... wie das Anschnallen Pflicht wurde  

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) – Das hatte unser Hausarzt bestens organisiert: Vor sechs Monaten - nach unserer zweiten Impfung - erhielten meine Frau und ich bereits für die dritte Impfung einen Dezember-Termin.
Allerdings war er - wie inzwischen alle Hausärzte - Opfer schlechter Vorratsorganisation an zentralen Stellen, er musste uns einen anderen Impfstoff verpassen.





Gut getakteter Ablauf für seine Patienten ließ ein wenig Zeit für folgenden Gedankenaustausch: Könnte man die angestrebte Impfpflicht für alle nicht mit der Anschnallpflicht für alle Autofahrer vergleichen?

 Ha – war die Antwort – das war vor gut 45 Jahren, als die eingeführt wurde. In seiner Ausbildung habe er erlebt, wie schon damals Anschnall-Verweigerer versucht hätten, von ihren Hausärzten Atteste zu erschleichen, um der Gurtpflicht zu entkommen.

Am 1. Januar 1976 war es soweit: Die Gurtpflicht oder auch Anschnallpflicht auf Pkw-Fahrersitzen wurde in Westdeutschland Gesetz. Dass Neuwagen mit Sicherheitsgurten ausgestattet sein mussten, war in der Bundesrepublik erst seit 1974 Vorschrift. In der DDR hingegen wurden bereits seit 1970 keine Neuwagen mehr ohne Sicherheitsgurte verkauft.

Zwei Jahre vor Einführung der Anschnallpflicht in Westdeutschland gab das Bundesverkehrsministerium eine psychologische Studie in Auftrag, um zu ergründen, worin bei vielen Westdeutschen eine Gurt-Aversion bestand: Die Assoziation mit einem schweren Verkehrsunfall war damals mitunter ein Grund, weshalb das Anlegen des Sicherheitsgurts in weiten Teilen der hinter-dem-Steuer-sitzenden Bevölkerung für Widerwillen sorgte. Auch dass man sich nach einem Unfall nicht mehr aus dem Fahrzeug befreien könnte, sorgte für großes Unbehagen. Und das, obwohl die Anschnallpflicht zwecks der Verkehrssicherheit eingeführt wurde, also eine Präventivmaßnahme darstellte, dass die Auswirkungen bei einem Unfall nicht so krass wie ohne Sicherheitsgurt ausfallen. Selbst logische Argumente halfen damals nicht weiter, Sympathien für den Gurt und somit für die eigene Sicherheit zu wecken.

Im Vergleich zu einem Airbag – der übrigens keine Pflicht in Deutschland ist, schützt der Sicherheitsgurt die Insassen bei einem Unfall mehr und verringert die Verletzungsgefahr: „Für die nicht angegurteten Insassen ist der Airbag nahezu wirkungslos," erklärte die Unfallforscherin Stefanie Ritter. Unter Umständen könne sie der Luftsack sogar gefährden. Immerhin entfalte sich der Airbag mit rund 200 km/h. Bereits bei geringen Aufprallgeschwindigkeiten träten Kräfte auf, die ein Mensch nicht auffangen könne. Bei einer Kollision mit nur 14 km/h gegen eine Mauer zum Beispiel entsprächen die Aufprallkräfte bereits dem Achtfachen des Körpergewichts. Nicht Pflicht also, der eingebaute Airbag, und dennoch von den meisten Autofahrern längst akzeptiert. Und das Anlegen des Sicherheitsgurtes erfolgt schon deshalb automatisch, weil sonst akustische Warnsignale nicht aufhören zu piepen.

Als wir nach der Impfung mit einem von der Rezeption ausgegebenen Wecker die 20 Minuten bis zum Verlassen der Praxis abwarten mussten, endeckte meine Frau im Wartezimmer ein Bild mit Text, das unser Hausarzt dort hatte aufhängen lassen. Als sie mich bat, es zu fotografieren, erkannte ich den "Struwwelpeter".

1844 hatte Heinrich Hoffmann das Buch für seinen Sopn geschrieben, weil er sonst nicht Passendes gefunden hatte. Und trotz aller Kritik und „aus der Zeit gefallen“-Sein und „veraltete Pädagogik“ ist dieses Buch immer noch so im kollektiven Gedächtnis verankert, dass es mit der einen oder anderen Geschichte, zum Beispiel mit dem "Suppenkaspar" immer noch in unserer Zeit funktioniert, an unsere Bedingungen angepasst eben. Unser Hausarzt hatte es bei Twitter gefunden, und ich las jetzt:

DIE GESCHICHTE VOM IMPFKASPAR

In der allerersten Welle
schrie der Kaspar: Bagatelle,
einen Virus krieg ich nicht,
nein, einen Virus krieg ich nicht!

Zornig in der zweiten Welle
stampft der Kaspar auf der Stelle,
eine Maske trag ich nicht,
nein, eine Maske trag ich nicht!

Rief noch in der dritten Welle
überzeugt von seiner You-Tube-Quelle:
eine Impfung brauch ich nicht,
nein, eine Impfung brauch ich nicht!

Schließlich bei der vierten Welle
dringt ein Virus in die Zelle
Kaspar bekam Atemnot
und war am fünften Tage tot!

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©KJS

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