Selbst wenn man keine Arbeiten von Salgado kennt, ziehen diese ersten Bilder quasi in die Ausstellung hinein.Staunend kann man unberührte Landschaften und unbekannte Tiere erleben, schließlich auch indigene Menschen mit eigenartigem Aussehen oder sonderbaren Verhaltensweisen. Salgados Fotografien erschließen uns eine unbekannte, kaum entdeckte und von der Zivilisation bisher verschonte Hälfte unserer Welt. Acht Jahre lang bereiste der durch seine Flüchtlingsbilder bekannte Sozialfotograf entlegene Gebiete in allen Erdteilen - oft behutsam mit Faltboot, Fesselballon oder zu Fuß.



Salgado fotografiert seit den 1970er-Jahren bis heute ausschließlich schwarz-weiß. Die Arbeiten seines letzten Zyklus’ „Genesis“ sind sehr kontrastreich, gerade die Sanddünen oder Bodenformationen wirken deshalb grafisch wie Holzschnitte oder Radierungen. Die von ihm abgelichteten Tiere, gelegentlich auch die Menschen, scheinen auf steinernen, eisigen oder floralen Hintergründen oft mit der Natur zu verschmelzen: Ein gigantischer Walfisch bricht Wellen wie Erde auf, eine selbstbewusste Frauengruppe lagert zwischen Riesenblättern.



Die Fotografien sind von fremdartiger Schönheit doch niemals gefällig, Salgados radikal schwarz-weiße Aufnahmetechnik mit meist unendlicher Tiefe verfremdet die Motive und verklärt sie nicht. In Farbe wären die Bilder belanglos oder kitschig, wie schon oft gesehene Reisefotos. Doch diese Tableaus laden nicht zum Besuch der entlegenen Welten ein, sie machen uns eher, wie vom Fotografen beabsichtigt, die Schönheit unseres Planeten (wieder) bewusst.



Die indigenen Menschen in verschiedenen Erdteilen, denen Salgado offenbar einfühlsam begegnete, sind wirklich Fremde. Männer tragen lange Penishüllen, Frauen haben riesige Tellerlippen oder Hörner am Kinn, die seit früher Kindheit in sie eingepflanzt wurden. Beide Geschlechter schmücken sich mit bizarren Narben (Skarifizierungen). Diese exotischen Menschen machen uns neugierig auf Fremdes - aber wir können in ihren seltsamen Bräuchen ebenso uns bekannten, mühseligen menschlichen Alltag sowie ausgelassenes Feiern wieder erkennen.



Trotz vieler Erklärungen in der Ausstellung bleibt den Fotografien ein „unwägbarer Rest“, ihnen wohnt ein Geist inne, der über das Abgelichtete hinausweist. Offenbar liegt das daran, dass Salgado Jahrzehnte lang ausschließlich das Elend dieser Welt fotografierte, bis er daran erkrankte (siehe „Das Salz der Erde“). Das von ihm erlebte Grauen ist in „Genesis“ in doppeltem Sinne aufgehoben: Es ist durch die Faszination dieser unberührten Welt aufgehoben also verschwunden. Aber ihre Kraft beziehen die Fotografien auch durch die in ihnen aufgehobenen also bewahrten Gefühle, die uns nicht nur staunen sondern auch erschauern lassen: Dieser Fotozyklus ist kein L’art pour l’art, denn „Genesis zeigt uns die Schönheit der Natur und ist gleichzeitig ein Aufruf zum Kämpfen!“ (Salgado)



Die Ausstellung „Genesis“
ist noch bis zum 16. August 2015 zu sehen. Öffnungszeiten täglich von 11 bis 20 Uhr, C/O Berlin (im Amerika Haus am Bahnhof Zoo), Hardenbergstraße 22-24 10623 Berlin