Nachruf auf das Jahr der Behinderten 2013
Helmut Marrat
Hamburg (Weltexpresso) - Alles ist relativ. Und das Folgende hat sich tatsächlich zugetragen. Es spielt in einer deutschen größeren Stadt, also einem Ort, in dem eine gewisse Anonymität auch positiv sein kann. Selbst, wenn es sich um einen Menschen im Rollstuhl handelt. Der verläßt eigenständig seine Wohnung, will zum Bus.
Nun hält der auch bei einem Behinderten übrigens nicht direkt vor der Tür, nein, auch ein Rollstuhlfahrer muß zur Haltestelle fahren, und, da er elektrisch unterwegs ist, ist das normalerweise auch machbar. Nur leider steht an jenem Tag ein PKW mitten auf dem Gehweg. Das wäre zu erdulden, weil unser Rollstuhlfahrer war früher auch mal Autofahrer, und er kann sich noch erinnern, daß es manchmal verdammt schwer ist, einen geeigneten Parkplatz zu erobern.
Auch erinnert er noch jenen Slapstik, wo eine der Figuren dieses Problem damit löste, indem es einfach die Luft aus seinem Gefährt ließ, kurz, er hatte den zarten, doch wachen Groll, wegen der frei zu lassenden Behindertenplätze geteilt und auch die öfters geäußerte Ansicht, in Zeiten sogenannter leerer Kassen müssten doch nicht so viele Aufzüge bei den Bahnhöfen gebaut werden, für den immer kleiner werdenden Bestand an Kinderwagen und die paar Rollstuhlfahrer, doch jetzt saß er selbst in solch einem Hilfsmittel und kam gerade nicht an jenem Auto vorbei.
Nun war es recht kalt und er wußte, in einigen Minuten ging der Bus. Wie weiter? Er konnte umkehren und sich zuhause aufwärmen, um dann ein zweites Mal zu starten, und dann hätte der Fahrer sein Fahrzeug vielleicht schon weggefahren, denn, nicht zu vergessen, ein Behinderter habe wenigstens Zeit. Und der Bus führe zudem regelmäßig. Das übrigens äußerte ein Polizeibeamter. ein wenig später Und außerdem, der Behinderte tue besser daran, auf Hilfe zu warten, statt den Rollstuhl selbsttätig zu bewegen, und sei es nur ein winziges Stück. denn sonst sei er selber verantwortlich, wenn ihm etwas zustoße.
Ganz falsch lag der Beamte übrigens nicht, weil das nun tatsächlich passiert war. Der Mann war bei dem Versuch, an dem Auto vorbeizukommen, mit seinem Rollstuhl umgekippt und deswegen mußte immerhin ein Krankenwagen gerufen werden. Der kam wenigstens zügig, während der ebenfalls gerufene Polizeiwagen nach etwa eineinhalb Stunden eintraf. Das mußte man wiederum erdulden, denn die Polizei leistet einen zeitaufwendigen, anstrengenden Job, und der Behinderte verstand das auch, es verringerte nur seine Möglichkeiten, auf empfohlene Hilfe zu warten.
Zeit müsse man lernen, hatte ihm mal ein Arzt zugerufen, im hastigen Vorbeigehen, was er wiederum verstanden hatte, denn einem Arzt in einem Krankenhaus mangelt es in erster Linie genau daran.
Wie gesagt, die Geschichte ist wirklich passiert,, sollte aber frei von Ironie erzählt werden. Dieses zu Ende gehende Jahr war schließlich zum "Jahr der Behinderten" ausgerufen worden!