Diesen, dann menschenleeren Räumen gilt der größte Ausstellungsraum, die Räume allerdings gehen über in Wohnungen, in Häuser, in Draufsichten und Innenhöfe, in Stadtansichten und Waldränder. Das alles dann ohne Menschen. Die Welt als Raum, die Menschen ohne Zukunft, die Seele im Nirgendwo, Stillstand des Seins, das alles sind Metaphern für ein Grundgefühl der Welt um 1900, als die Technik so viele Neuerungen brachte, die Seele der Menschen mit dieser Entwicklung aber nicht Schritt hielt und sich nach dem Woher und Wohin sehr viel stärker fragte, als es heutige Generationen tun. Hammershoi ist ein Maler seiner Zeit, der diese Seite im Bilde eingefangen hat, zudem als Nordländer, der das Licht lange Monate vermißt, so daß über seinen Bildern nicht nur eine Stille und das Anhalten der Zeit zu spüren ist, sondern auch die Frage, was das eigentlich ist: das Leben. Eben. Melancholie und so etwas wie Jenseits im Diesseits ist angesichts des Immergleichen eine logische, eine psychologische Folge.
Denkt man an Wien um 1900, hat man ein ganz anderes Lebensgefühl, das sich nur in einem gleicht: Die zuvor geordnete Welt ist zerrissen. Das zeigen auch seine Menschendarstellungen. Wenn Egon Schiele die Frauen so zeichnet, daß man das Fleisch unter der Haut pulsieren sieht, dann hat auch er einen Weg ins Innere genommen, der bei Hammershoi nicht über das Fleisch, sondern mental verläuft. Schiele registriert, was Hammershoi auch macht, aber Letzterer hält doch die bisherige Ordnung der Welt noch aufrecht im äußeren Schein. Was auch ersichtlich ist. Gemalt wird nicht mehr das bedeutende Ereignis, ein historisches oder mythologisches, für alle verbindliche. Gemalt wird die die Birke im Wind oder die Häuserfronten oder eben die Frauen und sonstige Porträts. Das alles geht unter im Ersten Weltkrieg, den beide Künstler noch erleben, den beide Künstler nicht, bzw. nur kurz überleben.
Wenn flugs vom „Vermeer des Nordens“ die Rede ist, um die Frauenbildnisse des Dänen zu charakterisieren, so ist das nicht falsch, aber doch eine falsche Spur, denn mehr als ein Verhaltensein der Person, als die Rätselhaftigkeit ob ihrer intensiven Tätigkeit im Bilde, sind es nicht, was beide Maler bei ihrer Menschendarstellung im Raum verbindet. Mit gleichem Recht könnte man sagen, diese Darstellungen sind grundsätzlich welche des 19. Jahrhundert, da sind Leibl und der Münchner Kreis genauso beteiligt wie die Franzosen Pierre Puvis de Chavannes, Eugène Carrière und Georges Seurat oder die Amerikaner James Abbott McNeil Whistler.
Aus gutem Grunde hat man also den erst einmal singulären Dänen in eine internationale Gemeinschaft von Künstlern wie die Obigen, dazu Fantin-Latour, Matisse oder Munch bugsiert, die in der Kunsthalle in 30 Werken mitausgestellt sind und den Titel der Ausstellung HAMMERSHOI UND EUROPA genauso rechtfertigen wie unsere Erkenntnis, daß dieser Hammershoi bei aller Zeitbezogenheit und silhouettenhafter Ähnlichkeit von Personen doch eine derart eigene Formsprache und Farbpalette hat, daß – wer diese Ausstellung gesehen hat – die Stille und den Gleichklang der Hammershoi-Welt nicht vergessen wird – und überall wiederfinden wird, wo es ihn gibt.
Bis 16. September 2012
Katalog:
Hammershoi und Europa. Ein dänischer Künstler um 1900, hrsg. von Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Prestel Verlag München 2012. Es gibt mindestens immer drei Motive, einen Katalog zur Ausstellung zu erwerben. Da will man ganz einfach bewahren, was der flüchtige Blick registriert hatte, der, auch wenn er intensiv war, doch dem Vergessen der Details ausgeliefert ist. Da gibt es die Lieblingsthemen, von denen man schon viele Kataloge hat, weshalb es dieser auch sein soll und da gibt es – wie hier für die meisten – einen recht unbekannten Künstler, dessen Werk einem durchaus Rätsel aufgeben. Für diese ist dieser Katalog deshalb so wichtig, weil sein Studieren der Essays einem wirklich die Malmotive des Hammershoi wie auch sein Leben näherbringen, vor allem aber möglich machen, die vielen Gemälde mit gleichem/ähnlichen Sujet in aller Ruhe zu vergleichen, worin sie gleich, worin verschieden sind. Was einem im Katalog dann auch auffällt, wie sehr man selber – dieses Mal – den Maler Vilhelm Hammershoi, den man vor allem durch seine symbolistischen Bilder, die Sonnenuntergänge, Waldstücke und Wasserbilder kannte, diesmal reduziert auf die Räume ohne oder mit ganz wenigen Menschen, weil dies das Prägende der Münchner Ausstellung bleibt, auch wenn viel mehr von ihm dargestellt ist.
www.hypo-kunsthalle.de
Info:
Mit freundlicher Unterstützung des MARITIM Hotels München, das dicht am Hauptbahnhof gelegen ebenfalls als idealer Ausgangspunkt für die Museumsbesuche dient. Das Museumsangebot mit Sonderausstellungen in München ist zu jeder Zeit umfangreich, so daß der Besuch der Museen oft unterbleibt, was man nur ändern kann, indem man mehrmals hinfährt. Dazu ist es günstig, die Pauschalangebote anzuschauen, von denen wir beim Stadtbesuch diesmal die Kombination mit dem Biergarten nutzten.
Übernachtung: Das Maritim-Hotel in der Goethestraße liegt in einem ruhigen Innenhof in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, zum Stachus und zur Theresienwiese. Das Arrangement „200 Jahre Biergarten“ beinhaltet zwei Übernachtungen inklusive Biergartenpass ab 189 Euro pro Doppelzimmer (nicht buchbar während des Oktoberfestes).
Information: www.muenchen.de, www.maritim.de.