Bildschirmfoto 2021 02 03 um 00.16.59Öffentliche Sorge um noch stärkere Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Coronapandemie

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Doch, ich denke die ganze Zeit daran, daß man über Warnzeichen, die man mitbekommt, über das ihnen zugrundeliegende tiefergehende gesellschaftliche Problem reden und schreiben müßte: die Zunahme von Gewalt, wenn Familien oder auch nur Paare zu Hause auf sich gestellt sind.

Die gestrige Frankfurter Rundschau brachte zwar auf ihrer erste Seite „GEWALT BEGINNT NICHT MIT DEM ERSTEN SCHLAG“ Jeden Tag fürchten Hunderte Frauen in der Partnerschaft um ihr Leben. Ein Gespräch über falsch verstandene Männlichkeit, Schwächen der deutschen Justiz und eine Gesellschaft, die wegschaut.“ Seiten2/3

Gespannt schlug ich um und fand zwei passable Interviews mit einer Rechtsanwältin , die vor allem Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, bei Scheidungen vertritt, und einem Mann, der betroffenen Männern anbietet: „Beratung für Männer – gegen Gewalt“. Wie gesagt, interessant, wenn die Scheidungsanwältin sagt: „Es wird oft gefragt, warum sich die Frau nicht trennt, aber seltener, warum der Mann nicht mit der Gewalt aufhört“, aber über die zwei Interviews hinaus gibt es keinerlei Information über das Ausmaß der Gewalt, bzw. die Zunahme. Und eigentlich würde man auch Zahlen von 2020 erwarten, wo ja die häuslichen Auswirkungen von Gewalt in Coronazeiten inbegriffen wären. Daß 301 Frauen von ihren Männern 2019 getötet wurden, ist Fakt und – so steht es dort – das Bundeskriminalamt spricht von 114 903 Fällen, in denen Frauen Opfer von Gewalt, sexueller Nötigung oder Bedrohung durch Männer. Ich vermute mal, daß in diesem Bereich die Dunkelziffer besonders hoch ist. Das schon mal deshalb, weil die meisten Frauen sich immer noch schämen, anderen davon zu sprechen, daß sie von ihren Männern geschlagen und verletzt werden, erst recht scheuen sie die Anzeigen. Das ist alles bekannt. Aber was tun?

Auf jeden Fall gehört die Richterin wegen Strafvereitelung angezeigt, die in einem Verfahren, wo die Frau die Beweise in Form von Fotos, Gutachten von der Gewaltambulanz dem Gericht vorlegte, dann davon sprach, es habe Gewalt von beiden Seiten gegeben, weil sich die Frau gegen die Schläge gewehrt hatte. Wie? Wird ein Mann nur dann bestraft, wenn die Frau sich alles gefallen läßt. Wozu ist der Begriff Notwehr erfunden worden, fragt man sich doch.

Ich selbst hatte zwar immer Artikel über Gewalt gegen Frauen und die wenigen Frauen, die Männer schlagen in der Publizistik lesend verfolgt, aber es war im Gegensatz zur metoo-Bewegung nichts, wo ich absolut mitsprechen kann, eben kein eigenes Erleben, das zum direkten Handeln, was bei Journalistinnen eben das Schreiben ist, hätte führen müssen.

Bis ich im letzten Jahr das mich erschütternde Buch von Antje Joel las: PRÜGEL. EINE GANZ GEWÖHNLICHE GESCHICHTE HÄUSLICHER GEWALT, bei Rowohlt erschienen. Erschüttert war ich deshalb, weil diese Autorin mir vorkam, wie ich mich oder meine Freundinnen oder Kollegen erlebe, selbstbewußt und als Frau in keiner Weise minderwertig Männern gegenüber. Eher das Gegenteil...

Ich fragte mich damals, warum ich solche Erfahrungen nicht habe; mir wurde aber, auch beim Lesen, klar, daß sich schlagende Männer oder auch gewaltbereite Männer an solche Frauen wie mich gar nicht heranwagen, anders ausgedrückt, ich wäre gar nicht spannend für sie, weil sie spüren, daß sie kein Opfer vor sich haben,nicht landen können.

Besser, als ich dies vor einem Jahr, am 7. Februar 2020, in zwei Artikeln ausgedrückt hatte, kann ich es nicht, deshalb hier zum Lesen die Links

https://weltexpresso.de/index.php/buecher/18335-die-fesseln-der-unglueckseligkeit_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/18336-wird-er-sich-aendern_544


Was mir aber darüber hinaus wichtig ist, daß wir uns um die Kinder sorgen müssen, die in solchen Verhältnissen groß werden, die zudem künftige Opfer wie auch künftige Täter produziert. Sie brauchen Hilfe, brauchen Ansprechpersonen, brauchen Schutz. Wir greifen das Thema wieder auf!
 
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Info:
Antje Joel
"PRÜGEL - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt"
Rowohlt 2020 (rororo)
256 Seiten, 12 Euro
 ISBN 978-3-499-68043-4

Blicke, Worte, Fäuste.
Jeden Tag versucht allein in Deutschland ein Mann seine Partnerin zu ermorden, jeden zweiten Tag ist einer erfolgreich. Jede dritte Frau erfährt Gewalt durch ihren Partner. So auch Antje Joel. Mit 16 lernt sie ihren späteren Mann kennen. Er schlägt sie nach wenigen Monaten. Ihre Eltern sagen, was sie von vielen Seiten hören wird: "Selbst schuld!" Sie empfindet es auch so und kehrt zu ihm zurück. Wieder und wieder. Antje Joel erzählt, was Frauen in Gewaltbeziehungen treibt und sie darin gefangen hält. Und wie sie sich schließlich doch befreit hat.