Dennoch kann man die kunstgeschichtliche Bedeutung dieser Ausstellung – übrigens herrliche Bilder und wahrlich hohe Kunst – so recht erst ermessen, wenn man Dürers im 19. Jahrhundert als Gegenbild zu den italienischen Meistern entworfenes ‚nordisches Genie’, das dann der Nationalsozialismus erst recht im ‚arischen Geniekult’ pervertierte, kennt, das davon spricht, wie hier einer quasi aus dem Nichts vollendete ‚teutsche Kunst’ schuf und zum Künstlerheros der Nachwelt wurde.
In vier Sektionen mit 200 Leihgaben aus 12 Nationen und der eigenen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums beweisen ICH UND MEIN HERKUMEN, ABMACHEN UND NEUMACHEN, der DRAMATIKER sowie NEUE KUNST?, warum und wie Dürer gerade in seiner Heimatstadt Nürnberg zu einem der Großen der europäischen Kunst wurde und in welchem Umfeld seine frühe Entwicklung stattfand. Buchstäblich stellt die Ausstellung DER FRÜHE DÜRER diesen vom Kopf auf die Füße und zeigt ihn als klugen Strategen und einen, der künstlerisch über die eigenen Grenzen jeweils hinauszugelangen versuchte, was Fehlschläge einkalkuliert, immer aber auch das grundsätzlich Neue möglich machen kann.
Diese neue Sicht auf Dürer ist das Ergebnis eines seit 2009 tätigen internationalen Forschungsprojekts, das in diese Ausstellung mündete, von der der Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, Georg Ulrich Großmann, sagt: „Als ich vor sieben Jahren ein Dürerprojekt vorschlug, habe ich zwar gewusst, daß neue Forschungen dringend nötig sind, aber nicht geahnt, wie viel Neues zum Werk des berühmtesten Künstlers im deutschen Sprachraum tatsächlich herauskommen wird.“ DER FRÜHE DÜRER heißt diese Ausstellung, weil es um das Frühwerk geht, nicht aber um den jungen Dürer, weil Biographisches, was das rein Persönliche angeht, ausgespart ist und immer der Werkkontext die Bilderauswahl und die Texte bestimmt.
Schon bisher galt die zweite Reise nach Venedig, die er 1505 antrat, als Lebensabschnitt Dürers. Hier nun wird die Schaffensphase Dürers vom SELBSTBILDNIS ALS DREIZEHNJÄHRIGER von 1484 als ältestem Werk – übrigens aus der Albertina Wien, die auch die späteren Inkunabeln deutscher Wohnzimmer: die betenden Hände und den Hasen besitzen – bis zum jüngsten der gezeigten Werke von 1504, das großformatige Gemälde ANBETUNG DER KÖNIGE aus den Uffizien in Florenz, als Frühwerk des 1471 in Nürnberg geborenen Goldschmiedesohnes gegenüber seinem Werk bis zum Tod mit 56 Jahren im Jahr 1528 abgegrenzt.
Wenn einem dann in der Ausstellung gleich im ersten Raum dieses wunderbare Porträt von Michael Wohlgemut, das Dürer 1516 – also 11 Jahre nach seinem Frühwerk - schuf, inniglich entgegenstrahlt, hat das nur damit zu tun, daß dieser sein Lehrer war und in dieser Ausstellung auch das Umfeld des frühen Dürer eine große Rolle spielt, ja uns erstmals in Breite und Tiefe vorgestellt wird. Man kann sich so die Reichsstadt Nürnberg wie in einem Biotop denken, wo die verschiedentlichen Einflüsse auf den aufstrebenden Maler deutlich werden.
Angefangen vom sozialen Milieu bis zu den intellektuellen Diskussionen mit den Weggefährten, stellt eine weitere Ausstellung DÜRER-LABOR die Nürnberger BURGSTRASSE, wo Dürer wohnte, mit ihren weiteren, teilweise sehr bekannten Bewohnern vor, als eine „Verdichtung wirtschafts- und geistesgeschichtlicher Superlative“ (Projektkoordinator Thomas Eser), als ideale Umgebung für den aufstrebenden Maler mit eigener Malerwerkstatt und diesen bedeutenden Nachbarn als künftigen Auftraggeber für den Künstler Dürer. Fortsetzung folgt.
Bis 2. September 2012
www.gnm.de/der-fruehe-duerer
Katalog: DER FRÜHE DÜRER, hrsg. von Daniel Hess und Thomas Eser, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012. Ein Katalog, der genauso sinnvoll gegliedert ist wie die Ausstellung und zudem noch – bei aller Kompaktheit der 603 Seiten – lesefreundlich ist, weil das Schriftbild gut lesbar und differenziert mal die Abbildungen als Illustration nutzen, mal die Katalognummern das Bild durch größeren Abdruck herausheben und den entsprechenden Text mit den Bilddaten und Provenienz sowie Literatur nur klein am Rand abdrucken.
Beides entspricht den unterschiedlichen Erfordernissen von Essays – insgesamt achtzehn – und dem Katalogteil, der den vier Sektionen der Ausstellung folgt: DAS ICH UND SEINE NEUEN MEDIEN, ABMACHEN UND NEUMACHEN,‘GWALTIGE KUNST‘. DÜRER ALS DRAMATIKER, WAS IST KUNST? Dies Buch ist also einerseits ein getreulicher Führer durch die Ausstellung und bringt die Ideen, die die Hängung beeinflußten, auch im Wort zur Sprache. Andererseits ist es so anschaulich gestaltet, daß auch derjenige, der nicht nach Nürnberg kommt, einen Eindruck von dem bekommt, worum es den Ausstellungsmachern ging. Die Essays zudem sind mit vielen Zwischenüberschriften und eben dokumentiertem Bildmaterial nicht auf wissenschaftliche Länge, sondern pointierte und verständliche Vermittlung gerichtet.
Besonders erwähnt werden muß der Anhang, in dem Thomas Eser „Materialien für eine Dürer-Matrix von 1471 bis 1505“ liefert, wo vertikal die Daten stehen und horizontal das Ereignis, die Quelle, Belege und Literatur sowie Evidenz eingetragen sind: Als Beispiel: links ist eingetragen: „21.5.1471, etwa 10 Uhr vormittags“, dann folgt horizontal „Geburt und Geburtsdatum, Taufpate“, sodann werden die Quellen angegeben, die ältesten historischen Belege aufgeführt, die entsprechende Literatur angeführt und zur Evidenz vermerkt: „Sicher.“
Letzteres heißt dann bei anderen Ereignissen „sehr spekulativ“, „Plausibel, aber nicht gesichert“, „unklar“…Uns hat diese Matrix auf den Seite 536 bis 552 so elektrisiert, daß wir sie regelrecht studierten, darüber aber dann die Bilder vergaßen.
Ähnlich ging es uns dann mit DÜRERS NACHBARSCHAFT; die Sebastian Gulden kommentiert. Aus dem „Prospekt der Reichsstadt Nürnberg“ von Hieronymus Braun, Nürnberg 1608 hat Gulden die Burgstraße, aber auch weitere Straßenzüge mit den erkennbaren Häusern mit Nummern versehen und diese Nummern genau hinsichtlich ihrer Bewohner dokumentiert. Sie glauben gar nicht, wer alles im Nürnberg der damaligen Zeit an wichtigen Leuten wohnte. Ein ebenfalls spannendes Dokument. Rundherum ein gelungener Katalog zu einer gelungenen Ausstellung, die noch lange nachwirken wird.
Info:
Mit freundlicher Unterstützung des Maritim Hotel Nürnberg. Nur ein paar Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, liegt das Maritim Hotel geradewegs auf dem Weg zum Museum, das also auch in wenigen Minuten erreicht wird. Ein praktisches Argument. Das Maritim verblüffte uns dann ob seines Eingebundenseins in die Nürnberger Stadtgesellschaft, wo es eine Größe für Feiern und Tagen, für Veranstaltungen und Treffen ist. Als Hotel hat es alle modernen Annehmlichkeiten, eine hervorragende Speisekarte, bzw. Buffet, und ist rundherum zu empfehlen.
Maritim Hotel Nürnberg
Frauentorgraben11
90443 Nürnberg
Tel: 0911-2363-0
Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!