Bildschirmfoto 2021 01 09 um 00.04.17DAS GESPRÄCH DER WOCHE

Redaktion

Gießen (Weltexpresso) - Tobias Kempff (47, im Foto) leitet den Pflegebereich auf der pneumologischen Intensivstation am Universitätsklinikum Gießen. Er gehört zur Gruppe mit der höchsten Priorität für die Corona-Impfung – und hat sich auch bereits impfen lassen.

WELT: Herr Kempff, wie kamen Sie zu Ihrer Corona-Impfung?

Kempff:  Bei uns am Uniklinikum haben die Mitarbeiter eine Email bekommen. Eine Klinik kann nicht selbst bestimmen, wer geimpft wird, da gibt es Vorgaben vom Ministerium. Ich bin die Pflege-Stationsleitung auf der pneumologischen Intensivstation und in der ersten Priorisierungsgruppe, weil ich in Kontakt mit Covid-Patienten bin. Durch die Benachrichtigung konnte ich auf einem Online-Portal einen Impf-Termin machen und mir auch gleich das Aufklärungsmaterial durchlesen. Ich wurde am 28. Dezember in unserem Klinikum geimpft, gleich morgens um 9 Uhr. Ich habe auch direkt meinen Impf-Anschlusstermin für in drei Wochen bekommen.


WELT:  Was bedeutet die Impfung für Ihre Arbeit auf der Intensivstation?

Kempff:  Vorerst verändert es meine Arbeit nicht. Ich schütze mich genauso wie vorher auch. Als pflegerische Stationsleitung bin ich oft vor den Patienten-Zimmern. Da trage ich die FFP2-Maske. Ab und zu muss ich natürlich in die Zimmer gehen, da schütze ich mich genauso wie zuvor mit Schutzausrüstung und werde mich auch weiter so schützen. So machen das auch meine Kollegen.


WELT: Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie geimpft worden sind?

Kempff:  Meine Mutter beispielsweise war sehr froh. Sie hat große Angst um mich. Meine Mutter ist 80 Jahre alt und wir sehen uns seit März sozusagen nur über den Gartenzaun. Jetzt haben wir die Hoffnung, dass wir bald wieder engeren Kontakt miteinander haben können. Meine restliche Familie war natürlich auch erleichtert. Und die Kollegen haben sich mit mir gefreut und sich auch impfen lassen. Ich denke, dass bei uns auf der Station die Impfbereitschaft sehr hoch ist.


WELT:  Wie ist denn die Lage dort auf Ihrer Intensivstation?

Kempff: Auf unserer Station haben wir 22 Betten für Covid-Patienten und acht für andere Intensiv-Patienten. Wir sind seit März im Dauerbetrieb und haben auch den Sommer durchgemacht, in verschiedenen „Eskalationsstufen“. Das ging von sechs Covid-Patienten über zehn, dann vierzehn bis zu zweiundzwanzig Patienten. Jetzt sind wir mittlerweile in der elften Woche, in der wir im Vollbetrieb mit 22 Covid-Patienten sind. Das Personal ist natürlich belastet. Wir haben derzeit eine Planung von Woche zu Woche. Manchmal mache ich selber ein riesiges Kreuz im Kalender, wenn eine Woche vorbei ist.


WELT: Wie gehen Sie und Ihre Kollegen mit dieser Maximalbelastung um?

Kempff:  Mich berührt es Tag für Tag, was die Kollegen hier leisten, nicht nur bei uns auf der Station. Hier geht jeder an seine Grenzen. Was mich ärgert ist, dass es in jedem Krankenhaus derzeit in Deutschland rund geht. Und draußen wird diskutiert, ob es richtig ist, dass man Kontaktbeschränkungen macht. Natürlich ist das richtig, denn es sterben einfach zu viele Menschen.


WELT:  Hätten Sie mehr Unterstützung erwartet?

Kempff: Im pflegerischen Bereich gab es große Unterstützung von den Kollegen von anderen Stationen in unserem Hause. Die erste Welle hat uns wirklich hart getroffen. Allerdings für das Gesundheitsministerium nicht hart genug, denn wir haben die Corona-Prämie nicht bekommen. Wir gehörten zu den rund 70 Prozent der Kliniken, die den festgelegten Verteilungsschlüssel nicht erfüllt haben. Darin wurde bestimmt, dass kleinere Einrichtungen bis Ende Mai des letzten Jahres 20 Covid-Patienten fertig behandelt haben mussten und größere Einrichtungen ab 500 Betten wiederum 50 Patienten. Das war bei uns nicht der Fall, weil wir sogenannte „Langlieger" hatten, die wir erst im Oktober entlassen konnten.


WELT:  Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kempff: Ich wünsche mir, dass die Kollegen weiterhin so motiviert bleiben, wie sie es im Moment sind. Auch wenn es derzeit anstrengend ist, arbeiten wir alle sehr gerne in unserem Bereich, das darf man bitte nicht falsch verstehen. Wir haben schon immer auf der Intensivstation im Team gearbeitet, aber jetzt ist das noch viel intensiver geworden. Das ist ein Hand-in-Hand-arbeiten. Ich wünsche mir, dass das über diese Zeit hinaus bleibt.  Außerdem wünsche ich mir, dass die Gesellschaft auch ihren Eindruck vom Pflegepersonal behält, den sie jetzt gerade hat.

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Quelle: Pressestelle Uniklinikum Gießen Marburg

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