IMG 0551Zwischen Illusion und Wirklichkeit

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Ganz früh dran ist die Zaubernuss. Sie blüht mitten in Winter und kringelt ihre knallgelben schmalen Blüten zu leuchtenden Kugeln, während andere Sträucher noch im tiefen Winterschlaf liegen. Von den Schneeglöckchen will ich nicht reden, die scheinen sich überhaupt nicht an die Jahreszeiten zu halten. Während der  Magnolienbaum  seine Knospen um die Blüten noch wie einen  schützenden Mantel geschlossen hält,  tun die sich längst gütlich an der frischen Winterluft.

Eines Tages dann brechen am Magnolienbaum  die Knospen an der Spitze allmählich  auf und geben uns eine Ahnung von der  majestätischen Pracht, die uns mehrere Tage lang blenden wird; es sei denn eine Frostnacht bereitet dem Zauber mir grober Hand eine Ende und verwandelt die  Blütenblätter von einer Stunde auf die andere in braune Lappen. Kurze Zeit  baumeln sie dann noch traurig am Ast, bevor der Wind sie zum Missvergnügen manches Zeitgenossen auf die Gehwege weht.

Unterdessen hat die Zierjohannisbeere am Küchenfenster sich ihrer leuchtenden Ampeln entledigt, während unten am Boden das „Tränende Herz“, dem ein unvorsichtiger Gärtner beim Mähen den Garaus gemacht hat,  die Nasenspitzen aus dem Gras hebt, um zu signalisieren, dass hier demnächst etwa ganz Besonders  auf sich aufmerksam machen möchte. Der weiße Rhododendron daneben kann solche Zukunftssorgen nur belächeln. Er weiß, dass ihm den Rang als Frühblüher so schnell niemand streitig machen kann. Ein paar Tage protzt er mit seinen  prallen Knospen, ehe er den Bienen seinen Blütenstaub zum Weitertransport anbietet.

Einen festen Part im Blütenreigen rund um das Haus haben der blaue und der weiße Flieder. .Auf sie ist unabhängig vom Wetter immer Verlass, nicht nur als Augenschmaus, sondern auch des  Duftes wegen, den  beide verströmen. Neben ihnen behauptet sich die ockerfarbene Azalee, mit der es eine besondere Bewandtnis hat. Als das Grab der Mutter meiner Frau aufgelassen wurde, habe wir die kleine Staude ausgegraben und mit nach Bremen genommen, wo sie uns  alljährlich mit ihrer Blütenpracht erfreut.

Sie tut das ungefähr zur selben Zeit, da sich der große rote Rhododendron herausputzt und den Garten überstrahlt. Er steht zum Teil unter einem Blutpflaumenbaum und muss deshalb das segensreiche Nass von oben zum Teil entbehren, bedarf also unserer Hilfe, wenn der Regen mal längere Zeit ausbleibt. Dann hänge ich den Schlauch der Gartenpumpe für ein paar Stunden in die Zweige und freue mich an dem sanften Geplätscher. So helfen wir auch einer gelben Azalee direkt daneben, die vor allem wegen ihres betörenden Honiggeruchs jedes Jahr von sich reden macht. Im wieder sauge ich dann mit tiefen Atemzügen den paradiesischen Duft in mich hinein und wähne mich in überirdischen Gefilden.

In der Nähe des Apfelbaumes am Grenzzaun in Nachbars Garten, von dem noch die Rede sein wird, behauptet sich zwischen Forsythien und Buntblatt ein mittlerweile drei Meter hoher Rhododendron, ein Denkmal seiner selbst. Seine Blüten sind blassblau mit einem Stich ins Rötliche. Vor Jahrzehnten stand er im Vorgarten, wo er nach Ansicht meiner Frau nicht hinpasste.  Ich grub ihn aus und verscharrte den Wurzelstock an einer abgelegenen Stelle an Nachbars Zaun. Aber der blassblaue Rhododendron war zählebig. Nach zwei oder drei Jahren reckte er die ersten Äste aus dem Boden und konnte sich fortan unserer Zuneigung sich sein.

Auch dem Apfelbaum in Nachbars Garten, dessen blühende Krone unser Herz immer wieder höher schlagen läßt, schien eines Tages, besser gesagt, eines nachts, die letzte Stunde geschlagen zu haben. Als schämte er sich seiner Gebrechlichkeit brach während der Dunkelheit  seine Krone ab und krachte auf den Boden.  Traurig sah er aus, so traurig, dass ich den Nachbar bat, ihm noch eine Chance zu geben. Der Baum hat sie genutzt. Er entwickelte eine neue Krone und erfreut uns seit Jahren mit seinen üppigen Blüten. Darunter leuchtet ihm zu Ehren einen Azalee, deren Blüten rot sind wie  Blut. An zwei oder drei Tagen im Jahre  treffen in den frühen Morgenstunden ein paar Sonnenstrahlen diese Blüten und verwandeln Illusionen in schiere Wirklichkeit.

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