hwk noor 3316Über das Projekt PHYSIK FÜR FLÜCHTLINGE, TEIL 1/2

Hanswerner Kruse / Clas Röhl

Schlüchtern ( Weltexpresso) - Mit Clas Röhl treffen wir die Physikerin und Flüchtlingsfrau (25) Amtul Noor aus Pakistan, die eher wie eine südeuropäische Frau wirkt. Selbstbewusst und charmant erzählt sie ihre wundersame Geschichte: Derzeit lebt die junge Wissenschaftlerin in Hof Reith und fährt täglich nach Fulda, um Deutsch zu lernen. Doch wenn die Behörden mitspielen, kann sie demnächst nach Göttingen umziehen, im Physikalischen Institut von Professor Arnulf Quadt mitarbeiten und ihren Master machen (siehe folgendes Interview).

Ihre gesamte Familie gehört der Ahmadiyya an, einer weltweiten muslimischen Gemeinschaft, die sich als Reformbewegung des Islams versteht. In Pakistan, wo Noor aufwuchs, konnte sie quasi im geschützten Schoß dieser Gemeinde ein Fernstudium in Physik, Mathematik sowie IT absolvieren und ihr Examen in Physik ablegen: Für eine pakistanische Frau eine Sensation. Jedoch wurde dort ihre Familie, wie alle Anhänger ihres Glaubens, „im Namen Allahs“diskriminiert und verfolgt. Häufig werden diese „Feinde des Islams“ in ihrem Heimatland und anderen muslimischen Ländern auch ermordet.

Mit ihrer Familie floh sie aus Pakistan nach Tansania, Indien kam nicht infrage, weil pakistanische Muslime dort häufig als „Terroristen“ drangsaliert werden. In Tansania unterrichtete Noor, wie vorher in ihrer Heimat, Kinder in Physik. Dort heiratete sie ihren indischen Verlobten, der in Tansania nicht arbeiten durfte und ausgewiesen wurde.

Nach vier Jahren, 2017, ging Noor als Asylbewerberin nach Deutschland, weil sie in Tansania für sich als Frau keine Perspektive mehr sah. Noch ist Ihr Verfahren nicht abgeschlossen, doch Ihre Chancen auf Anerkennung sind gut: Vor einigen Jahren entschied der Europäische Gerichtshof, für pakistanische Ahmadis gelte aufgrund der religiösen Verfolgung das Asylrecht.

In Darmstadt wurde sie von der italienischen Sozialarbeiterin Elif ermuntert, es ihr gleichzutun, die dort bei Flüchtlingskindern Freude an der Erkundung physikalischer Prozesse weckt. Gemeinsam besuchten die beiden einen Workshop „Physik für Flüchtlingskinder.“ In dem vom Göttinger Professor Quadt initiierten Projekt, erarbeiten die Teilnehmer, wie sie Physik für Kinder interessant machen können.

Da Noors Deutschkenntnisse (noch) sehr gering waren, schlug sie auf der Tagung vor, pakistanische Kinder zu sprachlichen Helfern in ihrem vorgestellten Unterrichtsprojekt zu machen: „Kinder mögen solche Dinge und genießen es, Partner und Unterstützer zu sein. Sie sprechen und lernen auch schneller Deutsch“, sagt sie. Sie überzeugte Professor Quadt und seine Mitarbeiter und bekam eine Experimentierbox, um Flüchtlingskinder zu unterrichten. „So fing es an“, meint sie.

Nun müssen die Behörden gemäß Asylgesetz entscheiden, ob sie einer „Umverteilung“ von Hof Reith nach Göttingen zustimmen. Dazu sagt Clas Röhl, seit Jahren in der Region als Unterstützer für Asylsuchende aktiv: „Die Ämter sollten sie sich dabei von humanitären Gründen leiten lassen. Noors Anliegen ist ungewöhnlich, aber sie ist auch eine außergewöhnliche Frau. Sie nutzt aktiv alle Möglichkeiten, ihre Zukunft selbständig zu gestalten. Es ist zu hoffen, dass die Behörden dem Wunsch der Universität folgen und Noor ein Studium ermöglichen. Alles andere wäre nicht zu verstehen!“

Foto:
Amtul Noor und Clas Röhl im Gespräch
© Hanswerner Kruse