Yves Kugelmann
Berlin (Weltexpresso) - Da war doch was! Genau. Die rechtsstaatliche Demokratie. Sie ist stärker denn je und wird weite Sprünge nach vorne machen in diesen Monaten. Der Deutsche Reichstag ragt an diesem Donnerstag in der Herbstsonne. Einst Ort des Schreckens, heute Raum der Demokratie und an diesem Tag Ort der Debatte um die Massnahmen der Bundesregierung zur Eingrenzung der zweiten Covid-19-Welle. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt sich. Die Debatte ist eröffnet.
Die geforderte Demokratie, die in den ganz guten Zeiten so belächelt und vernachlässigt wurde.
Was Frankreichs Präsident falsch machte nach den Attentaten von Nizza und Lyon, macht der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz richtig: in Reaktion auf das Attentat von Wien von letztem Dienstag be-nannte er die Feinde der offenen Gesellschaften: Extremismus und Terrorismus. Er einte, zusammen mit Innenminister Karl Nehammer, eine Gesellschaft. Er schloss noch am Dienstagabend Antisemitismus als eines der Tatmotive nicht aus und stellte sich an die Seite der jüdischen Gemeinschaft. Er verharrte nicht im französischen Reflex, das Ab-stractum der Grande Nation und der nicht defnierten Freiheit anzurufen – sondern den verfassungsmässig formulierten Gesellschaftsvertrag. Für den Österreich und die meisten rechtstaatlichen Demokratien, letztlich die liberalen Demokratien, stehen.
Rund Dreiviertel von Amerikas wählenden Jüdinnen und Juden haben demokratisch gewählt, mehr noch als bei den Wahlen vor vier Jahren. Jüdische Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich erfolgreich um Einsitz im US-Kongress. Es ist mehr als das Korrektiv nach einer beispielslosen Welle von Antisemitismus unter der Regentschaft Donald Trumps. Es ist die Rückbesinnung auf einen langen, schwierigen Weg von Amerikas Verfassung aus dem Jahre 1776, die Gleichberechtigung forderte und Schritt für Schritt einzulösen versucht. Das werden auch Populisten nicht ändern können. Höchstens Bevölkerungsmehrheiten. Das apokalyptische Filmepos «Joker» nahm Entwicklungen voraus, die nicht eintreten werden, auch wenn sie greifbar werden in diesen Tagen.
Das Protokoll des Wahnsinns letztlich ist eigentlich die nüchterne Frage nach der liberalen Gesellschaft. Steht sie am Ende einer kurzen, raschen, florierenden und zu naiven Entwicklung, oder ist sie eines der erfolgreichsten gesellschaftlichen Experimente der Menschheitsgeschichte? Die amerikanischen Jüdinnen und Juden haben die Frage längst beantwortet. Die europäischen und israelischen sollten Lehren daraus ziehen.
Foto:
©
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. November 2020
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Rund Dreiviertel von Amerikas wählenden Jüdinnen und Juden haben demokratisch gewählt, mehr noch als bei den Wahlen vor vier Jahren. Jüdische Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich erfolgreich um Einsitz im US-Kongress. Es ist mehr als das Korrektiv nach einer beispielslosen Welle von Antisemitismus unter der Regentschaft Donald Trumps. Es ist die Rückbesinnung auf einen langen, schwierigen Weg von Amerikas Verfassung aus dem Jahre 1776, die Gleichberechtigung forderte und Schritt für Schritt einzulösen versucht. Das werden auch Populisten nicht ändern können. Höchstens Bevölkerungsmehrheiten. Das apokalyptische Filmepos «Joker» nahm Entwicklungen voraus, die nicht eintreten werden, auch wenn sie greifbar werden in diesen Tagen.
Das Protokoll des Wahnsinns letztlich ist eigentlich die nüchterne Frage nach der liberalen Gesellschaft. Steht sie am Ende einer kurzen, raschen, florierenden und zu naiven Entwicklung, oder ist sie eines der erfolgreichsten gesellschaftlichen Experimente der Menschheitsgeschichte? Die amerikanischen Jüdinnen und Juden haben die Frage längst beantwortet. Die europäischen und israelischen sollten Lehren daraus ziehen.
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. November 2020
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.