Es war ziemlich mühselig, den Künstler in seinem Atelier an der Schlitz zu treffen. Soeben kommt er von einem Vortrag in Finnland zurück, am nächsten Tag will er seine Arbeiten nach Gotha bringen. Am wärmenden Holzfeuer aber lässt er sich Zeit, von seinem Projekt der Todsünden zu erzählen. Gerne schweift der Meister ab, zeigt Fotos vom Empfang beim Papst in Rom, erzählt über seine Luther-Skulptur in Hamburg oder erklärt den neuen, riesigen „Feuermann“ im Hof. „Ihr Journalisten seid ja dazu da, den roten Faden wieder zu knüpfen“, meint er lachend.


Also dann - in den letzten Jahren hat Barnickel sich nach dem „Weg der Hoffnung“ (2009) auf Point Alpha und den, noch nicht in großen Skulpturen realisierten „Zehn Geboten“, mit den Todsünden beschäftigt. „Völlerei, Neid oder auch die anderen Sünden versucht man ja zu vermeiden“, erklärt er, „aber ob das nun immer gelingt? Wir sind ja doch nur Menschen...“ Grundsätzlich arbeitet er jedoch nicht für die Kirche, sondern will zur Besinnung auf deren jahrhundertealten Werte beitragen, um diese wieder zu aktualisieren: „Wir müssen keine neuen Werte suchen!“ Kunst kann auch Politik beeinflussen, davon ist er überzeugt, und er will sich einbringen, um gesellschaftlich etwas zu verändern.


Für den Zyklus Todsünden hat er sieben kleine Plastiken als „Vor-Bilder“ - im Maßstab 1:10 - für die Realisierung in einer großen Figurengruppe geschaffen. Man kann bereits Bronzeabgüsse einzelner Kleinplastiken erwerben. Sie sind eigenständige Kunstwerke, keine Modelle im engeren Sinne, denn wenn der Künstler sie in zehnfacher Größe erschafft, verändern sich nicht nur viele Details durch die Metallbearbeitung sondern auch die Aura der Figuren, die dem Betrachter überlebensgroß entgegentreten.


Die Todsünden sollten erstmals in Fulda gezeigt werden. Das klappte nicht, weil eine geeignete Lokalität fehlte, nun werden sie im KulturForum in Gotha präsentiert. „Hasserfüllt und rasend / Schlägt der böse Zorn“ - stark stilisiert raufen zwei Figuren, eine scheint zum Schlag auszuholen. Ein anderes Paar ringt um einen goldenen Stern: „Immer länger wird der Arm im Neid / Nach den Sternen anderer greifen, umsonst.“ (Prof. Dr. Arlt). Diese neuen, eisernen Figuren sind wieder stark auf ihre Gesten reduziert, die angedeuteten Situationen weniger konkret als in den „Zehn Geboten“. Immer treffen zwei Figuren aufeinander, fast alle Sünden ereignen sich, wohl emblematisch, in der Zweiheit. Die Darstellungen wechseln zwischen Abstraktion und Erzählung, dem Betrachter bleibt Raum für Interpretationen.


Barnickels fast immer menschenartige Figuren werden aus von ihm selbst oder industriell gefertigten Teilen (Schienen, Rohren) durch Schweißen verbunden. Der Bildhauer löst sich seit dem Jahr von seinen früheren monolithischen und abbildhaften Objekten. Nun fehlen oft Details wie Gesichter. Die Körper seiner Figuren sind jetzt hohl und nicht geschlossen, so dass man in sie hineinsehen kann. Dadurch wirken die Gestalten leichter, sind ganz auf den Körperausdruck reduziert. In ihren „Gesten“ werden elementare Gefühle wie Schmerz, Unterwerfung oder eben die Todsünden sichtbar.


Zu jedem sündhaften Objekt hat der Komponist Franz Vorraber Neue Musik komponiert, die er bei der Vernissage am und im Flügel erklingen lässt. Dabei greift er auch schon mal in den Klangraum oder nutzt kleine percussive Geräte. Barnickel zeigt ein Video des Künstlerfreundes Koni Merz, in dem deutlich wird, wie die expressiven, dramatischen oder lustvollen Klänge des Tonkünstlers seine Bildwerke paraphrasieren. Die Töne um-klingen die verzweifelt miteinander ringenden Figuren, lassen sie musikalisch von Völlerei, Wollust oder Stolz erzählen - ohne dadurch banal oder anbiedernd zu wirken. Bei der Uraufführung der Musik Vorrabers und dem Debüt der Arbeiten Barnickels, wird eine gelungene Synthese von Tonkunst und Metallbildhauerei erlebbar werden.



„Via, Vita, Ferrum – Ulrich Barnickels Eiserner Weg“ vom 3. 12. 2016 bis 26. 2. 2017 KunstForum Gotha, Querstraße 13 – 15. Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr. Vernissage 2. 12. um 18 Uhr
 www.kunstforum-gotha.de

Poetische Titel für die Skulpturen vom Kurator der Ausstellung Prof. Dr. Peter Arlt
Der Stolz überdehnt eigene Wichtigkeit / Und lässt rücklings umfallen
Völlerei unter der Flasche / Besoffen sinkst du weg
In der Gier nur Geld, nach ihm/ Vergebliches, stürzendes Strecken
Hasserfüllt und rasend / Schlägt der böse Zorn
Faule Haut führt zum Selbstverschwinden / Zur Frucht hebt der Fleiß
Von Wollust gepackt, packt der Lustvolle die Angstvolle / Ihr prächtiger Hintern reißt sich ungern los
Immer länger wird der Arm im Neid / Nach den Sternen anderer greifen, umsonst

 


Foto: Hanswerner Kruse:  „Ihr Journalisten seid ja dazu da, den roten Faden wieder zu knüpfen“, meint Barnickel lachend (links Zorn, rechts Neid)

 

Info: Ausstellung ab 3. Dezember