Das soll heißen, wie schon bisher ausgeführt, daß Dürer zu den Zeiten, als es die Wortschöpfung Marketing noch nicht gab, vormachte, wie man das macht, sich einen Namen zu machen. Das waren nicht nur die Verbindungen in der Stadt, sondern zuvörderst seine absolute Hingabe an seine Kunst, die er immer in höchster Perfektion zu gestalten suchte, sei es in der Zeichnung, im Aquarell, dem Holzschnitt oder Kupferstich und auch in den Gemälden, die schon durch die Farbgebung die Emotion der Betrachter auf besondere Weise erreichten.

Da waren wir richtig bei Andreas Puchta, unserem heutigen Führer durch die Ausstellung und durch Nürnberg auf Dürers Spuren anhand seiner drei Wohnstätten und sonstige Zeugnisse seiner damaligen Bedeutung. Wie Dürers Vater kamen übrigens auch Puchtas Vorfahren damals aus Ungarn. Er hält die ganze kunstgeschichtliche und durch die Besucher belohnte Aufregung um Dürer nicht nur für konsequent, sondern dessen Ausnahmesituation als Künstler einer neuen Zeit geschuldet, die Dürer mitkonstituierte. Dürer brachte sich letzten Endes alles selber bei, weil er nie aufhörte zu lernen und aus jeder leicht mißlungenen Skizze die Kraft bezog, von vorne anzufangen und beispielsweise so lange die Bewegungen und den Körper des Menschen aufs Papier zu bannen, bis er dort so lebendig und natürlich erscheint wie im wirklichen Leben.

Da staunte die Gruppe, als Andreas Puchta fragte, warum denn die Ausstellung heuer sei, wo doch kein Jubiläum, weder Geburts- noch Todestag, kein wichtiger Auftrag oder sonst was sich jährt. Daß diese Ausstellung die Folge einer sechseinhalbjährigen wissenschaftlichen Forschung ist und in ihr die Forschungsergebnisse zum Ausdruck kommen, hatten wir schon im ersten Teil ausgeführt. Wir wußten aber nicht, weshalb ein Museum wie die Uffizien in Florenz, die in der Regel keine Bilder ausleihen, für Nürnberg eine Ausnahme machte: die hiesigen Restauratoren sind äußerst fachkundig und hatten als Gegenleistung für die Ausleihe die Restaurierung der Uffizienwerke angeboten. Das kam in Florenz derart an, daß die Uffizien alles hergegeben hätten, weil es sich für sie außerordentlich lohnte. Ein neuer Aspekt der Ausleihepolitik.

Andreas Puchta begann mit der Skulptur von Friedrich Salomon Beer, die er 1882 aus Marmor schuf und die den dreizehnjährigen Albrecht dreidimensional zeigt, wie der 1471 geborene Dürer sich selbst 1484 in einer Silberstiftzeichnung porträtiert hatte. Diese Zeichnung hängt im nächsten Raum. Das Pittoreske allerdings ist, daß die Nachahmungsskulptur verschwunden war und erst im Frühjahr 2010 im ehemaligen Garten eines NS-Bonzen in Berlin im Boden gefunden wurde. Durch den sauren Boden hat die weiße Oberfläche den ehemaligen Glanz verloren. Hier als Entre kann die Figur auch vermitteln, welche romantische Rolle für die Deutschen der „deutsche Heroe“ Dürer im 19. Jahrhundert spielte – und wie viel lieblicher das Gesicht des 13jährigen in der Plastik erscheint gegenüber der wirklichkeitsnahen Zeichnung. Dürer ist also schon mit 13 Jahren der genaue, die Wahrheit hinter dem Fleisch suchende Porträtkünstler.

Die Deutschen können von Glück reden, daß es dem ungarischen Goldschmiedegesellen Albrecht Dürer dem Älteren bei seiner Gesellenwanderschaft in Nürnberg die Barbara Holper so angetan hatte, daß er sie beim Zielaufenthalt in den Niederlanden nicht vergessen konnte und die Heimreise nach Ungarn erneut über Nürnberg antrat – und blieb. Nun war sie als Tochter eines Goldschmieds für einen jungen Goldschmied eigentlich eine gute Partie, aber da war nichts mit Einheiraten in eine Goldschmiedewerkstatt und der Vater mußte eine eigene aufmachen. Sicher hat der junge Dürer schon bei seinem Vater einen selbstbewußten und geschäftstüchtigen Handwerker kennengelernt, Eigenschaften und Attribute, die er dann bei sich als Künstler mit der zusätzlichen Komponente des absoluten Qualitätsanspruchs perfektionierte.

Sehr anschaulich vermittelte Andreas Puchta, daß dieser grundsätzliche Unterschied zwischen Handwerk und Kunst eine Erfindung der Neuen Zeit ist, daß noch im Mittelalter der als ein guter Maler galt, der sein Handwerk beherrschte, so wie der ein guter Bäcker ist, der gutes Brot backt oder der ein guter Schuster, der anständige und bequeme Schuhe schustert. Dürer hat die Anonymität des Handwerkers durchbrochen und eine Individualisierung als Künstler auch dadurch hergestellt, daß er seine Werke mit einer auffälligen Signatur versah.

Die Führung vermittelte auch Einsichten für diejenigen, die aus kunsthistorischer Kenntnis die Werke Dürers gut kennen. Denen fällt nämlich immer wieder auf, daß zwischen Frauen- und Männerporträts insofern ein Unterschied besteht, als Männer sehr viel aufwendiger, genauer, mit detailliertem Pinsel gemalt sind. Zum Mutterbildnis (opus 1) um 1490, verwies Puchta darauf, daß beim Malen von Frauengesichter in damaliger Zeit, die Züge vage bleiben mußten. Die Elsbeth Tucher von 1499 – als 20 DM-Schein noch in Erinnerung – hat ihren noch vageren Hintergrund allerdings aus pekuniären Gründen erhalten. Der Auftraggeber wollte nicht den angemessenen Preis zahlen. Da konnte auch ein Dürer den Geschäftssinn über die Kunst stellen.

Das sollte nur ein Schlaglicht auf diese Führung werfen, die sich auszeichnete durch kunsthistorische Sachkenntnis gepaart mit lebhaften Schilderungen der damaligen Verhältnisse und Personen. Höhepunkt war die Erläuterung zum Altarbild ANBETUNG DER KÖNIGE von 1504 aus den Uffizien. Hier erreicht Dürer eine Lebendigkeit des Ausdrucks und Individualisierung der Personen – auch von Ochs und Esel! -, die das biblische Thema zu einer menschlichen Szene machen und die Farben des Gemäldes zur Widerspiegelung des Himmels auf Erden. Daß Dürer mit Farben experimentierte und sich die teuren Mineralfarben leistete, gehört zu all den Dingen, die Sie bei einer Führung auch erfahren, weshalb wir diese gerne empfehlen. Näheres auf der Webseite des Museums.

Bis 2. September 2012

 www.gnm.de/der-fruehe-duerer 

Katalog: DER FRÜHE DÜRER, hrsg. von Daniel Hess und Thomas Eser, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012. Ein Katalog, der genauso sinnvoll gegliedert ist wie die Ausstellung und zudem noch – bei aller Kompaktheit der 603 Seiten – lesefreundlich ist, weil das Schriftbild gut lesbar und differenziert mal die Abbildungen als Illustration nutzen, mal die Katalognummern das Bild durch größeren Abdruck herausheben und den entsprechenden Text mit den Bilddaten und Provenienz sowie Literatur nur klein am Rand abdrucken.

Beides entspricht den unterschiedlichen Erfordernissen von Essays – insgesamt achtzehn – und dem Katalogteil, der den vier Sektionen der Ausstellung folgt: DAS ICH UND SEINE NEUEN MEDIEN, ABMACHEN UND NEUMACHEN,‘GWALTIGE KUNST‘. DÜRER ALS DRAMATIKER, WAS IST KUNST?  Dies Buch ist also einerseits ein getreulicher Führer durch die Ausstellung und bringt die Ideen, die die Hängung beeinflußten, auch im Wort zur Sprache. Andererseits ist es so anschaulich gestaltet, daß auch derjenige, der nicht nach Nürnberg kommt, einen Eindruck von dem bekommt, worum es den Ausstellungsmachern ging. Die Essays zudem sind mit vielen Zwischenüberschriften und eben dokumentiertem Bildmaterial nicht auf wissenschaftliche Länge, sondern pointierte und verständliche Vermittlung gerichtet. 

Besonders erwähnt werden muß der Anhang, in dem Thomas Eser „Materialien für eine Dürer-Matrix von 1471 bis 1505“ liefert, wo vertikal die Daten stehen und horizontal das Ereignis, die Quelle, Belege und Literatur sowie Evidenz eingetragen sind: Als Beispiel: links ist eingetragen: „21.5.1471, etwa 10 Uhr vormittags“, dann folgt horizontal „Geburt und Geburtsdatum, Taufpate“, sodann werden die Quellen angegeben, die ältesten historischen Belege aufgeführt, die entsprechende Literatur angeführt und zur Evidenz vermerkt: „Sicher.“

Letzteres heißt dann bei anderen Ereignissen „sehr spekulativ“, „Plausibel, aber nicht gesichert“, „unklar“…Uns hat diese Matrix auf den Seite 536 bis 552 so elektrisiert, daß wir sie regelrecht studierten, darüber aber dann die Bilder vergaßen. 

Ähnlich ging es uns dann mit DÜRERS NACHBARSCHAFT, die Sebastian Gulden kommentiert. Aus dem „Prospekt der Reichsstadt Nürnberg“ von Hieronymus Braun, Nürnberg 1608 hat Gulden die Burgstraße, aber auch weitere Straßenzüge mit den erkennbaren Häusern mit Nummern versehen und diese Nummern genau hinsichtlich ihrer Bewohner dokumentiert. Sie glauben gar nicht, wer alles im Nürnberg der damaligen Zeit an wichtigen Leuten wohnte. Ein ebenfalls spannendes Dokument. Rundherum ein gelungener Katalog zu einer gelungenen Ausstellung, die noch lange nachwirken wird.

Info:

Mit freundlicher Unterstützung des Maritim Hotel Nürnberg. Nur ein paar Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, liegt das Maritim Hotel geradewegs auf dem Weg zum Museum, das also auch in wenigen Minuten erreicht wird. Ein praktisches Argument. Das Maritim verblüffte uns dann ob seines Eingebundenseins in die Nürnberger Stadtgesellschaft, wo es eine Größe für Feiern und Tagen, für Veranstaltungen und Treffen ist. Als Hotel hat es alle modernen Annehmlichkeiten, eine hervorragende Speisekarte, bzw. Buffet, und ist rundherum zu empfehlen.

Maritim Hotel Nürnberg
Frauentorgraben11
90443 Nürnberg
Tel: 0911-2363-0
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