umwelt228492b3c935Theologische Gedanken zur Überschwemmung

Thorsten Latzel

Rheinland (Weltexpresso) - Von der Unwetter-Katastrophe gibt es im Netz und in den Medien eine wahre Flut an Bildern. Doch es fällt schwer, davon zu reden. Berufliche Kommentator-/innen kommen ins Straucheln oder laufen Gefahr, üblich gestanzte Sätze zu verbreiten. Angela Merkel drückte diese Sprachnot bei ihrem Besuch in den überschwemmten Gemeinden so aus: „Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für diese Verwüstung.“

Genau genommen liegt das Problem dabei nicht an einem Mangel an Begriffen. Die deutsche Sprache ist auch hinsichtlich Katastrophen reich: Flut, Schlammwelle, Verwüstung, Zerstörung, Kataklysmus, Überschwemmung, Unwetter, Chaos, Sintflut, Hochwasser, Schlag- oder Sturzregen. Das Problem liegt vielmehr in der Sinnwidrigkeit des Geschehens. Sprache lebt von Ordnung, Sinnstrukturen, geregelten Beziehungen zwischen Zeichen. Doch das Wesen dieser Katastrophe ist gerade ihre Sinnwidrigkeit, das Wegreißen von Ordnung und Vernichten von Beziehungen. Die Wasser haben uns auch die Worte weggespült. Weil sie ihren Haftpunkt, ihr Bezugsnetz verloren haben. Angesichts der tiefen Sinnwidrigkeit dieses Leides wissen wir mit unseren vielen Wörtern nichts anzufangen. Das Problem ist ein pragmatisches, kein semantisches.

Doch Schweigen ist keine Alternative. Zumindest nicht auf Dauer. Ja, es gibt ein notwendiges Schweigen, dort, wo das Leiden zu groß wird. Und mir dreht sich der Magen um, wenn ich jetzt im Netz manche frommen Schreibtisch-Spekulationen lese, dies sei das Gericht Gottes, wofür auch immer. Die Freunde Hiobs „saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 2,13) Was hätten sie erst getan bei solch einer kollektiven Flutkatastrophe? Und selbst dann, nach dieser geistlichen Karenzzeit, gehen die Freunde Hiobs mit ihrer klugen Schultheologie in die Irre. Hier lese nach, wer meint, Gottes Pläne jetzt allzu genau zu kennen. In der theologischen Deutung von solchen Katastrophen ist ein zentrales Kriterium für mich, ob ich die Sätze seelsorglich im Angesicht der Betroffenen zu sagen vermag. Von dem unaussprechlichen Leiden lässt sich daher geistlich, theologisch meines Erachtens nur so sprechen, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen, dass wir hinhören, was sie erlebt haben, dass wir ihnen Raum schaffen, ihre Klage, Trauer, Bitte wie auch ihren Dank für Rettung zu äußern und vor Gott zu bringen. Es geht nicht um ein Reden über die Verwüstung, sondern um ein Gespräch mit den Verwüsteten, das sich selbst von dieser Verwüstung berühren lässt, sich selbst ihrer Sinnwidrigkeit existentiell aussetzt.

Genau hier können dann die alten Texte des Glaubens eine Hilfe sein, um den Chaoskräften nicht das letzte Wort und das Schweigen zu lassen. Um den Betroffenen und Trauernden wieder eine Stimme zu geben. Alte Gesangbuchlieder von Paul Gerhardt (Befiehl du deine Wege), Dietrich Bonhoeffer (Von guten Mächten) oder Lothar Zenetti (Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr). Oder eben die Psalmen: „Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen. Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser.“ (Ps 69,2ff.) Die Pointe liegt hier im Personalpronomen: Es gibt eine Leidenswirklichkeit und Erfahrungen von Sinnwidrigkeit, von denen sich angemessen nur im „Ich“, „Du“, „Wir“ reden lässt, nicht im abstrakten „Es“. Im Gebet und im Zuspruch für andere. Dies ist letztlich der Weg, den Gott selbst in Jesus Christus gewählt und uns aufgezeigt hat: Gott begegnet dem sinnwidrigen Leid als „Ich“ – leidend am Kreuz – und als „Du“ – heilend anderen zugewandt./p>

Das ist es, was auch Aufgabe von Seelsorge und Gottesdienst in der kommenden Zeit – nach der ersten Krisenintervention – sein wird: Menschen Raum geben, dass sie in eigener oder geliehener Sprache ihren Erfahrungen vor Ort Ausdruck geben können. Das bedeutet nicht, dem Leid nachträglich oder abstrakt einen Sinn zu verleihen, den es nicht hat. Das Wesen von Leiden ist gerade seine Sinnwidrigkeit. Aber es heißt, Menschen zu helfen, mit der Sinnwidrigkeit umzugehen. Sich nicht auf Dauer von ihr bestimmen oder zum Opfer machen zu lassen, sondern sich selbst von Gott her als frei, widerständig, gehalten zu erfahren – allen widersprechenden Erfahrungen zum Trotz.

„Vom unaussprechlichen Leid reden“ - das heißt für mich, den Betroffenen zuzuhören, mit ihnen zu schweigen und vor Gott ihren Klagen, Bitten, Dank Raum und Sprache zu geben. Dazu helfe uns Gott.

Foto:
©Hans-Joachim Jürgens

Info:
Thorsten Latzel , früher Frankfurt, ist seit 20. März Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland
Weitere Texte: www.glauben-denken.de