Wien GeschichteAlma Mahler-Werfel: Femme fatale und unheilbare Antisemitin, Teil 2

Elvira Grözinger


Berlin (Weltexpresso) - Denn Alma war nur ein Kind ihrer Zeit, des fin de siècle 5, eines immer noch puritanischen Klimas, als Männer mit dem Bild der Frau und ihrer eigenen, männlichen Identität haderten. In seinem Todesjahr erschien das Buch Geschlecht und Charakter des Wiener Juden Otto Weininger (1880-1903). Es war seine Dissertation, in der er seinem jüdischen Selbsthass6, der Körperfeindlichkeit und seiner Misogynie Ausdruck verleihen konnte. Für ihn waren Frauen „geistlose und geile Wesen“ und Juden, durch ihren „weiblichen“ Wesenskern bedingt, auch „stets lüstern und geil“, wobei die Juden das Judentum in sich besiegen müssten.


Das Christentum war „männlich“ in seinem Kern und die Lösung. Seine Thesen wie „Der Phallus ist das Schicksal des Weibes“ und „Der absolute Jude ist seelenlos“ zeugen von einer pathologischen Störung. Seine Sexualmythologie – Frau und Trieb auf der einen, Mann und Geist auf der anderen, wobei Frauen „keine Existenz und keine Essenz“ hätten, scheint auf die Sicht hinsichtlich der Stellung der Geschlechter Einfluss gehabt und die Atmosphäre geprägt zu haben, in der Alma aufwuchs. Ihre Mutter ohrfeigte sie noch im Alter von 20 Jahren, was Almas Selbstwertgefühl gewiss nicht stärkte, allerdings konnte sie ihre weiblichen Waffen zur Selbstvergewisserung nutzen und machte daraus regen Gebrauch. Weininger, der die „tiefste Furcht im Manne als die Furcht vor dem Weibe“ beschrieb, beging kurz nach Erscheinen seines Buches Selbstmord.

Ein weiterer einflussreicher Autor war der Wiener Schriftsteller, Publizist, Dichter und Satiriker Karl Kraus (1874-1936), gebürtig aus Böhmen, der zwar nie verheiratet war, aber mit vielen Vorurteilen über Frauen schrieb. In seinen Aphorismen heißt es: „Frauenkunst: Je besser das Gedicht, desto schlechter das Gesicht“ oder „Der Mann hat fünf Sinne, das Weib bloß einen“; „Weibeslust liegt neben der männlichen wie ein Epos neben einem Epigramm“ oder „Weil beim Mann auf Genuß Verdruß folgen muß, muß folgen, daß beim Weib auf Treue Reue folgt“. Kein Wunder, dass angesichts solcher Vorstellungen Freuds Psychoanalyse ihren Anfang nahm. Parallel zu der Misogynie in der Luft, entfaltete sich auch der Typus der femme fatale in der Kunst und Literatur. Schon der römische Satiriker Juvenal (um 60-128 n. Chr.) postulierte: „Nulla ferre causa est, in qua non femina litem moverit“ (oder cherchez la femme! - eine Frau steckt hinter allem…) Die Macht der schönen Frauen über die Männer, wie auch ihre List, waren legendär, von den biblischen und apokryphen Heldinnen und Mörderinnen bis hin zur Mata Hari und Co.7 Gustav Klimt (1862-1918), den Alma als ihre „erste Liebe“ bezeichnete, malte solche Frauen. Eine der berühmtesten Vertreterinnen dieser Gattung in der Literatur ist die Heldin des skandalumwittertem Dramas Lulu (nach Frühlings Erwachen) von Frank Wedekind, welches Mahler am 11. Januar 1907 in Berlin im Reinhardt-Theater sah. Wedekind arbeitete rund 20 Jahre daran, nachdem das Stück Anlass für Verbote und drei Gerichtsverhandlungen wurde. Die Handlung hatte es in sich: Lulu, ein Straßenmädchen, wird von Dr. Schön, ihrem Mentor und Geliebten, nacheinander an zwei Männer verheiratet. Beide versuchen, sie nach ihrem Bild zu formen, verzweifeln an Lulus Affären und sterben. Lulu erschießt Dr. Schön und lebt in Paris und London mit dessen Sohn Alwa, einem Schriftsteller. Sie geht auf den Strich und fällt am Ende dem Lustmörder Jack zum Opfer. Ein zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Sexualtrieb und gesellschaftlichen Zwängen. Das Stück wird seither oft als Statement für die Emanzipation und Selbstbestimmung der Frau interpretiert und inszeniert.

Auch Alma wurde als eine solche betrachtet, denn die Eigenschaften, die einer Femme fatale zugeschrieben werden, trafen auf sie zu: Als solche galt eine unheilbringende Frau, die Männer fasziniert und von deren mehr oder weniger offen ausgelebter Sexualität die Gesellschaft spricht und die sich beispielsweise in einer größeren Anzahl wechselnder Liebhaber oder Ehemänner äußerte. Ihre von Hilmes bereits im Prolog aufgezählte lange Liste von Begegnungen mit sehr vielen berühmten Zeitgenossen, Liebhabern, Verehrern und Ehemännern ist beachtlich – allerdings sind auch solche dabei, die kein gutes Haar an ihr gelassen haben, wie z.B. die Ehefrau von Friedrich Torberg, Marietta Torberg: „Sie war eine große Dame und gleichzeitig eine Kloake“; Claire Goll postulierte: „wer Alma Mahler zur Frau hat, muss sterben“, für Theodor W. Adorno war sie „das Monstrum“, während Claire Goll giftete: „Um ihre welken Reize aufzufrischen, trug sie gigantische Hüte mit Straußenfedern; man wusste nicht, ob sie als Trauerpferd vor einem Leichenwagen oder als neuer d’Artagnan aufzutreten wünschte. Dazu war sie gepudert, geschminkt, parfümiert und volltrunken. Diese aufgequollene Walküre trank wie ein Loch.“ Richard Strauss, der für die Durchsetzung von Mahlers Werken entscheidende Hilfe geleistet hat, hat nach dem Zweiten Weltkrieg Almas Erinnerungen und Briefe gelesen und mit Randnotizen versehen. Die meisten waren kritisch und sein Gesamteindruck der Lektüre der vielfach verfälschten Begebenheiten vernichtend: „Dilettantische Halbwelt biographiert [,] Minderwertigkeitskomplexe eines liederlichen Weibes [,] Erfindungen, Entstellungen und Lügen […].“

Ihre männlichen Verehrer sahen in der jungen Alma hingegen „das schönste Mädchen Wiens“, auch der Maler Oskar Kokoschka fand sie betörend schön und verführerisch. Sie stellte sich als Muse dar, was sie aber nicht war: „Anders als ihre Männer hat Alma keine großen Kunstwerke hinterlassen, die zur Auseinandersetzung anregen würden – keine Sinfonien, keine Gemälde, keine Gebäude, keine Gedichte oder Romane.“ Sie selbst hat nur einige Lieder hinterlassen, von denen fünf dank des Einsatzes von Gustav Mahler gedruckt und so der Nachwelt erhalten geblieben sind. Alma selbst war zwar musikalisch, nahm Musikunterricht, spielte schön Klavier und verehrte Wagner über alles, aber eine große Komponistin war sie nicht. Ihre Autobiographie Mein Leben enthält, was wir heute fake news nennen, die allerdings frühe Biographen in die Irre führten. Die Tagebücher sind entsprechend unzuverlässig, voller Auslassungen, und die Briefe die sie schrieb hat sie vielfach vernichtet. Als sie in New York starb, hinterließ sie allerdings Typoskripte und an die 5000 an sie gerichtete Briefe. Der Nachlass befindet sich in der Van-Pelt-Library an der Universität von Pennsylvania. Ihre andere Biographin, Astrid Seele, hat es auf den Punkt gebracht: „Alma Mahler war ein Phänomen. Kaum je hat ein Mensch so viele widersprüchliche Selbstzeugnisse hinterlassen. Selten hat jemand eine solche Fülle von einander diametral entgegengesetzten Eindrücken bei Mit- und Nachwelt hervorgerufen. Noch seltener spaltet sich das Urteil von Biographen so sehr in radikale Zustimmung oder radikale Ablehnung.“ Hilmes weist aber zurecht darauf hin, dass diese Diskrepanzen auf mangelhafter Quellenkenntnis beruhten.

Fortsetzung folgt

Anmerkungen

5 Der Kulturbetrieb in der österreichischen Hauptstadt zwischen etwa 1890 und 1910 wird als „Wiener Moderne“ bezeichnet. Die „Wiener Moderne“ bildet in der Literatur einen Oberbegriff und kennzeichnet die Produktion der Schriftsteller in Wien in der Umbruchszeit der Jahrhundertwende. Auch in der bildenden Kunst und Musik erlebte die 2 Millionen Metropole des Kaiserreichs einen revolutionären Umbruch. Ein pessimistisches Lebensgefühl und politische Instabilität an der Schwelle zum 20. Jahrhundert waren gepaart mit dem intellektuellen Aufbegehren gegen den Konservatismus und die Dekadenz der Wiener Gesellschaft, und es entstanden neue Stile und Formen im Anschluss an die europäische Moderne, gegen den Naturalismus des 19. Jhs. in zum Teil sich widersprechende Kunstrichtungen, wie Ästhetizismus, Impressionismus, Jugendstil, Symbolismus, Dekadenz oder Neuromantik. Großen Einfluss übt der Wiener Begründer der Psychoanalyse, der Jude Sigmund Freud aus. https://lektuerehilfe.de/literaturepochen/wiener-moderne. Auch Alma wie Mahler wandten sich an ihn.

6 Theodor Lessing (nicht mit Gotthold Ephraim Lessing verwandt, 1872-1933) schrieb sein bekanntes Buch Der jüdische Selbsthass 1930. Darin behandelte er die von ihm für exemplarisch erklärten Paul Rée, Otto Weininger, Arthur Trebitsch, Max Steiner, Walter Calé und Maximilian Harden. Der Sohn einer assimilierten jüdischen Familie – Vater Arzt, Mutter Bankierstochter, geboren 1907 wurde nach Studien bei Edmund Husserl Privatdozent für Philosophie, später ordentlicher Professor in Hannover. In seinen Schriften wendet sich der Philosoph, Mediziner und Reformpädagoge gegen Nationalismus, Gewalt, Herrschaft und jede Art ideologischer Sinnstiftung. Als Kritiker von Hindenburg wurde er zum allgemeinen Hassobjekt, die Hetzkampagne nationalsozialistischer antisemitischer Studenten führte bereits 1926 zum Ende seiner Lehrtätigkeit. Er war ein mutiger und streitbarer Vertreter einer untergehenden deutsch-jüdischen Kultur. Am 1. März begann sein Leben im Prager Exil, aber am 30. August 1933 wurde es in Marienbad beendet, ermordet von sudetendeutschen Nationalsozialisten. Er wurde so zu einem der ersten Opfer jenes Regimes, vor dem er gewarnt hatte. https://www.matthes-seitz-berlin.de/autor/theodor-lessing.html 

7 Elvira Grözinger, Die schöne Jüdin. Klischees, Mythen und Vorurteile über Juden in der Literatur, Philo Berlin/Wien 2003.


Foto:
Alma Mahler, um 1920
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