Serie: Das alte Motto bleibt auch zum 25 Jahre Jubiläum des Frankfurter Tigerpalastes neu, Teil 1/3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zugegeben, die rednerische Zugnummer des Tigerpalastes bleibt der umtriebige Alleskönner Johnny Klinke. Die Dame, eher im Hintergrund, ist verläßlich die künstlerische, seelsorgerische und überhaupt wunderbare Leiterin des Programms, Margareta Dillinger, der Dritte im Bunde heute Robert Mangold, Gastronomiestratege, der das Theaterrestaurant auf Sternkurs des Guide Michelin hält. Für uns ist das Jubiläum auch verbunden mit dem frühen Tod des Mitbegründers Matthias Beltz im Jahr 2002, unvergessen, der auch die aussagekräftige Überschrift mit der Abwandlung des Schlachtrufes der französischen Revolution erfand.

 

Diese letzte Variante war politisch-gesellschaftlich auch dadurch angebracht, daß die Brüderlichkeit, die Fraternité, angesichts der durchaus revolutionären Weiblichkeit einfach als Parole nicht mehr stimmig war (auch wenn wir alle genau wissen, daß Geschwisterlichkeit die Losung bleibt). Ach, Matthias Beltz! Man ist froh, wenn einem in der so liebevollen wie informativen Festtagsschrift gleich zu Beginn, wo es um die 25jährige Geschichte des Tigerpalastes und seine Vorgeschichte geht, das so pfiffige wie skeptische Gesicht des unglaublich wandelbaren Kabarettisten anschaut, der mit dem Tigerpalast eben nicht das Abenteuerspektakel und „Teil des Grandhotel 'Abgrund'“ und somit das zu Tode Amüsieren einer Gesellschaft, die schon alles hinter sich hat, verband, sondern das Varieté einband in den Begriff der KULTUR FÜR ALLE, den der damalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann nicht nur erfunden hatte, sondern politisch auch umsetzte.

 

Immer ging es beim Tigerpalast auch um eine durchaus politische Forderung unserer Zeit: den Sieg des Spirituellen über die Materie. Daß die Artisten dafür ihre Körper instrumentalisieren und schwerelos die unglaublichsten Aktionen in der Luft fertigbringen, denen wir mit offenem Mund zuschauen, hat eben auch die Absicht oder Folge, daß für unsereinen die Schwerkraft, die die meisten Leute nicht nur physikalisch nach unten zieht, aufgehoben wird, was eines der Wunderdinge im Tigerpalast ist. Nach solchen Vorstellungen geht man mutiger ins Leben. Nicht, was eigene Jongleurskünste angeht, sondern was als Stärkung des eigenen Rückgrats durch die Körperkunst der Auser- und Ausgewählten eintritt.

 

Natürlich kann man solche luftigen Sätze nur formulieren, wenn die Basis stimmt. Für die 25 Jahre Tigerpalast bedeutet das, die höchste Qualität bei den Vorstellungen nicht nur bei Premieren erlebbar zu machen, sondern die zwei Programme übers Jahr auch in den anderen Vorstellungen – zweimal täglich – zu garantieren. Und gerade in dieser Tatsache liegt das Wunder und Wunderbare dieses Frankfurter Varietés, dem man so sehr gewünscht hätte, daß seine Künstler noch heute im ehrwürdigen Schumann-Theater gegenüber dem Frankfurter Hauptbahnhof auftreten könnten, einem Jugendstiljuwel, das der Krieg zwar angegriffen, aber nicht zerstört hatte, was erst die Nachkriegsfrankfurter 1960 durch Abriß fertigbrachten – und diesmal nicht zugunsten von Hochhäusern, sondern äußerst langweiligen niederen Zweckbauten.

 

Der Hinweis ist aber wichtig, weil er zeigt, daß die Truppe um Johnny Klinke, der seine eigene Verbundenheit mit dem „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ der 68er Bewegung nie verleugnete, für Frankfurt in diesem Sinne gar nichts Neues erfand, sondern im Sinne von Traditionalisten die Güter der Vergangenheit wieder lebendig machte. Vielleicht ist es diesem dann doch die gesamte Gesellschaft erfassenden Umstand zu danken, daß der Tigerpalast auch zur Sache von Wohlhabenden und auch einer gewissen Schickeria wurde. Andernfalls hätte dieses Varieté auch niemals überlebt. Denn Hochkunst kostet auch hohes Geld und alleine das Aufrechterhalten der Örtlichkeiten verschlingt Unsummen.

 

Ach so, vom Geld haben wir zwar gesprochen, aber noch nicht davon, daß der TIGERPALAST eines der wenigen Privattheater ist. Kein Zuschuß von der Stadt noch Land, und solche, die Geld für die vielen unbekannten Helfer an den Premierenabenden aus ihrer Brusttasche bar und ohne Quittung dazuschießen, wie beispielsweise der Frankfurter Unternehmer und darum Wohltäter wie Claus Wisser, übrigens Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, gibt es sicher nicht viele. Na und wir trauen uns auch nur, das zu beschreiben, weil wir es mit eigenen Augen gesehen haben, auch wenn es dafür nicht gedacht war.

 

Wir tun es aber auch darum gerne, weil der Tigerpalast keine parteipolitische Angelegenheit ist. Da in den letzten 14 Jahren die Stadtregierung eine der CDU/FDP, dann der CDU/Grüne war, lag es nahe, daß deren politisches Personal sich bei den Premieren gerne eingeladen, sich auch gerne sehen ließ, denn tatsächlich ist ja der Tigerpalast, der einem internationalen Anspruch gerecht wird und internationale Künstler sowie ein weltweites Publikum besitzt, eben auch ein spezielles Frankfurter Ereignis. Dem hat Johnny Klinke bei der letzten Oberbürgermeisterwahl vor einem Jahr kurzfristig aus lauter Liebe zur damaligen Oberbürgermeister Petra Roth (CDU) dann doch einen leichten Tiefschlag versetzt, als er durch Zeitungsanzeigen zur Wahl ihres Nachfolgers aufrief.

 

Wir behaupten ja, daß gerade das zum Wahlerfolg des SPD-Bewerbers Peter Feldmann geführt hat. Auf jeden Fall ist der Mantel des Vergessens weit ausgebreitet, denn auch der – wie gesagt – Alleskönner und Allesredner Johnny Klinke darf einmal einen Fehler machen. Über den Tigerpalast hinaus, dessen Künstler über die 25 Jahre sowie die Premiere am 21. August wir gesondert bringen, hat er nämlich zusammen mit Margareta Dillinger der Frankfurter Öffentlichkeit weitere unvergeßliche Momente beschert. Am Sonntag, den 12. Juni 1994 erlebten zur 1200 Jahrfeier der Stadt Frankfurt rund eine halbe Million Einheimische und Besucher aus der ganzen Welt den HISTORISCHEN HOCHSEILLAUF mit Philip Petit von der Paulskirche, dem Wahrzeichen der deutschen Revolution und Parlamentarismus, bis zum mittelalterlichen Dom.

 

Dieser durch den damals illegalen Drahtseilakt zwischen den Türmen des World Trade Centers in New York 1974 bekanntgewordene französische Hochseilartist, ging seinen Weg auf dem 80 Meter hohen Seil allein, am Boden aber unter der Mitwirkung von 400 Musikern und Sänger. Ein unvergeßliches Erlebnis. Dasselbe gilt auch für LE FIL SOU/S LA NEIGE, internationaler Seiltanzkunst im Bockenheimer Depot, zum Einstieg in das erste Projekt des gerade gegründeten und heute erfolgreich arbeitenden Kulturfonds FrankfurtRheinMain. Das war damals das Thema: Expressionismus in der Rhein Main Region, das den heutigen deutlich machte, daß wir alle Zwerge sind, die auf den Schultern von Riesen, hier denen der 1910-30er Jahre den Vorteil haben, etwas weiter zu sehen, was einen nicht verführen darf, auf die eigenen Wurzeln unter den Füßen weniger zu achten. Insofern ist der Tigerpalast gerade richtig. Er ist ein Theater, das mit dem einen Bein von gestern daherkommt und mit dem anderen fest in der Zukunft verankert ist. Wir wünschen ihm für die nächsten 25 Jahre und mehr weiter gutes Gelingen. Fortsetzung folgt.