a hessischer journalistenpreis Zum Tod von Jutta W. Thomasius, die jahrzentelang in der Frankfurter Neuen Presse sagte, was los ist

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gerade aus Magedburg von der Pressekonferenz zur  mit Dingen überbordenden  Ausstellung FASZINATION STADT im Kulturhistorischen Museum zurückgekehrt, finde ich die Todesanzeige von Jutta W. Thomasius vor. Schon wieder ein Tod von jemandem, mit dem man ein Leben lang zusammentraf. Mal nett, mal heftig: Mit 96 Jahren durfte sie sterben. Obwohl ein Jahrhundert auch nicht schlecht gewesen wäre und ihr vergönnt, denn dann hätte man gleich schreiben können: die vielen Leben der Jutta W. Thomasius.
Und als ich mir überlegte, was ich im Schock - denn ehrlich gesagt, hatte ich wirklich angenommen, sie würde mindestens 100 Jahre - denn nun schreiben sollte, machte ich die Redaktionsemails auf und fand das schöne Gedicht von Gerd Kehrer. Gedichte sind viel schöner als schnöde Worte. Aber drei Dinge, drei Erinnerungsstücke muß ich einfach beitragen zum aufregenden Leben der Jutta W. Thomasius, für die ich "die Kleine" war, obwohl ich von Zentimetern her viel größer bin. Aber sie nahm mich erst später wahr. Aus zwei Gründen. Ich kam wie sie oft zu spät zu Pressekonferenzen - aber immer noch vor ihr! Und dann sagte mir mal ein Kollege, anders als DIE JUTTA würde ich dann immer noch Fragen stellen, die noch keiner gestellt hatte. Danke.

Die zwei anderen sind wichtiger. Zwei Regionen waren für DIE JUTTA wichtig. Frankfurt und der Bodensee. In der einen wuchs sie auf, in der anderen wollte - und hat sie - ihren Lebensabend verbracht, bis sie dann doch rasch wieder nach Frankfurt, ihrem eigentlichen Lebenszentrum, zog. Aber der Bodensee war ihr auch wichtig wegen der BREGENZER FESTSPIELE. Und jetzt kommt etwas für mich lebensgeschichtlich Wichtiges. Viele Jahr, ja Jahrzehnte lang traf ich zu den BREGENZER FESTSPIELEN zu den Premieren der Opern auf der Seebühne auf drei Kollegen aus Frankfurt: Jutta W. Thomasius, Wolfgang Kaus und Hans-Klaus Jungheinrich. Heute sind alle drei tot. Wolfgang Kaus, geb. 1935, vom VOLKSTHEATER starb krank im Juli 2018, Hans-Klaus Jungheinrich, geb. 1938, starb völlig überraschend im Schlaf im Dezember 2018. Und so ist das gemeint. DIE JUTTA, geb. 1923,  durfte sterben, auch der kranke Wolfgang Kaus durfte sterben, aber Hans-Klaus Jungheinrich nicht. Das ist eine Wunde bis heute. Und daß Jutta beide überlebte, andererseits auch wieder beeindruckend.

Nur ein einziges Mal saßen wir zu Viert nach einer Premiere in Bregenz am Tisch zusammen und es ging hoch her. Warum mir der FR-Kritiker Jungheinrich so nahe stand, hat ursprünglich mit seinen Kritiken zu tun, die immer das ausdrückten, was ich beim Schauen und Hören gefühlt hatte. Und noch viel mehr, so daß ich emotional und musikwissenschaftlich dazu lernte. Mit Jutta was das eine ganz andere Diskussion. Da lernte ich aber auch viel. Nämlich, daß Schein etwas anderes ist als Sein. Ich kannte sie ja aus Frankfurt doch in einer ganz anderen Richtung. Für mich war sie eine Gesellschaftsreporterin, die durchsetzungsstark Stimmung machte, was mir nicht immer gefiel. Aber dort in Bregenz lernte ich eine musikbegeisterte Frau kennen, die klug über Inszenierung, über Stimmen, über Musik sprach. Wolfgang Kaus hörte zu und federte ab, wenn es mal lauter wurde. Abgesehen davon, daß sie musikalisch viel versierter war, als ich gedacht hätte, war es denn auch die Frankfurter Herkunft, die uns dort einte. Denn immer wieder waren bei den Gesprächen die Frankfurter Dinge auch wichtig. Hier in Frankfurt hätten wir Vier nie zusammengesessen, aber in Bregenz schon. Das war schön.

Und jetzt kommt die dritte Sache. Die spielt im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Da war irgendeine der hochwichtigen Ereignisse, wo wir Journalisten nicht an den Seiten saßen, sondern hinten zusammengeballt standen. Das ist viele Jahrzehnte her. Ich trug ein sündhaft teures, gerade gekauftes Strickensemble. Da kam Jutta von rechts nach links, denn es deutete sich an, daß dort gleich was passierte. Sie preschte mit ihrer großen Tasche - sie trug immer die übervolle Riesenhandtasche - vorbei, die an mich schlug und mit dem Sporn des Verschlusses in mein Gestrickes fuhr, was Jutta nicht merkte, ich schon, denn sie führte ja den Faden meines Gewandes mit sich, einen Meter, zwei Meter, drei Meter... Mein Kleid wurde immer kürzer, der Faden hielt! Sie merkte es einfach nicht, bis Kollegen sie aufhielten, den Faden abpulten und ich mit ruiniertem Strick ganz rasch den Römer verließ. So war Jutta auch. Erst sehr viel später verstand ich, daß zu einem erfolgreichen Journalisten, einer erfolgreichen Journalistin auch ein Durchsetzungswille gehört, eine gewisse Härte, der andere beiseite wischt. Als ich ihr das in Bregenz erst 2010 erzählte, lachte sie nur. Ich auch.

Heute denke ich, da könnten noch viele Ensembles zerstört werden, was würde ich dafür geben, mit diesen drei Kollegen noch beisammensitzen zu dürfen. Mögen Sie alle drei in Frieden ruhen. 

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2013 erhielt sie den Hessischen Journalistenpreis
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