Wie ein Boxkampf einem kleinen Mädchen half,
die Welt zu verstehen
Klaus Jürgen Schmidt
Norddeutschland (Weltexpresso) – An zwei großartigen Dokumentationsabenden ließ der Kultur-Kanal ARTE in dieser Woche Leben und Ruhm des größten Boxers aller Zeiten Revue passieren. Die Rede ist natürlich von Cassius Clay, dem späteren Mohammed Ali. In der letzten Folge war sein Kampf gegen Joe Frazier in der philippinischen Hauptstadt Manila zu sehen.
In jenem Jahr 1975 hatte dort gerade meine knapp einjährige Reportage-Reise durch Süostasien begonnen, bei der mich meine Frau und unsere sechsjährige Tochter begleiteten. Für ein geplantes Kinderbuch entstand – aus der Sicht unserer Conny – dieses Kapitel:
"Thriller ist so etwas wie ein Knüller," erklärte Klaus und reimte den deutschen Titel "Ein Knülla in Manila". Die Zeitungen schrieben: "Dies wird die zweite große Schlacht auf den Philippinen seit der Belagerung und Zerstörung Manilas im Zweiten Weltkrieg!" Es war von einem Boxkampf die Rede, vom Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Mohammed Ali und seinem Herausforderer Joe Frazier.
Bevor wir Manila in Richtung Norden verlassen hatten, waren wir den beiden zum ersten Mal begegnet. Klaus hatte mich zu einer Presse-Konferenz mitgenommen. Auf der ging es zu wie in einem Zirkus.
Joe Frazier sang ein Lied. Darin beschrieb er, wie schnell er seinen Gegner k.o. schlagen wollte.
Abends telefonierte Klaus mit seiner Redaktion in Deutschland, um einen Bericht durchzugeben. "Die große Klappe gehört zum Geschäft," schrie er ins Telefon,denn die Verbindung war über diese Strecke mal wieder miserabel. "Die größte hat nach wie vor Mohammed Ali. Ich bin zu schnell für Joe Frazier, sagt er. Ich bin so schnell, das muss ich euch erzählen: Gestern abend habe ich in meinem Hotelzimmer das Licht ausgeschaltet, dann bin ich ins Bett gesprungen, und dort war ich,bevor es im Zimmer dunkel wurde!"
Nun ist Klaus ja kein Sportreporter, er war noch kein einziges Mal beim Boxen, und deshalb berichtete er über etwas, das am nächsten Tag in keiner Zeitung stand:
"Ein Reporter hat gefragt, weshalb Mohammed Ali seinen Glauben gewechselt hat, vom Christentum zum Islam. Und da macht der Weltmeister, der von seinem alten Namen Cassius Clay nichts mehr wissen will, klar, dass er noch etwas anderes im Kopf hat als bloß Boxen und das Schaugeschäft. Mohammed Ali spricht vor der versammelten Presse aus aller Welt plötzlich von den sozialen Missständen in den U.S.A., von der Missachtung seiner Rasse! Er spricht davon, dass die Schwarzen in seinem Land das Christentum nur als eine Religion der Reichen kennengelernt haben. Die Schwarzen hatten keinen eigenen Namen; sie trugen den Namen ihres weißen Besitzers. Schwarz – so sagt Mohammed Ali – das war immer das Schlechte. Weiß, das war der Jesus der Weißen, weiß, das waren seine Apostel! Euer Jesus in Manila – auch er ist weiß. Warum gibt es keine philippinischen Engel, warum keine japanischen, keine afrikanischen? Das Christentum ist eine gute Religion, wenn die Menschen wirklich so leben, wie sie es sagen; es ist eine gute Religion, wenn sie das tun, was sie predigen!"
Die teuersten Plätze im Colosseum der Hauptstadt kosteten am Abend des Weltmeister-Kampfes pro Sitz umgerechnet 875 Mark. Der Verkauf der Eintrittskarten allein brachte fünf Millionen Mark.
Wir waren rechtzeitig zum Kampf aus dem Norden wieder nach Manila zurückgekehrt. Das Fernsehen übertrug die Schau direkt in 68 Länder der Welt.
Wir guckten im Hotel auf die Mattscheibe. Da sah ich vierzehn Runden lang die beiden aufeinander eindreschen, und in den dreizehn Pausen dazwischen rollten schnittige Autos über den Bildschirm – eine japanische Autofirma hatte vom philippinischen Fernsehen die gesamte Sendezeit der Box-Übertragung gekauft. Auf diese Weise bekamen wir zum Schluss leider nicht mit, wie Ali zum Sieger erklärt wurde – die Auto-Werbung war zu spät ausgeblendet worden!
In den Zeitungen stand hinterher, 700 Millionen Menschen hätten bei der weltweiten Fernseh-Übertragung zugeschaut.
"Haben die auch die Auto-Werbung gesehen?" wollte ich wissen.
"Die war nur im philippinischen Fernsehen," wusste Klaus. Er hatte noch einmal mit Deutschland telefoniert, wo man den Kampf in der Nacht auch direkt hatte verfolgen können. "Aber vorher gab es einen Film über die Philippinen. Der war überall in der Welt zu sehen, und das war's, was mit der Schau erreicht werden sollte: Eine weltweite Werbung für ein Land, in dem Ruhe und Ordnung herrscht, für ein Land, in dem genügsame, aber arbeitsame Menschen leben, für ein Land, das dem Unternehmergeist Tür und Tore öffnet – mit anderen Worten: in dem man noch ordentlich was verdienen kann! Beim 'Knülla in Manila' war das Boxen eigentlich Nebensache."