Ein Prachtstück steht im Nordschwarzwald
Sabine Zoller
Bad Herrenalb (Weltexpresso) - Die Stechpalme ist der „Baum des Jahres 2021“ und ein besonders stattliches Exemplar der immergrünen Laubbaumart ist in Neusatz im Nordschwarzwald zu bestaunen. „Den habe ich von ganz klein an hochgezogen“, erklärt Elisabeth Höll im Bad Herrenalber Höhenort und freut sich über den knapp drei Meter hochgewachsen Baum in ihrem Vorgarten, der frisch formiert fast wie ein leuchtend grüner Lampenschirm als Gartenkunstwerk wirkt.
„Formieren nennt man den Schnitt in der Gärtnersprache“, so der Tenor der fachkundigen Gartenliebhaberin, die statt einer wild wuchernden Pflanze nun ein stylisch eindrucksvollen Baum präsentiert und mit einem Lächeln hinzufügt: „Weil mich die Stacheln am Stamm gestört haben, habe ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer fleißig die Auswüchse abgeschnitten.“ Das lässt nur annähernd vermuten, mit wieviel Zeit und Leidenschaft das eindrucksvolle Chmuckstück über Jahre hinweg ihre Pflege erhalten hat. „Das will ein Busch werden, aber das darf es bei mir nicht“, so die agile Seniorin, die zudem darüber Auskunft gibt, dass die Stechpalme aus vielen Seitenästen heraus buschig in die Breite wächst und mit den unangenehm spitzen Stacheln an den Blättern eher als strauchartiges Gehölz, denn als Baum bekannt ist.
Dass nun ausgerechnet diese Pflanze zum „Baum des Jahres“ gekürt wurde, hat einen ganz besonderen Grund. Ursprünglich aus einem subtropischen Klima stammend hat sich die Stechpalme den veränderten Klimaverhältnissen angepasst und wird als Paradebeispiel für gelebten Artenschutz in diesem Jahr von der „Baum des Jahres Stiftung“ in den Fokus gerückt. Nachdem zudem Naturschützer und Forstleute in den 1920-er Jahren auf den dramatischen Rückgang der Stechpalme reagiert und die Pflanze unter besonderen Schutz gestellt hatten, haben sich die Bestände mittlerweile wieder erholt. Ursache dafür waren die im 19. Jahrhundert beliebten Dekorationen zur Weihnachtszeit, da in der dunklen Jahreszeit das grüne Laub und die roten Beeren die Farben der Hoffnung und der Liebe verkörperten und somit die Stechpalme in ganzen Wagenladungen aus den Wäldern abtransportiert wurde. Obwohl der mit lateinischem Namen als „ilex aquifolim“ benannte Baum schon unter den Botanikern des 16. Jahrhunderts als Stechpalme bekannt ist, sorgt diese Bezeichnung heute eher für Irritationen, da der Name „Ilex“ gebräuchlicher geworden ist.
Die so gar nicht passende Beschreibung als Palme hängt mit der christlichen Tradition zusammen, bei der am Sonntag vor Ostern, dem Palmsonntag, mit einer Prozession an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert wird. Jesus war damals mit Palmwedeln begrüßt worden. Da es aber in Mitteleuropa keine Palmen gibt und auch anderes Grün zu dieser frühen Jahreszeit kaum vorhanden ist, wurden Sträuße aus Zweigen der Stechpalme zum kirchlich geweihten Ersatz. Bereits Johann Wolfgang von Goethe reimte darauf einen passenden Vers und nutzte das Holz des gesegneten Baumes als Spazierstock, den er von seiner großen Liebe Marianne von Willemer als Geschenk erhalten hat. Das Holz der Stechpalme ist gleichmäßig, hart und feinfasrig und war begehrt für wertvolle Einlegearbeiten. Während die satt dunkelgrün glänzenden Blätter aufgrund ihres stimulierendem Inhaltsstoffes Theobromin als Tee getrunken wurden, sollen die giftigen Früchte gelegentlich als Abführmittel eingesetzt worden sein. Heute ist die Stechpalme geschützt. Die roten Beeren bilden eine beliebte Nahrungsgrundlage für nektarsuchende Insekten und Vögel und Elisabeth Höll freut zudem darüber, dass die letztgenannten gerne den Nistkasten im immergrünen Dickicht der stacheligen Blätter nutzen.
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