Yves Kugelmann
Tel Aviv (Weltexpresso) - Aus den Lautsprechern im Taxi trällert Bob Dylans «Mr. Tambourine Man». «I’m not sleepy and there is no place I’m going to.» Und dann: «And take me disappearing trough the smoke rings of my mind / Down the foggy ruins of time / Far past, the frozen leaves.» Wo soll das alles hinführen? Die Sonne geht schon auf. Es ist 5.30 Uhr morgens. Die Strassen sind noch leer, Vögel pfeifen und es ist diese Frühlingswärme Tel Avivs, die das ganz Jahr über herrschen sollte. Krieg in Europa?
Kaum ein Wort dazu im Taxi, geschweige denn tags darauf irgendwo. Zwei Tage später tobt in Berlin das postpandemische Leben. Die Stadt ist voll, der Frühling treibt die Menschen auf die Straße. Krieg in Europa? Kaum ein Wort dazu. In den Medien tobt die Debatte über Pazifismus, Waffenlieferungen – eigentlich über alles und nichts. Der Krieg ist längst ein Social-Media-Event geworden. Jede und jeder posaunt Meinung raus. Eine wirkliche Debatte gibt es nicht. Die ist längst sanktioniert und somit das erste Opfer des Despoten Putin. Unité de doctrine, ohne sie jemals diskutiert zu haben.
Die Sprache hat sich verändert in Europa. Die Sanktionen betreffen längst nicht nur Russland, sondern auch jene mit anderen Perspektiven, Haltungen, Argumenten. In Berlin tobt die Party des Nihilismus unweit vom beleuchteten Kanzleramt. In den Restaurants und Clubs spriesst das Leben, als ob es kein Gestern und kein Morgen gäbe. Doch was ist die richtige, die notwendige, die ethisch integre Haltung zu diesem Krieg? Wo ist der Raum für die offene und nicht sanktionierte Debatte darüber? Wo ist der Raum für die offene Rede abseits wirtschaftlicher, ideologischer und nationalistischer Interessen? Dieser Krieg wird keine Gewinner kennen – er ist längst Selbstzweck im Dienst von Nichts, Despotismus, Ideologie. Bleiben werden die «eingefrorenen Ruinen», das Leid und die jahrzehntelange Aufarbeitung von Kriegsverbrechen.
Das große Scheitern am Krieg hat lange davor begonnen. Zum Beispiel mit den Eliten, die dem Pakt mit dem Teufel den Weg ebneten. Bei jenen, die die Despoten, ihre Oligarchen hofierten – bis zuletzt. Doch wer arbeitet das auf, wer kann dies aussprechen, ohne sanktioniert, bedroht und negiert zu werden? Das nächste Kapitel wird noch folgen. Auch hier.
Foto:
©kommwirmachendaseinfach.de
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Mai 2022
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Die Sprache hat sich verändert in Europa. Die Sanktionen betreffen längst nicht nur Russland, sondern auch jene mit anderen Perspektiven, Haltungen, Argumenten. In Berlin tobt die Party des Nihilismus unweit vom beleuchteten Kanzleramt. In den Restaurants und Clubs spriesst das Leben, als ob es kein Gestern und kein Morgen gäbe. Doch was ist die richtige, die notwendige, die ethisch integre Haltung zu diesem Krieg? Wo ist der Raum für die offene und nicht sanktionierte Debatte darüber? Wo ist der Raum für die offene Rede abseits wirtschaftlicher, ideologischer und nationalistischer Interessen? Dieser Krieg wird keine Gewinner kennen – er ist längst Selbstzweck im Dienst von Nichts, Despotismus, Ideologie. Bleiben werden die «eingefrorenen Ruinen», das Leid und die jahrzehntelange Aufarbeitung von Kriegsverbrechen.
Das große Scheitern am Krieg hat lange davor begonnen. Zum Beispiel mit den Eliten, die dem Pakt mit dem Teufel den Weg ebneten. Bei jenen, die die Despoten, ihre Oligarchen hofierten – bis zuletzt. Doch wer arbeitet das auf, wer kann dies aussprechen, ohne sanktioniert, bedroht und negiert zu werden? Das nächste Kapitel wird noch folgen. Auch hier.
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©kommwirmachendaseinfach.de
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Mai 2022
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.