K Inge Werth Juergen Habermas Goethe Universitaet Frankfurt 1968Fotografien von Inge Werth im Museum Giersch im Rahmen des Museumsuferfests vom 24. bis 26. August in Frankfurt, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es hat sich herumgesprochen, daß nun schon vor Jahren der durch sein geschäftliches Geschick (führend in Europa in Elektronikbauteilen) zu Geld gekommene Unternehmer Carlo Giersch nach Verkauf seiner Firmen mit dem erzielten Gewinn zwei Universitätsstiftungen gründete, wobei das früher von ihm betriebene Privatmuseum Giersch, Endpunkt der Museumsmeile auf dem Sachsenhäuser Ufer, für 30 Jahre in die Zuständigkeit der Universität Frankfurt, der Goethe-Universität, übergegangen ist.

Das nun wieder führte direkt zu einem besonderen Programmpunkt der über 1000 Veranstaltungen auf dem Museumsuferfest, einer „geschlossenen Gesellschaft“. Es waren nämlich ganz bestimmte Personen eingeladen, die Alumnis, also ehemalige Studenten der Goethe-Universität: „Mit der anstehenden Alumni- & Freunde-Lounge verlassen wir wieder den Uni-Campus und präsentieren Ihnen unser Museum Giersch, das dank der Stiftung Giersch ein Teil der Universität geworden ist. Die aktuelle Ausstellung „Paris, Frankfurt am Main und die 1968er Generation“ verbindet Kunst und Reportage: Das Museum zeigt rund 100 Schwarzweiß-Fotografien von Inge Werth um das Jahr 1968 aus Paris und Frankfurt am Main. Gezeigt werden studentische Unruhen und Protestaktionen ebenso wie kulturelle Ereignisse zu jenen Zeiten in Paris und Frankfurt.

Die Kuratorin Frau Dr. Hildebrand-Schat, Kunstgeschichtliches Institut der Goethe-Universität, stellt Ihnen die Ausstellung vor. Im Anschluss bieten wir Ihnen die Gelegenheit, sich von der Kuratorin durch die Ausstellung führen zu lassen.“

K Inge Werth Ostermarsch JoanBaetz 1966Eine tolle Idee, denn was kann es Interessanteres geben, als eine Ausstellung über die 68 Bewegung mit denen zu betrachten, die – das konnte man den Anwesenden ansehen – damals jung gewesen waren und als Alumnis auf jeden Fall alle an der Frankfurter Universität studiert haben? Und wie sinnvoll, daß diese gemeinsame Führung nicht von irgendwem, sondern der Kuratorin selbst übernommen wird. Und sagen wir es gleich: Viola Hildebrand-Schat machte ihre Sache hervorragend. Sie brachte den geschichtlichen Hintergrund und verband anhand der Bilder - die von der Frankfurter Studentenbewegung seit 1966 ( Ostermarsch mit der singenden Freiheitsikone aus den USA: Joan Baez, rechts im Bild) über Paris 1968 (unteres Bild) führten, wohin Inge Werth zwei Jahre zuvor gegangen war, und dann wieder ab 1968 Frankfurt, nicht nur die Universität, sondern auch das Theater am Turm (TAT), die Buchmesse , viele kulturellen Ereignisse und der zentrale Kampf in der Stadt, in den hier die Studentenbewegung einfloß: der Häuserkampf - das Allgemeine mit den konkreten Inhalten der einzelnen Fotografien. Aber auch der Vietnamkongreß von 1970 in der Paulskirche gehört in diesen Kontext, wo wir im Bild auch Wolfgang Abendroth begegnen, nun schon so lange tot und damals eine der wichtigsten politischen Lehrer für eine bessere Zukunft. Und Angela Davis war auch da. Das Foto zeigt es.

K Inge Werth Demonstration f r die Regierung von Charles de Gaulle 1968Zeit, von der Fotografin zu reden, die sich gar nicht als solche bezeichnet. Inge Werth spricht immer nur von ihren Fotografien, von denen die Kuratorin rund 125 im Oeuvre der 1968 schon 37Jährigen aussuchte und hier ausstellt. Diese Fotografien sind in heimischen Zeitungen erschienen, wie FAZ und Frankfurter Rundschau und wenn man sie ansieht, fallen Frankfurtern sofort zwei weitere Fotografinnen ein: die früh verstorbene Abisag Tüllmann – da gab es eine Ausstellung im Historischen Museum und jüngst einen informativen Dokumentarfilm – und Barbara Klemm, der auf der ganzen Welt für die FAZ sensationelle Aufnahmen gelangen. Sie war bei der Eröffnung dabei, denn tatsächlich war das Einvernehmen dieser drei Frauen schon damals vorhanden. Man staunt allerdings nicht schlecht, daß allein Männer sämtliche Bilder beherrschen. In der Studentenbewegung gaben Männer den Ton an. Das zeigen alle Fotografien in durchgehender Schärfe, daß es junge Männer waren, Hans-Jürgen Krahl, Joschka Fischer, später Daniel Cohn-Bendit und viele andere mehr, die hier ihren Kampf gegen alte Männer ausfochten, wiederum unterstützt von einigen älteren Männern wie Herbert Marcuse, aber schon kritisch hinterfragt vom noch jungen Jürgen Habermas  (oben als Titelbild) und dem älteren Adorno, unterstützt von Schriftstellern wie Heinrich Böll und Martin Walser. Man entdeckt Wolfgang Neuss, unvergessen als einer der ersten Kabarettisten der Bundesrepublik, der Wolf Biermann die erste Tournee in Westdeutschland ermöglichte und jämmerlich mit 66 Jahren starb und dort ist Matthias Beltz zu erkennen, der wunderbare Kabarettist, der ebenfalls so früh starb. Man sieht Albert Mangelsdorff, auch er viel zu jung gestorben, und erst recht der in Frankfurt den SDS repräsentierende K.D. Wolf und dann steht dort sogar Sam Davis Junior vor uns! Aber auch die Jusos sieht man auf den Straßen demonstrieren. Da ist doch das Ehepaar Streb, sogar Karsten Voigt, und dort Martin Wentz. Wie jung. Bis zu den ersten Römerberggesprächen 1973 ziehen sich die Bilder und bei der Eppsteiner Straße 47 mit den riesigen Bettüchern aus den Fenstern hängend, hält man inne. Ein tolles Bild, weil dieses Eckhaus zum Symbol wurde, was im Frankfurter Westend zu erhalten war, statt abgerissen zu werden für gesichtslose Hochhäuser, die nicht mehr Wohnungen bieten, sondern Büros für Banken und Versicherungen, die sich die neuen hohen Mietpreise leisten können.

Im ersten Raum hatten wir noch Hoffnung, daß sich das ereignen würde, weshalb wir unbedingt an diesem Abend diese Ausstellung anschauen wollten. Die Kuratorin fragte bei einem Bild, ob jemand diese zwei Köpfe neben zwei identifizierten Personen wiedererkenne, die ihr und denen, die sie fragte, nicht bekannt waren. Niemand. Da sie aber beim selben Foto selbst Helmut Schauer genannt hatte, ohne daß die Anwesenden darauf reagierten, fragten wir nach, wer denn noch Helmut Schauer kenne, als SDS-Vorsitzender auch der, der dem Verlag Neue Kritik Aufschwung ab. Niemand der Anwesenden kannte ihn noch. Das tut weh.

Aber viel schlimmer ist, daß die gesamte Führung über kein einziger der Anwesenden selbst einen Kommentar abgab, jemanden – oder erst recht sich – wiedererkannte, also überhaupt kein Gespräch über die Zeit vor 50 Jahren unter den Alumnis in dieser Führung aufkam. So als ob niemand Erinnerungen an damals hatte. Es gab an diesem Abend noch weitere Führungen. Hoffen wir, daß es dort anders war. Und vielleicht gab es ja danach noch Gespräche. Aber das sind rein Hoffnungen, um die Enttäuschung über die Stummheit der geführten Gruppe zu übertünchen.

Übrigens muß man sich schon wundern, daß fast alle diese Fotos in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergehen, wie schon die Fotografien der Abisag Tüllmann. 50 Fotos sollen ins Historische Museum gelangen. Aber warum, so fragt man sich, hat nicht das Museum Moderner Kunst (MMK), sich um den Nachlaß von Tüllmann und den Vorlaß der anderen Frankfurter Fotografinnen gekümmert, wo doch Jean-Christophe Ammann, der erste langjährige Leiter des MMK, gerade der ist, der Inge Werth an die Berliner vermittelte. Das gibt Rätsel auf und sollte diskutiert werden, vor allem, weil das MMK für seine Sammlung von Fotografien und viele Foto-Ausstellungen bekannt ist.

Fotos:
Jürgen Habermas vor Studenten 1968 © Inge Werth

Info:
bis 14. Oktober im Museum Giersch
www.museum-giersch.de