Protokoll einer Begegnung
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Als ich das Restaurant im Übersee-Museum betrete, sitzt sie schon in der hinteren Ecke und strickt. Den Treffpunkt hatte ich vorgeschlagen, weil er leicht vom Hauptbahnhof zu erreichen ist und sie mit dem Zug aus Bremen-Nord kommen würde. Von dort hatte sie mir eine Mail geschickt. Beim Bremer Bürger-Radio habe sie erfahren, dass ich geholfen hätte, in Zimbabwe eine Radiostation aufzubauen, das wolle sie jetzt auch.
Sie schrieb auf Englisch und den Namen des Landes mit „Z“. Deutsche schreiben ihn mit „S“ = „Simbabwe“, auch die Deutschen seinerzeit in der DDR. Bevor ich ihr antwortete, hatte ich im Internet erfahren: 1978 war Nomazulu Thata in die DDR gebracht worden. Nach Peinigungen als kleines Mädchen in der Heimat hatte sie es mit Fluchthelfern bis nach Sambia geschafft, ermutigt durch ihre Mutter, die das intellektuelle Potenzial ihrer Tochter erkannte. Die DDR offerierte damals jungen Afrikanerinnen und Afrikanern die Möglichkeit, zu studieren. Einer Bremer Tageszeitung hatte sie erzählt:
> Sie selbst habe in Leipzig innerhalb eines Jahres Deutsch gelernt und danach in Nordhausen ihr Abitur mit den Schwerpunkten Mathematik, Chemie und Physik nachgeholt. Es folgte der Abschluss in Metallhüttenkunde an der Fachhochschule Hennigsdorf. „Und 1984 habe ich mich in Westberlin an der Technischen Universität immatrikuliert, weil ich noch auf Hochschulniveau studieren wollte“. <
Unter jeder ihrer mails, die ich von ihr erhalte, steht aber etwas, das nichts mit dem zu tun hat, was sie in der DDR gelernt hat, sondern mit dem, was ihr als kleines Mädchen in ihrer afrikanischen Heimat widerfahren war:
My service to women and girl-children are my uttermost objectives to live for!
„Mein Dienst für Frauen und Mädchen ist mir das Wichtigste im Leben!“
Jetzt bereden wir ihren Plan, für Frauen und Mädchen in Zimbabwe ein Radioprogramm zu konzipieren, das diesen helfen soll, überkommene Korsetts abzuwerfen, miteinander ins Gespräch zu kommen, und das vorbei an staatlichen und traditionellen Zensurmaßnahmen. Wir reden über Inhalte, über zu verwendende Technik, über mögliche Partner.
In London gäbe es eine staatlich unterstützte Agentur, die möglicherweise an ihrem Projekt interessiert sei. Ich hätte mir erlaubt, ihr erstes Planungspapier der Tochter nach London zu mailen. Conny arbeite dort als Architektin und habe einen großen Bekanntenkreis, darunter viele, die sie noch aus ihrer Zeit in Zimbabwe kenne.
„Conny? — Conny Schmidt?“
Nomazulu Thata hat ihr Strickzeug fahren lassen.
Ich gerate aus dem Konzept und beobachte eine Weile, wie sie in ihrer Erinnerung kramt. Auf Englisch dann die nächste Frage:
„Did she study at TU in Berlin?“
„Ja, sie hat Architektur an der Technischen Universität in Berlin studiert.“
„Aber dann ...“ und sie spricht hastig auf Deutsch weiter, „dann war es Deine Tochter, die mein Baby auf ihren Armen von Harare nach Berlin zurückgebracht hat!“
Mein Stuhl fällt um. Ich bin aufgesprungen. Sofort steht mir die Situation vor Augen ... das Baby, das begleitet von einem deutschen Freund im Flugzeug aus Berlin nach Zimbabwe gebracht worden war, um es bei Verwandten der Mutter abzuliefern ... der Aufstand am Flughafen, als die von der zimbabweschen Botschaft für das Baby ausgestellten Reisepapiere beim Einreiseversuch nicht anerkannt werden, es sollte zusammen mit dem Freund im selben Flugzeug nach Deutschland zurückgeschickt werden ... die Verhandlungen des von mir alarmierten deutschen Botschaftsvertreters, der erklärt, wenn die zimbabweschen Botschaftspapiere in Harare nicht anerkannt würden, dürfe das Baby auch nicht mehr in Deutschland einreisen, es wäre dann staatenlos ... schließlich das Eingreifen eines von den Verwandten alarmierten Regierungsmitglieds ... und dann das Baby, das schließlich nach einigen erlaubten Wochen bei den Verwandten wieder zur Mutter nach Berlin zurückfliegt, diesmal in den Armen unserer Tochter, die dort studiert ...
Nomazulu Thata holt ein Foto heraus. Das Baby von damals ist heute 29 Jahre alt und macht gerade in Marburg seinen Doktor, erfahre ich. Und mir fällt ein, wahrscheinlich weiß ich nach 27 Jahren Leben und Arbeiten in Nomazulus Heimat mehr über die Zustände in Zimbabwe als dieser junge Mann, dessen Heimat nun Deutschland ist.
Und ich schlage einen weiteren Partner für Nomazulus Radioprojekt vor. Es würde vielleicht Sinn ergeben, sage ich, jene mitzunehmen, die daheim schon angefangen haben, ihre Rolle in den verkrusteten traditionellen Strukturen zu überdenken:
Männer!
Vor knapp zwanzig Jahren hätten sich ein paar zusammengetan, darunter Eddington, ein guter Freund und Kollege bei eben jener Radiostation, die ich half, mit aufzubauen. Von „PADARE“ — so der Name der mittlerweile etablierten Organisation — hätte ich allerdings erfahren, dass mein Freund nach London emigriert sei.Aber ich gebe Nomazulu die eMail-Adresse des neuen PADARE-Vorsitzenden in Harare. Nach wenigen Tagen kommt von dort die Antwort:
Dear Nomazulu,
Thank you for reaching out to us. My organisation is always on the lookout for opportunities that further gender justice in Zimbabwe. I am interested to know more about the project and I am very much willing to assist in any way that I can towards its success.
„Liebe Nomazulu, danke für den Kontakt mit uns. Meine Organisation sucht ständig nach Möglichkeiten, um Geschlechter-Gerechtigkeit in Zimbabwe voranzubringen. Ich möchte gerne mehr erfahren über das Projekt, und ich bin nur zu gerne bereit, es zu unterstützen und zum Erfolg beizutragen.“
Und unter der mail aus Harare steht noch eine Zeile — das Motto von PADARE:
MEN OF QUALITY ARE NOT AFRAID OF EQUALITY
„Männer von Qualität haben keine Angst vor Egalität“
http://www.padare.org.zw/
"INKOMPATIBEL"
Heimerziehung und das Leben danach (2018)
Ein Film über die lebenslangen Folgen von Heimerziehung. Über die fehlende Vorbereitung auf das Leben außerhalb. Über ein System, das kaputt ist. Und über das, worüber sonst keiner berichtet.
Idee und Erzähler: Armin Emrich, Berlin-Lichterfelde.
Heimerziehung und das Leben danach (2018)
Ein Film über die lebenslangen Folgen von Heimerziehung. Über die fehlende Vorbereitung auf das Leben außerhalb. Über ein System, das kaputt ist. Und über das, worüber sonst keiner berichtet.
Idee und Erzähler: Armin Emrich, Berlin-Lichterfelde.
Armin war der Freund, der seinerzeit Nomazulus Baby nach Harare gebracht hatte.
https://das-leben-danach.com/
https://das-leben-danach.com/2018/07/09/katastrophale-zustaende-was-in-deutschen-kinderheimen-falsch-laeuft-heimerziehung-ist-nach-wie-vor-ein-lukratives-geschaeft/
Fotos:
© KJS / zitierte Webseiten
Info:
http://ntombilangaradio.de/nomazulu-thata/