Niedersächsische Landeskunde / TEIL 2

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) – Im Kaminzimmer unseres Landhäuschens steht ein antikes, schmiedeeisernes Gestell, das ich zu einer Lampe umfunktioniert habe. Am verstellbaren oberen Arm ist ein malaysischer Seidenschirm befestigt, hinter dem man eine Glühbirne einschalten kann. Den Schirm kauften wir auf einem Markt in Kuala Lumpur für unsere Tochter, damals sechs Jahre alt, mit dabei auf unserer großen Südostasien-Reise. Das schmiedeeiserne Gestell stammt aus Finnland, wo es in alten Zeiten in einem Bauernhaus auch als eine Art Lampe diente, aber mit einem harzigen Holzspan am Arm und einem gusseisernen Topf an einem Haken darunter.


Die Asche wurde darin aufgefangen, wenn der Span langsam abbrannte, und da er dabei kürzer wurde, konnte man den Arm in drei Stellungen im tiefer einrasten. So hat es mir die alte Dame erklärt, als sie mir das gute Stück schenkte. Ich war damals ein junger Volontär bei Radio Bremens Chefredakteur Harry Pross, und die alte Dame war seine Sekretärin. Sie konnte schlecht sehen, an der Nase hatte sie eine Narbe, manchmal erschien sie nicht zum Dienst, fühlte sich nicht wohl.

Helge Emminghaus hatte 1951 den Bombenanschlag des Drakenburger Attentäters bei den „Bremer Nachrichten“ überlebt. Die Lampe schenkte sie mir, als ich ihr half, aus einem alten Bauernhaus in Bremen auszuziehen, das dem Neubau eines Wohn-Geschäfts-Komplexes weichen musste.

Vor jetzt gut siebzig Jahren hatte, nur knapp fünf Kilometer von unserem Landhäuschen entfernt, der junge Mann gewohnt, der als der „Erfinder der Paketbombe“ gilt. Als er zwei Monate alt war, hatte ihn seine Mutter, eine ungarische Adlige namens Elisabeth von Halacz, bei einer Pflegefamilie abgegeben. Sein Ziehvater war Sprengmeister in einer Kiesgrube. Erich von Halacz soll schon als Jugendlicher Explosivstoffe gestohlen und vor einer Kirche und einer Polizeiwache gezündet haben.

Der Nienburger Autor Dieter Reis hat einem dokumentarischen Roman den Titel gegeben: „Nur vom Empfänger persönlich zu öffnen“. Das stand auf den Paketen, die der junge Mann per Post verschickt hatte und die in Eystrup und in Bremen explodierten. Die Schlagzeilen am Tag danach:

„Dr. Wolfard durch Attentat getötet“, „Bombenattentate alarmieren Norddeutschland“, „Höllenmaschinen töteten zwei Menschen“ – so lauteten die Schlagzeilen der Tageszeitungen in Deutschland und im Ausland am Tag nach den Sprengstoffanschlägen in Bremen und Eystrup. Am 29. November 1951 töteten in Paketrollen versteckte Sprengladungen den Chefredakteur der „Bremer Nachrichten“, Adolf Wolfard, sowie in Eystrup die 18-jährige Postangestellte Margret Grüneklee.

Adolf Wolfard war sofort tot, nachdem er in seinem Büro das Paket mit der Aufschrift „Nur vom Empfänger zu öffnen“ aufgeschnürt hatte. Durch die Wucht der Explosion wurden Werner Wien, Feuilletonredakteur der „Bremer Nachrichten“, sowie Wolfards Sekretärin Helge Emminghaus schwer verletzt. Die Detonation erschütterte das ganze Gebäude. Eine dritte Paketbombe war an den Verdener Kraftfutter-Hersteller Anton Höing adressiert worden. Durch Radiomeldungen gewarnt, alarmierte Höing die Kriminalpolizei, nachdem er Drähte an der Postsendung entdeckt hatte. Spezialisten öffneten das Paket. Es enthielt 1,5 Kilogramm des hochexplosiven Sprengstoffs „Donarit“. Zwei Wochen lang hielten die Ermittlungen nach dem Attentäter die junge Bundesrepublik in Atem, dann wurde der Mörder gefasst.

Reporter der „Bremer Nachrichten“ hatten nach intensiven Recherchen auf Postämtern und in der Nienburger Gegend etwas anfertigen lassen, was es zu jener Zeit noch nicht bei der Polizeiarbeit gab: eine Phantom-Skizze. Sie hatten auch herausgefunden, dass sich ein junger Mann dieses Aussehens einmal vergebens bei den „Bremer Nachrichten“ um die Ausbildung als Journalist beworben hatte. Der entscheidende Hinweis kam dann vom Chefredakteur der Nienburger Zeitung „Die Harke“, bei ihm hatte sich ebenfalls ein junger Mann namens Erich von Halacz beworben, der so ausgesehen hatte wie auf der Zeichnung der Bremer Kollegen.

In den frühen Morgenstunden des 12. Dezember 1951 gestand der 22-jährige Gelegenheitsarbeiter Erich von Halacz aus Drakenburg bei Nienburg den Beamten der Sonderkommission „S“ nach stundenlangen Verhören, dass er der Absender der tödlichen Pakete gewesen sei. Sein Motiv war erschreckend banal: Von Halacz hatte die Morde aus Habgier und Hass auf Menschen begangen, die – wie er einmal sagte – auf „auf der Sonnenseite des Lebens stehen“. Und die Angehörigen der Opfer wollte er unter Androhung weiterer Anschläge um jeweils 5000 Mark erpressen. In seinem Umfeld galt der dunkelhaarige Mann mit den weichen Gesichtszügen zwar als höflich und redegewandt, aber auch als durchtrieben und geltungsbedürftig. Der Tag der Anschläge war der 22. Geburtstag von Halacz'. Er feierte ihn abends mit seiner Freundin, er soll sehr fröhlich gewesen sein.

Er wurde 1952 vom Verdener Schwurgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Am 1. Oktober 1974 begnadigte der niedersächsische Ministerpräsident Alfred Kubel den inzwischen 44-Jährigen. Im Januar desselben Jahres hatte von Halacz sich einer schweren Operation unterzogen, bei der ihm ein tennisballgroßer Gehirntumor entfernt worden war.

Er nahm einen anderen Namen an und soll – eine reiche Witwe geheiratet haben.

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