istockphoto 1405704982 612x612Das jüdische Logbuch Anfang November 

Yves Kugelmann

Paris, (Weltexpresso) - «Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.» Traum, Albtraum, gute, schlimme, offene Realität? «Was ist mit mir geschehen?» dachte der Protagonist in Kafkas «Verwandlung». Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden.» Donald Trumps Wahl war immer möglich und von zu vielen als Möglichkeit negiert in einer von Krisen überforderten Welt, die zu oft den Exit statt den Umgang mit alten, neuen und schlicht realen Realitäten sucht.


Freude, Empörung, Gewinne an der Börse, nüchterner Realpragmatismus und die neu-alte Disziplin «Willkür-Antizipation» im Umgang mit dem noch unberechenbaren Trump der zweiten Amtszeit fluten Medien und digitale Kanäle, und das grosse Kaffeesatzlesen beginnt. Wird Trump die Kriege in der Ukraine, Nahost oder Afrika stoppen, wird er die NATO, die multilaterale Welt und damit Europa weiterhin schwächen? Verschärft er den Wirtschaftskonflikt mit China oder treibt er die gesellschaftliche Verrohung voran? Was wird mit dem Kampf gegen die ökologische Bedrohung, mit Frauen- und Minderheitenrechten, mit Abtreibungs- und Freiheitsgesetzen?

Bekommen Populisten in Europa, die autokratischen Agitatoren und totalitären Diktatoren wiederum einen Trump-Schub? Schwächt Trump demokratische Institutionen, die Gewaltenteilung, Gerichtsbarkeit und Medien? Und schließlich: verschärft sich der Antisemitismus, der unter Trump in den USA so massiv gestiegen ist, erneut?

Klar ist: die US-Demokraten und allen voran Joe Biden haben all dies, was immer schon auf dem Spiel stand, nach der ersten Trump-Legislatur in Kauf genommen, keine richtige Kandidatur aufgebaut und Kamala Harris ohne Programm und Plan in einen fast nicht zu gewinnenden Wahlkampf geschmissen.– Unweit der Jardins du Palais Royal serviert Katarina Café. Die Ukrainerin ist vor zwei Jahren nach Paris gekommen, studiert dort und verdient in einem Restaurant ihren Lebensunterhalt. Sie ist 21 Jahre alt, spricht perfekt Französisch. Als der französische Verleger sie am Tag nach der US-Wahl auf den Krieg in der Ukraine anspricht, kommen ihr die Tränen.

Derweil prasseln die Nachrichten über die Zerschlagung der deutschen Ampel-Koalition rein, und der Fokus ändert sich erneut. USA und Deutschland waren mitunter die stärksten Verfechter für die Verteidigungsstrategie der Ukraine. Das Bündnis zerfällt in sich selbst. Gut, schlecht? Wird Trump den Krieg rasch beenden, den Pragmatikern Recht geben, oder bleibt der politische Zynismus? Die Skepsis vieler an einer neuen Trump-Präsidentschaft ist mehr als Vorurteile. Sie gründen auf den Erfahrungen mit den ersten vier Jahren, die im Umgang mit Pandemie und Klimakatstrophen nicht der Parteipolitik, sondern einer menschenverachtenden Ideologie geschuldet waren.

Das hat die große Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft der USA nochmals in die Hände der Demokraten getrieben und wird nun für die Jüdinnen und Juden zur großen Herausforderung, ähnlich wie im System Orbán in Ungarn, in dem sich die Gemeinden mit dem Autokraten arrangieren müssen. Die Demokratie bedeutet Macht auf Zeit. Daran mögen viele und auch Trump rütteln wollen. Trump hat sich längst von der Fackel der Freiheit abgewendet, die die französische Freiheitsstatue am Südende Manhattans in Erinnerung ruft. Doch nicht die Amerikaner, auch nicht jene, die mit unterschiedlichen richtigen und falschen Gründen Trump gewählt haben. Im Tagesgespräch mit Radio SRF sagt der US-Kolumnist Jacob Heilbrunn nach der Wahl auf die Frage nach der amerikanischen Verfassung, der Gewaltenteilung und des Systems der «Checks and Balances» und ob diese auch für Trump gelten: «Die Frage ist: Wird er sich nach seinen bisherigen Erfahrungen in einer zweiten Amtszeit an diese Regeln halten? Ich glaube eher nicht.» Damit sind nicht die Demokraten, sondern die Demokratie herausgefordert. Dann wird alles gut.

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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. November 2024
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.