K Heilige drei Koenige 2Hlfte 6Jhdt Mosaik in Sant Apollinare Nuovo Ravenna ItalieDAS JÜDISCHE LOGBUCH  

Yves Kugelmann

Berlin (Weltexpresso) -  Februar 2019. Es gibt sie, die 
zufällig zusammengesetzten Tischgesellschaften. Die Gespräche bis in die Nacht bei einem Abendessen. Der Weg vom Monbijouplatz mit Blick auf die glänzende Kuppel der Synagoge an der Oranienburgerstrasse entlang vieler Stolpersteine von Berlin Mitte in Richtung Prenzlauer Berg. Der Verleger des literarischen Verlages hat gekocht und vereint die Dramaturgin, der Filmemacher, der Anwalt, der Dokumentarfilmer, der Journalist und die Diplomatin im Auswärtigen Amt. Da der neu erschienener Foto-Essayband, der New York von der Wasserfront aus betrachtet und die Geschichte der Metropole als Inselstadt erzählt und einordnet. Die Berlinale, die neuesten Filme, Bücher und Ergebnisse, die politische Situation werden am Abend diskutiert oder vielleicht auch nur resümiert. Keine Gespräche, die von Alkohol getränkt, von Mobilgeräten dominiert oder Monologen erstickt werden. Ein Austausch der befruchtenden Erkenntnis und nie des frontalen Angriffs, gerade dort nicht, wo unterschiedliche Zugänge Interesse wecken und andere Haltungen neugierig machen.

Es ist keine Elite, informierte Menschen, die nicht behaupten, sondern redlich versucht sind, ohne Rhetorik, sondern durch Inhalt teilzuhaben. Kein kompetitives Besser-, sondern fundiertes Wissen, da Zuhören lernen bedeutet. Kein Abend der Nostalgie, rückwärtsgewandt in Literatur, Kultur und Hoffnung schwelgend. Nein. Es sind Gespräche über Sehnsucht und Zukunft im Ringen um eine offene Gesellschaft, die gerade in Berlin mit Geschichte und Geschichten umzugehen hat: Etwa über Schoah-Überlebende anlässlich des Holocaust-Tags oder über den kontroversen Roman «Stella» (vgl. tachles 04/2019), dessen Rezeption und literarischen Wert, über Holocoaust-Literatur insgesamt, über Geschichtsbewusstsein ebenso wie über aktuelle politische Debatten, die neuesten Serien auf Netflix und gerade auch jene über Jerusalems orthodoxe Gemeinschaft in «Schtisel» und der Bezug zur Realität in Israels ultraorthodoxen Gemeinden.

In einer Ecke hängt das Originalgemälde «Die persischen Priester von Jerusalem» von Else Lasker-Schüler. In der Bibliothek steht ein Katalogband mit Gisèle Lestrange und Paul Celan vereint auf einer schwarz-weiss Fotografie, deren Blicke nicht mehr loslassen. Und dann die Feststellung des Verlegers, dass Deutschlands wirtschaftlicher Unterbau zu grossen Teilen auch auf altem Vermögen basiert, das in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden ist. Vermögen, das nie diskutiert oder zurückgegeben werden musste. Das Deutschland, das so viel Aufarbeitung und Restitution betrieben hat, liess diese Vermögen unangetastet. Was wäre wenn? Wenn also diese Vermögen diskutiert und wie andere Despotengelder behandelt worden wären?

Foto:
(2.Hälfte 6.Jhdt), Mosaik in Sant Apollinare
© privat

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 21. Februar 2019
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.