Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - „Individuelle Betreuung mit Familienanschluss“ verspricht die Kindertagespflege „Schatztruhe“ in Schlüchtern und Sinntal. Wir besuchten noch vor der Corona-Pandemie mehrfach die Tagesmutter Lamya Yaqona in der Schlüchterner Innenstadt, die Ende letzten Jahres nur die kleine Elisa betreute. Bis zum Ausbruch der Krankheitswelle betreute sie tagsüber wieder drei zweijährige Kinder.
Vor zehn Jahren flüchtete Lamya mit ihrem Mann und drei Kindern vor Bürgerkrieg und Terror gegen Christen nach Deutschland: „Wir wollten ja im Irak leben, aber es war so schwierig geworden: Immer war Krieg!“ Ihre Eltern und Geschwister durften in die USA und nach Kanada emigrieren, sie kam mit ihrer Familie über Syrien, durch die Unterstützung der UNO, in unser Land. Anfangs war sie traurig, hauptsächlich weil sie ihre Großfamilie verlor, aber auch weil es hier so kalt war und sie niemanden kannte. Als sie einmal deswegen weinte, meinte die damals zehnjährige Tochter Summer tröstend: „Ach Mama, wir sind doch hier in Sicherheit und können ohne Angst nach draußen gehen.“ Ihr Sohn war damals acht, die jüngste Tochter drei Jahre alt.
Die Fallmanagerin des Arbeitsamtes empfahl ihr 2014, sie könne doch - mit Unterstützung der fachlichen Leitung Kindertagespflege im Haus Petra - Tagesmutter werden. So wäre es möglich, eine berufliche Tätigkeit mit der Betreuung ihrer Kids verbinden. Im Irak arbeitete sie bereits als Lehrerin. Um hier Tagesmutter zu werden war es notwendig, noch einige Qualifizierungskurse zu besuchen und in einer Kindertagesstätte arbeiten. Außerdem musste sie zur Betreuung ein größeres Zimmer in der Wohnung einrichten. Anfangs durfte sie nur ein Kind nehmen, nun kann sie mittlerweile bis zu vier Tagesbetreuungen machen.
Die besteht aus dem gemeinsamen Frühstück und Mittagessen. Manchmal helfen auch die Kleinen beim Zubereiten, kneten Teig oder belegen die geliebte Pizza, gerne spielen sie das Essenkochen nach. Im Haus gibt es genug zum Entdecken und Anregungen zum Lernen, draußen gehen die Kids mit Lamya auf den Spielplatz oder üben Fahrradfahren.
Die Schlüchterner und Sinntaler Tagesmütter müssen im Jahr zwanzig Fortbildungsstunden nachweisen, die in der Regel das Haus Petra anbietet oder vermittelt. Darin werden pädagogische Fragen, Störungen der Entwicklung, musische Methoden und Walderkundung offeriert (wir berichteten).
„Grün, grün, grün sind alle meine Kleider...“ Es ist ein berührender „multikultureller“ Moment, als die Irakerin Lamya nebenan die kubanisch-deutsche Elisa wickelt und ihr dabei ein deutsches Kinderlied vorsingt. Natürlich betreut sie auch deutsche Kids, aber gerne bringen ausländische Eltern ihre Kinder vertrauensvoll in ihre Tagespflege. Ihre eigenen Youngsters spielen gerne mit den kleinen Gästen, es herrscht bei Lamya eine lebendige, anregende und familiäre Atmosphäre. Für manche Kinder ist es wahrscheinlich einfacher, sich hier in eine kleine Gruppe zu integrieren als in der großen, nicht so überschaubaren Kita. „Einige fühlen sich hier von Anfang an alleine wohl“, erzählt Lamya, „bei anderen muss ein Elternteil noch einige Wochen beim Eingewöhnen dabei sein.“
Die Tagesmutter ist immer noch Irakerin, der Sohn und die große Tochter Summer sind Deutsche geworden und fühlen sich hier zu Hause. Summer legte am Hutten-Gymnasium ihr Abitur ab und studiert nun an der Technischen Universität in Darmstadt Bauingenieur-Wesen. Ihre beiden Geschwister besuchen das gleiche Gymnasium. Einmal in der Woche kommt sie nach Schlüchtern zum Klavierunterricht in der katholischen Kirchengemeinde, in der ihre Eltern stark ehrenamtlich engagiert sind. Wenn Summer daheim ist, backt sie manchmal gerne Kuchen mit den Tageskindern.
Drei Fragen
an Dipl.-Sozialpädagogin Katja Stange, die Fachliche Leitung für die Kindertagespflege. Sie vermittelt zwischen den Tagesmüttern, die sie auch berät, und den Eltern.
Lamya kann in diesen Tagen keine Betreuung mehr anbieten?
Nein, denn das Corona-Virus betrifft auch Tagespflegestellen und es gelten die gleichen Regelungen wie für Kindertagesstätten.
Tagespflege ist kein Babysitten?
Es gibt einen klaren Bildungsauftrag, Interessierte müssen eine pädagogische Qualifikation beim Jugendamt absolvieren und sich jährlich weiterbilden. Sie können bei ihrer selbständigen Tätigkeit aber die Arbeitszeiten in Absprache mit den Eltern flexibel gestalten.
Sie suchen noch weitere Tagesmütter?
Wir haben derzeit 9 Tagesmütter, die etwa 46 Kinder betreuen. Der Bereich der Kindertagespflege wächst immer stärker und ist einerseits eine gute, flexible Alternative zur Kita-Betreuung, andererseits eine berufliche Alternative für junge Mütter bzw. Personen die sich beruflich verändern wollen und sich für den pädagogischen Bereich interessieren.
Wir suchen neue Tagesmütter, gerne auch Tagesväter, die Spaß an der Arbeit mit Kindern haben und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Grundvoraussetzung sind ein Hauptschulabschluss und geeignete Räumlichkeiten.
Fotos:
© Hanswerner Kruse
Info:
Kontakt mit Katja Stange, der fachlichen Leiterin der Kindertagespflege in den Kommunen Schlüchtern und Sinntal
Kontakt mit Katja Stange, der fachlichen Leiterin der Kindertagespflege in den Kommunen Schlüchtern und Sinntal