These, die hier bewiesen wird, ist, daß es die penible Zeichenausbildung an der Dresdner Kunstakademie und Kunstgewerbeschule gewesen sei, die diesen genauen Blick auf die Welt für eine ganze Generation von Künstlern ermöglicht habe, denn neben den Heroen Otto Dix und George Grosz gehören Hans Grundig, Wilhelm Lachnit – dessen braunes Pelzchen dem Katalog das Titelbild gibt und allein durch die Themenwahl an die Anknüpfung an die Alten Meister von Tizian über Rubens bis Rembrandt denken läßt - , Bernhard Kretzschmar und Otto Griebel mit dazu.

 

Zur Wirklichkeitsanalyse mit dem Stift und Pinsel per schonungslosem Strich, gehörten die entsprechenden thematischen Vorlagen: Arbeitslose, Kriegsinvalide, das Huren- wie auch das Arbeitermilieu, in dem auch die Frauen und die Kinder in ihrer Abhängigkeit und Armut so hyperrealistisch geschildert sind, daß der Betrachter nur mit Mitgefühl für die Abgebildeten und mit Hochachtung für die Art und Weise der Darstellung darauf  reagieren kann. Der Blick der Maler war kühl, aber das Ergebnis sollte warmherzig wirken und zur Kraft zur Gesellschaftsveränderung führen. Diese Kunst lebte nicht im Elfenbeinturm, sondern in der Gesellschaft selbst.

 

Und wieder muß man Otto Dix im Besonderen erwähnen. Aus seiner Malklasse kommen Curt Querner, Rudolf Bergander und Willy Wolff, die Ende der Zwanziger Jahre auf die Weltwirtschaftskrise wiederum mit sozialkritischen Bildern reagieren. Es wäre aber falsch, die Neue Sachlichkeit darauf zu beschränken. Was Dix vormachte, das Anknüpfen an die Lasurenmalerei der Alten Meister, brachte viele Blüten auf die Leinwände. Da gibt es die elegantesten Porträts und die fast kitschig zu nennenden Einfache-Leute-Sujets, die Bauernromantik wie die Liebespaarstilisierung.

 

Und wie es unterschiedliche Thematiken gibt, gibt es auch die Stilrichtungen in der Malweise selbst, von messerscharfer Präzision und naiver bunter Malerei, von Nachfolgern des Konstruktivismus bis hin zum Konformismus. Es war hauptsächlich das Porträt und die Figurendarstellung, die die Maler – kaum Frauen, woran liegt das? – im Blick hatten, wie man optisch beim Rundblick sofort erkennt. Umso mehr fallen dann die Landschaften von Franz Radziwill und die magisch verfremdeten Stilleben von Richard Oelze und Franz Lenk auf.

 

Zu den rund 140 Gemälden gesellen sich etwa 40 Zeichnungen und Grafiken. Aber auch Skulpturen und Fotografien runden den Blick auf eine Zeit ab, die so kompakt, so desillusionierend und weitreichend noch nicht zu sehen war. Nicht allein in Dresden nicht.

 

 

Bis 8. Januar 2012

 

Katalog: Neue Sachlichkeit in Dresden, hrsg. von Birgit Dalbajewa, Sandstein Verlag Dresden 2011. Toller Katalog. Schon deshalb etwas Besonderes, weil anders als zu Themen wie Surrealismus oder Expressionismus es so viel hervorragendes Dokumentationsmaterial nicht gibt und jede neue und wissenschaftlich begleitete Ausstellung auch kunsthistorische Weiterführung bedeutet, von der man auch dann noch viel hat, wenn die Ausstellung längst vorbei ist. Als Zeitrahmen wird 1918 bis 1933 festgelegt, also das, was gemeinhin Weimarer Republik genannt wird, die zeitgeschichtlich in Wort und Bild auf 34 Seiten und differenziert in Deutschland und Dresden hervorragend nahegebracht wird.

 

Das ist nötig, damit man dann die Einzelessays, die nur noch Dresdner Künstlern oder ihrer Malweise gelten, besser versteht und einordnen kann, wozu auch der Blick in die Vergangenheit und die Situation um 1900 gehört. Da leitet sich das eine aus dem anderen ab und nach der Lektüre – wozu die Sinnesfreude an den oft großformatigen Abdrucken oder auch vergrößerten Details kommt – ist man zufrieden, daß man das Geschaute nun noch einmal im Buch nachvollziehen konnte. Im Ernst ist das so ein Kunstband, der auch ohne Ausstellung diese Zeit wunderbar festhält.

 

Info:

Auch anderenorts werden Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit vorbereitet:

„Das Auge der Welt. Otto Dix und die Neue Sachlichkeit 1920.1945“ im Kunstmuseum Stuttgart, vom 10. November 2012  bis 7. April 2012

„Mythos Welt. Otto Dix & Max Beckmann“ Kunsthalle Mannheim, vom 24. November 2013 bis 23. März 2014