Kleine Gartenplauderei
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - An zwei oder drei Tagen im Jahr fällt in aller Frühe ein Sonnenstrahl zwischen zwei Hausgiebeln in meinen Garten. Dort trifft er auf eine rote Azalee, die dann wie von selbst zu leuchten beginnt und die Schatten der Nacht unter die Büsche verscheucht. Ein kräftiger Regenguss hat in diesem Jahr etwas nachgeholfen und den Blütenstaub des Apfelbaums rechtzeitig abgewaschen.
Dem großen Rhododendron hat die Dusche auch wohlgetan, jedenfalls sind einige Knospen, die noch am Tag davor den Anschein erweckten, der Strauch liege noch im winterlichen Tiefschlaf, wie bei einem tiefen Atemzug aufgeplatzt. Die gelbe Azalee, die sonst um diese Zeit den ganzen Garten duften lässt, als stünden überall im Verborgenen geöffnete Gläser mit Honig herum, begnügt sich dieses Mal mit einer bescheidenen Vorstellung und belässt es bei zwei, allerdings prächtigen Blüten.
Ganz anders führt sich die rosafarbene Azalee im Hochbeet der Terrasse auf, die dem Betrachter – so könnte man meinen - einen Schwall Farbe in die Augen schüttet, so, als wollte sie gut machen, was böse Buben einst mit ihr veranstalteten. Sie hatten die junge Pflanze aus dem Beet gerissen und in den Mülleimer am Straßenrand geworfen. Dort hat meine Frau ihn freilich schnell entdeckt. Sie hatte sich den Unmut der Knaben zugezogen, die unseren Vorgarten allzu gern in ihr Fußballspiel auf der Straße einbezogen. Die Azalee erfreut uns bis heute am alten Platz mit ihrer Blütenpracht.
Zwischen der Sternmagnolie und einem blauen Flieder führt eine orange-farbene Azalee ihr stilles und eher bescheidenes Dasein. Bevor sie bei uns im Garten Wurzeln schlug, war sie im Westfälischen zu Hause, und zwar auf dem elterlichen Grab meiner inzwischen verstorbene Frau Ilse. Dort haben wir sie vor urdenklichen Zeiten eingepflanzt auf dem evangelischen Friedhof von Gevelsberg. Als das Grab nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit aufgelassen werden musste, haben wir die Azalee im Kofferraum mit nach Bremen genommen. Sie hat die Fahrt gut überstanden und erinnert mich heute noch an unser junges Glück im Kreise der Familien von vier Onkeln und fünf Tanten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.
Erinnerungen ganz anderer Natur weckt der drei Meter hohe blassblaue Rhododendron neben dem Buntblatt zu Füßen des alten Apfelbaums am Zaun zum nachbarlichen Grundstück. Ursprünglich stand er im Vorgarten zur Straße, den wir in unserer Unerfahrenheit mehr als einmal umgemodelt haben. Dabei sind wir auch dem blassblauen Rhododendron mehr als einmal zu Leibe gerückt, bis meine Frau sich für immer von ihm verabschieden wollte. Wohin aber mit dem schweren Wurzelstock, der so gar nicht in eine Abfalltonne passte. Ich hob im Schatten des Apfelbaums ein tiefes Loch aus. Dort sollte er den Weg alles Vergänglichen nehmen. Stattdessen meldete sich der vermeintliche Schwächling nach zwei Jahren zurück. Eingezwängt zwischen Buntblatt und Forsythie, drängte es ihn mit aller Kraft dem Licht und der Sonne entgegen. Heute gibt es keinen in der Gilde der Rhododendren und Azaleen, der es mit ihm aufnehmen kann.
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