Yves Kugelmann
Hamburg (Weltexpresso) - Wer hätte gedacht, dass der 8. Mai in Europa nochmals mehr als ein Symboldatum werden würde. 14 Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird deutlich, dass dieser kein Welt-, sondern einer der vielen lokalen Kriege ist, wie sie in den letzten Jahren in Afghanistan, Irak, Georgien, Syrien, Jemen, Sudan mit unterschiedlichen Vorzeichen, aber einer Gemeinsamkeit entstanden sind: Neben den Kriegsakteuren mischt die internationale Gemeinschaft mit unterschiedlichen Interessen mit.
Der 8. Mai steht in vielen europäischen Ländern mit der Kapitulation von NS-Deutschland für den Tag der Befreiung. Diese leitete das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa ein. In den USA und den Commonwealth-Staaten wird er am 9. Mai als Siegestag «Victory in Europe Day» gefeiert. Krieg war in Europa lange verdrängt. Auch die Balkankriege der 1990er Jahre waren längst vergessen, als am 24. Februar 2022 Europa seinen vermeintlich ersten Krieg nach 1945 hat und 75 Jahre Friedenszeit vorbei waren.
Kalte und heiße Kriege als Antipoden zur Freiheit waren vergessen. Wer durch Europas Städte läuft, findet sie überall, die Erinnerung an die Unfreiheit. An diesem Tag mitten in der Hansestadt. Von 1933 bis 1943 war das Stadthaus die Zentrale des nationalsozialistischen Terrors für Hamburg und große Teile Norddeutschlands. Während eines alliierten Bombenangriffs Ende Juli 1943 wurden weite Teile der Gebäude zerstört und sind bisheute als öffentliche Gedenkstätte mit Dauerausstellung zugänglich. Auf der Stadthausbrücke lesen die Menschen die Texte auf den Erinnerungstafeln, am Fusse der Brücke steht ein kleiner Blumenstrauss. Nach 78 Jahren Frieden als vermeintliche Selbstverständlichkeit muss Europas Politik und Gesellschaft wieder zum Ausgangspunkt seiner Idee von Freiheit von 1945 im Alltag zurückkehren – erst recht, wenn der Ukraine-Krieg vorbei sein wird.
8. Mai in Hamburg
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 5. Mai 2023
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.