... und was sie nicht können – Eine persönliche Erfahrung
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) – »Diesseits von Babylon« – so die Überschrift eines Artikels in der Bremer »taz« (29.10.2029) über zwei afrikanische Studenten an der privaten Bremer Jacobs-Universität, die dort Data-Engineering im Master studieren und mit künstlicher Intelligenz Übersetzungsprogramme für afrikanische Sprachen entwickeln wollen. Davon gibt es auf dem Kontinent fast 2.000.
Eine heißt »Fon«, gehört zur Niger-Kongo-Sprachfamilie und wird im westafrikanischen Benin von der Mutter eines der Studenten benutzt, wenn sie mit ihrem Sohn kommuniziert, nie auf Französisch, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Der in Bremen studierende Sohn wollte seine Mutter besser verstehen, und kam auf die Idee, Technologie für den Erhalt afrikanischer Sprachen einzusetzen. Die »taz« zitiert ihn mit den Worten: »Der Schutz von Sprache ist ein Schutz von Kultur. Wenn du einem Menschen die Sprache nimmst, nimmst du ihm die Möglichkeit, sich auszudrücken. Was kannst du dann noch von ihm erwarten?«. Das Thema Sprache sei seit jeher wichtig in der Entkolonialisierungdebatte, zumal im anglo- und frankophonen Kontext, schreibt die »taz« und zitiert die französische Sprachvielfaltsforscherin Cécile Canut mit dem Hinweis, dass über die Sprache alte Machtstrukturen konserviert würden.
Tatsächlich ist mir kein afrikanisches Land bekannt, das nach Ende kolonialer Herrschaft zurückgekehrt wäre zur Sprache von Vorvätern und Vormüttern bei der Organisierung staatlicher Strukturen. In allen Institutionen ist die Sprache der Kolonisatoren Amtssprache geblieben, auch in Zimbabwe, wo ich fast 30 Jahre lange gelebt und gearbeitet habe. Dort lernte ich allerdings Probleme kennen, die infrage stellen, ob alte Sprachen den heute in Afrika lebenden Menschen helfen können, sich in der modernen Welt zurecht zu finden. Als Berater beim Aufbau einer kulturellen Radiostation während der Achtziger Jahre in Zimbabwe hatte ich zusammen mit meinen afrikanischen Kolleginnen und Kollegen mit diesem Problem umzugehen.
In meinem soeben beim Bremer Kellner-Verlag erschienenen Buch »Wie ich lernte, die Welt im Radio zu erklären« gehe ich darauf ein:
> Die zentrale Nachrichtenredaktion der Zimbabwe Broadcasting Corporation hat nie das von den Weißen benutzte System geändert, ihre Reporter anzuhalten, Meldungen auf englisch durchzutelefonieren. Das wird problematisch, wenn Robert Mugabe in bestem Shona eine Rede hält, deren Inhalt eher schlecht als recht vom Reporter auf englisch resümiert wird. Grotesk wird dann der Versuch, dieses Ergebnis für die nationalen Sprachendienste zurückzuübersetzen.
Ich organisiere ein Seminar über den Gebrauch nationaler Sprachen im Rundfunk und erfahre dabei zum Beispiel, dass schon die nahezu tägliche Übung, von der Niederlegung eines Kranzes durch einen Staatsgast am Ehrenmal der Gefallenen zu berichten, auf sprachliche Umsetzungsprobleme stößt: Shona legen keinen Kranz, keine Blumen am Grab ihrer Toten nieder, die Beschreibung bleibt den Hörern auf dem Lande unverständlich. Und wie übersetzt man die Erläuterung der Immunschwäche, hervorgerufen durch AIDS, in die Vernacular-Sprachen, oder den Begriff »short distance ballistic missiles«, gar nicht zu sprechen vom »Ozonloch« in der »Stratosphäre«, das unter anderem durch »Treibgase« in »Spraydosen« verursacht wird – und in absehbarer Zeit sowieso alle Bemühungen zunichte machen könnte, unsere irdischen Probleme noch rechtzeitig zu lösen.
Darüber hinaus schleppen Vernacular-Begriffe unbewusst koloniales Gedankengut in die nächste Generation. Der Shona-Ausdruck für Weiße oder Europäer zum Beispiel heißt »Murungu«. »Murungu« nannten die kolonialisierten Shona aber zuerst diejenigen, die ihnen Arbeit auf den Großfarmen verschafften. Die Verwendung dieses Ausdruckes lässt sich nicht trennen von diesem Abhängigkeitsverhältnis – und so schreibt sich diese Interpretation fort in einer Erlebniswelt, in der ja tatsächlich die Weißen in der Regel noch immer die Arbeitgeber von Schwarzen sind. Und übrigens: Der Shona-Ausdruck für »Oppositionsführer« wird verstanden als »Hauptfeind der Regierung«.
Mit gemischten Gefühlen unterstütze ich also die Empfehlung des Seminars, ein Handbuch über den Gebrauch von Shona und Sindebele im Rundfunk zu produzieren. Im Nachbarland Mozambique gibt es 29 verschiedene Sprachgruppen, in Zimbabwe sendet der Bildungskanal Radio 4 – zu unterschiedlichen Anteilen – schon in sieben nationalen Sprachen, wobei die Nachrichten doch nur jene erreichen, die Englisch, Shona oder Sindebele verstehen. Wer entscheidet, welche Bevölkerungsgruppe das Privileg erhält, sich in ihrer Sprache mit der modernen Welt auseinanderzusetzen? Ist das überhaupt in allen Sprachen möglich – und nützlich?
Ich denke an B. Traven und sein großartiges Buch »Land desFrühlings«, in dem er – nach vielen Jahren des Zusammenlebens – die Partei der Indios im mexikanischen Chiapas ergriff, ihre Solidargemeinschaften beschrieb und die soziokulturellen Hintergründe für seine Chiapas-Romane lieferte – eine einzige Anklage gegen die Unterdrückung der Indios durch weiße Hacienderos und Mestizen-Händler. Und dennoch empfahl Traven seinen Indio-Freunden, nicht in einem »Freilicht-Museum« zu leben, vielmehr ihre Sprachen »einzusalzen« – sie keinesfalls zu vergessen, aber sich daneben die Sprache der Großgrundbesitzer, Industriellen, Händler und Behörden anzueignen. Traven, der Realist, nannte als simples Beispiel das Problem eines Indios, den spanischen Text eines Vertrages zu verstehen, mit dem er sich zur Landarbeit verpflichtete, auf dem selben Stück Land, das ihm mit einem anderen Vertrag zuvor weggenommen worden war. <
Foto:
© Klaus Jürgen Schmidt / www.radiobridge.net