Serie: Vor 150 Jahren wurde Alois Alzheimer in Frankfurt geboren, Teil 2

 

Hubertus von Bramnitz und Sylvia A. Menzdorf

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nicht nur die respektvolle Behandlung, auch der der Bau war revolutionär. Die äußere Gestaltung wurde durch die republikanische Stadtverwaltung festgelegt. Im „Deutschen Stil“, sprich Gotik, sollte gebaut werden. Die Frankfurter Bevölkerung quittierte das mit der spöttischen Bezeichnung „Irrenschloss“.

 

Humane Unterbringung für Kranke

Zur modernen Innenausstattung der Klinik gehörten Toiletten mit Wasserspülung. Eine Dampfmaschine pumpte Grundwasser vom Keller in hölzerne Reservoirs im Dachgeschoss. Neu war, dass Höfe für unterschiedliche Bereiche, jeweils unterschieden nach Geschlecht und Krankheitsbild der Patienten, eingerichtet wurden. Die wahre Revolution aber war, daß die Fenster der Klinik unvergittert waren. Der Anstaltsleiter, der Psychiater Heinrich Hoffmann, der auch als Autor der 1845 erschienen Struwwelpeter-Geschichten bekannt geworden, lebte mit seiner Familie unter einem Dach mit den Patienten. Als die Anstalt 1864 fertig gestellt wurde, lud er vor der feierlichen Eröffnung zu Tagen der offenen Tür. Als Leitbild seiner therapeutischen Arbeit wird Heinrich Hoffmann so zitiert: „Es muß vor allem so sein, daß der Eintritt des Arztes in eine Abteilung etwas vom Sonnenaufgang an sich habe.“

 

 

Die 'erste' Alzheimer Patientin

 

Alois Alzheimer und seine Kollegen führten für die Behandlung besonders unruhiger Patienten wärmende Dauerbäder ein. Im Park der Klinik durften sich einige Patienten frei bewegen. In der damals modernsten Einrichtung ihrer Art betreute Alois Alzheimer auch die Patientin Auguste Deter, die das Krankheitsbild kompletter geistiger Verwirrung zeigte. Alzheimer beschrieb dieses zunächst als „Krankheit des Vergessens“. 1906, nachdem Auguste Deter verstorben war und er sorgfältig die Veränderungen ihrer Hirnrinde untersucht hatte, publizierte Alois Alzheimer eine in Fachkreisen bis heute als vorbildlich geltende Fallstudie und beschrieb damit das Krankheitsbild, das jetzt seinen Namen trägt. Alois Alzheimer begegnete Auguste Deter erstmals am 25. November 1901, das weist deren Krankenakte aus. Wie aus dieser hervorgeht, hatte Deters Ehemann die stark verwirrte und wesensveränderte Frau in die Frankfurter Anstalt gebracht, weil er sich nicht mehr zu helfen wusste. Seine Frau war unerklärlich eifersüchtig geworden, konnte die einfachsten Verrichtungen im Haushalt nicht mehr erledigen, versteckte Gegenstände, fühlte sich verfolgt und behelligte mit Aufdringlichkeiten die Nachbarschaft.

 

 

Krankheit des Vergessens

 

Alois Alzheimer, dessen Frau Cecilie im Februar jenes Jahres nach schwerer Krankheit verstorben war, stürzte sich in die Arbeit und stellte bald fest, dass die Patientin Deter weder Orientierung über Zeit und Aufenthaltsort hatte, noch sich an Einzelheiten aus ihrem Leben erinnern konnte. Auf Fragen antwortete sie zusammenhanglos. Ihre Stimmungen wechselten rasch zwischen Angst. Misstrauen, Ablehnung und Weinerlichkeit.Es war nicht das erste mal, dass Alois Alzheimer dem Bild von kompletter geistiger Verwirrung begegnete. Bei früheren Fällen hatte er ähnliche Befunde gesehen, diesen indessen keine besondere Bedeutung zugemessen, denn die Patienten waren um die 70 Jahre und älter und Verwirrtheit im Alter galt als schicksalsgebende Begleiterscheinung. Auguste Deter weckte schon allein deshalb die besondere Aufmerksamkeit des Arztes, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung erst 51 Jahre alt war. Viele Wochen lang widmete er sich der Patientin, unter anderem mit geduldigen Befragungen, die ihre schwere geistige Verwirrung offenkundig machten. Dabei war sie sich ihrer Hilflosigkeit durchaus bewusst. In einem Interview, so ist in der Krankenakte nachzulesen, äußerte sie: „Ich habe mich sozusagen selbst verloren.“ Alois Alzheimer gab dem Krankheitsbild daraufhin die Bezeichnung „Krankheit des Vergessens“.Fortsetzung folgt.

Foto: Auguste Deter, die "erste" Alzheimer Patientin

 

INFO:

 

Konrad Maurer, Ulrike Maurer; Alzheimer, 2000, Verlag Piper, ISBN-10: 3492232205