wpo IMG 0346Eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Hanswerner Kruse & Hannah Wölfel

Berlin (Weltexpressso) - Es ist eine spannende Odyssee durch die Kleidermode, Bildende Kunst und Modefotografie des 20. Jahrhunderts, die der in der Berlinischen Galerie zu sehen ist. Deren wechselseitigen Einflüsse werden durch die abwechslungsreiche Schau „Modebilder - Kunstkleider“ verdeutlicht.
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Zunächst gibt ein menschengroßes grünes Gebilde Rätsel auf: Ist das ein textiler Tannenbaum oder eine Burka mit drei Reifröcken übereinander? Dieses „Luftkleid“ kann sich tatsächlich ein Mensch als Ganzkörpermaske überstreifen und zur wandelnden Skulptur werden. Daneben werden eigenartig geformte, farbkräftige Hüte aus Schaumstoff gezeigt, die sowohl autonome Kunstwerke sind, aber auch tatsächlich als Accessoires getragen werden können. So wird gleich am Beginn der Schau deutlich, die Grenzen zwischen Kunstwerken und Kleidungsstücken können verschwimmen, Klamotten können skulptural oder performativ sein. Ein Stückweit ist diese Entwicklung des Tragens ver-rückter Kleidung bereits im Alltag angekommen, nicht länger auf die Haute Couture oder schräge Prominente wie Lady Gaga beschränkt.



Alexandra Hopf The Estate of A. Rodtschenko 18 2012 Berlinische Galerie
Die Einheitskleidung des russischen Konstruktivismus in den frühen Revolutionsjahren, wurde von Alexandra Hopf ironisch verfremdet. Einerseits wird der funktionale Overall farbenfroh gestaltet, andererseits wirken die geometrischen Muster wie einengende Fesseln. Die Ausstellung beleuchtet streiflichtartig die verschiedene Aspekte des Themas, nach der ersten Station „Kunst interpretiert Mode“ muss man sich entscheiden: Schaut man im großen Saal weitere, eher spektakuläre Kunstkleider an oder erkundet man in der Halle nebenan die Geschichte der Reformkleidung?


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Hier lockt das rote Kleid „mit dem alles begann“, wie es im Katalog heißt. Es ist das „Eigenkleid“, das sich Anna Muthesius, die Pionierin der Reformmode um 1910 selber schuf. In den Jahren, in denen sich die Frauen von einschnürenden Korsetts befreien wollten, plädierte sie für eine Mode, die der natürlichen Form des weiblichen Körpers folgte. Ihr gerade von den Schultern fallendes Kleid war alltagstauglich für alle Frauen, unabhängig von Körperbau, Alter oder Vermögen entworfen.

Von Hannah Höch sind Collagen zu sehen, in denen sie auch textile Teile verwendete. Die Künstlerin entwarf Schnittmusterbögen für einen Handarbeits-Verlag, die sie auch als Material für ihre künstlerischen Arbeiten nutzte und so die Abstraktion entwickelte. Bereits 1918 propagierte sie das Sticken als eine Form zeitgenössischer Kunst und ermunterte Frauen, ihre kunstgewerbliche Arbeit als eine künstlerische zu begreifen. Aber es sollte noch viele Jahrzehnte dauern, bis in der von Männern dominierten Kunstwelt textile Materialien als gleichwertig anerkannt wurden. 

August Sander Ohne Titel Raoul Hausmann als Taenzer 1929 Berlinische Galerie
Die Kleidung für die Neue Frau brachte in der folgenden Zeit eine eigenständige Modefotografie hervor, von der viele Beispiele zu sehen sind. Im Simplicissimus wurde jedoch auch sarkastisch mit dem Wandel der Mode und dem Ideal der Neuen Frau umgegangen. Aber wo blieb eigentlich der Neue Mann, der bis zum 1. Weltkrieg in den rüstungsartigen Anzug mit steifem Hemdkragen eingezwängt wurde? Inspiriert von britischer und US-amerikanischer Sportkleidung entstanden neue lockerere Schnitte. Viele Künstler griffen begeistert diese Anregungen auf und inszenierten sich, wie die Dadaisten als lockere Dandys. Beispielhaft tanzt Raoul Hausmann in der coolen„Patenthose“ auf einem Foto (rechts). Zugleich wird sie als aktuelles Denk-mal in Szene gesetzt, also als Skulptur mit Farbe, Licht, Bewegung und elektronischen Klängen. Am Ende verbinden sich im nächsten Saal wieder Geschichte und Kunst: Kreative - also Designerinnen, Kunstschaffende, Musikerinnen, Modeleute - kreierten im West-Berlin der 1970er und 80er Jahre wilde experimentelle Klamotten, die sich von Massenware und Mainstream absetzten.

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Erstaunlicherweise gab es auch in Ost-Berlin eine, wenn auch kleinere innovative Modebewegung.  Am Beispiel der Designerinnen Angelika Kroker und und Katharina Reinwald zeigt die Ausstellung aufregende Bühnenkostüme, die sie für märchenhafte Aufführungen aus Federn, Lederresten und anderen Textilien entwickelten. Auch auf Fotos mit  eigenen künstlerischen Ansprüchen posierten Akteure mit diesen Kostümen.








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„...und neues Leben protzt aus den Ruinen...“ heißt es im letzten Raum der Ausstellung, Fotos, künstlerische Bilder und Kleidermodelle springen etwas in der Zeit zurück. Gezeigt werden Mannequins zwischen Ruinen, verfallenen Häusern oder an unerwarteten Plätzen wie der Berliner Radrennbahn. Bis heute (!) sind die etwas heruntergekommenen, in ihrem ursprünglichen Zustand gelassenen Gebäude - wie die riesigen Hallen des Tempelhofer Flughafens oder des alten Kraftwerks - beliebte Schauräume für Design-, Kunst- oder Modeausstellungen. Die Inszenierungen leben von der Spannung zwischen den alten Spuren und neu geschaffenen Objekten. Darum ist es auch ein sinnloses Unterfangen, dass die Frankfurter Messegesellschaft die Berliner Fashion Week an den Main lockte. Hier gibt es einfach keine adäquaten geschichtsträchtigen Gebäude.


Fotos:

(c) Hanswerner Kruse
außer Einheitskleidung des russischen Konstruktivismus © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Alexandra Hopf

Info:
Berlinische Galerie „Modebilder - Kunstkleider“ noch bis zum 30. Mai 2022
Der Katalog zur Ausstellung zum Preis von 34,80 Euro ist sehr empfehlenswert - auch für Nicht-Besucher 
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