopie nach Raffael betrachtete Bild stammte seiner Aussage nach aus der spanischen Sammlung Altamira, in die es als Erbe der Herzöge von Moncada gelangt war. Die Moncada waren im frühen 16. Jahrhundert Vizekönige von Neapel und mit den della Rovere mehrfach durch Heirat verbunden.

 

Ausstellung

 

„Raffael und das Bildnis Julius’ II. Bildpropaganda eines Renaissance-Papstes“ November 2012 – Februar 2013, Städel Museum

 

Die Ausstellung wird sich dem Thema des Papstbildnisses aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern. Zunächst soll das für das Städel Museum erworbene Papstbildnis mit den bisher schon für Raffael und seine Werkstatt in Anspruch genommenen Fassungen in der Londoner National Gallery und den Uffizien in Florenz zusammengeführt werden, um so den direkten Vergleich der Gemälde zu ermöglichen. Parallel zu dieser Begegnung der Originale soll die Präsentation der gemäldetechnologischen Befunde der drei Gemäldeversionen die Diskussion über das Binnenverhältnis der unterschiedlichen Bildfassungen auf eine breitere Basis stellen.

 

Die mit dem Julius-Porträt von Raffael entwickelte Darstellungsweise war derart erfolgreich, dass sie die nachfolgende Bildgeschichte der Päpste und der höchsten kirchlichen Würdenträger bis in unsere Zeit dominieren sollte. Die Ausstellung wird daher an einer Reihe von herausragenden Porträts der Nachfolger Julius’ II. auf dem Stuhle Petri die außerordentliche Wirkmächtigkeit von Raffaels Bilderfindung verdeutlichen, die sofort unmittelbar und in seinem direkten künstlerischen Umfeld einsetzte.

 

Publikation: Sammlungsüberblick „Alte Meister. 1300–1800 im Städel Museum“, hrsg. von Jochen Sander und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein, einer Einleitung von Jochen Sander sowie Texten von Gabriel Dette, Katrin Dyballa, Almut Pollmer-Schmidt, Jochen Sander und Fabian Wolf. 276 Seiten, 230 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, ISBN 978-3-941399-02-0 (dt. Ausgabe), 35,00 €.

 

Sammlungspräsentation „Alte Meister“ (Mainflügel): ab 15. Dezember 2011

Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt

Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag bis Sonntag 10–18 Uhr; Mittwoch und Donnerstag 10–21 Uhr

Information: www.staedelmuseum.de, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Tel.: +49(0)69-605098-0, Fax: +49(0)69-605098-111