Alma Mahler-Werfel: Femme fatale und unheilbare Antisemitin, Teil 5
Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - Klimt, der viele „femme fatales“ seiner Zeit porträtierte, warb zwar auch um die junge Alma, vor die Leinwand bekam er jedoch das „schönste Mädchen Wiens“ jedoch nicht.15 Der Maler Kokoschka, wohl kein Jude und als Begründer des deutschen Expressionismus, weltberühmt geworden, wurde für die nächsten drei Jahre ihr Liebhaber. Im Haus ihres Stiefvaters Carl Moll begegnete sie ihm 1912. Beide verliebten sich leidenschaftlich in einander und ihr Verhältnis war ein stürmisches, quälendes wie es bei Alma eine Konstante war.
Die drei gemeinsamen Jahre waren eine seiner wichtigsten Schaffensperioden und er schrieb ihr in dieser Zeit vierhundert Liebesbriefe, die sie aber wie Mahlers vernichtet hat, und alle damals gemalten Frauenbildnisse tragen ihre Züge. Seine Familie und Freunde haben diese Liaison mit großer Skepsis betrachtet und ihre Ablehnungshaltung seiner Familie gegenüber trug zum Scheitern der Beziehung bei. Aber obwohl seine einseitigen Heiratspläne scheiterten, liebte er sie fortan bis an sein Lebensende. Auf dem ersten von sieben, von ihm für sie gemalten Fächer stellt er bereits 1912 die Geschichte seiner Liebe und sich kniend vor der stehenden Frau dar. Diese devote Haltung, stellt Seele fest, bestimmt zunächst ganz wesentlich sein Verhältnis zu ihr, wobei er nicht der einzige Unterwürfige war. Diese masochistische Geste erinnert an die Zeichnungen im Buch vom Götzendienst des polnisch-jüdischen Künstlers und Schriftstellers Bruno Schulz (1982-1942)16, auf denen er vor dem angebeteten „Weib“ wie einem Götzen auf dem Boden kriecht. Kokoschkas Gemälde wurden von den Nazis als „entartet“ verboten. Er malte sie als „Windsbraut“ und ihre gemeinsamen Liebesszenen, war ihr verfallen, dabei besitzergreifend und krankhaft eifersüchtig, sogar auf den toten Mahler. Als Alma von ihm schwanger wurde, befürchtete er, sein Kind könnte Mahlers Züge tragen.17 Alma aber hatte noch wegen Mahler Gewissensbisse und nahm eine Abtreibung vor. Sie war wohl nicht ihre einzige auch in dieser Liebesbeziehung, worunter Kokoschka gelitten hat, aber da er eine sadomasochistische Veranlagung hatte, suchte er auch das Leiden. Alma klagte darüber, dass er sie aufforderte, während der Liebesstunden ihn zu schlagen, was sie aber verweigerte.
Das unharmonische Verhältnis ging nach drei Jahren zu Ende. Auch Kokoschka musste schließlich ihr unberechenbares Schwanken zwischen leidenschaftlicher Intensität und hohler Oberflächlichkeit, was schon Zemlinsky bemängelte, wahrnehmen und es erging ihm wie allen ihren Männern. 1914 ging der bis dahin überzeugte Pazifist an die Front, was als Flucht aus der komplizierten Beziehung gedeutet wird. Allerdings hatte diese Beziehung noch ein kurioses Nachspiel. Als Ersatz für seine Geliebte ließ er mehr als drei Jahre nach der Trennung von einer Puppenmacherin eine nackte weibliche Puppe herstellen, die Alma aufs Haar gleichen sollte, wofür er detaillierte Anweisungen gab. Der fertige Fetisch glich allerdings dem Original nicht, weshalb er ihn mehrmals malte. Erst 10 Jahre nach der ersten Begegnung köpfte er die Puppe und warf sie in den Garten. Ein symbolischer Mord, aber noch 1949 zu ihrem 70. Geburtstag beschwor er ihre alte Liebe und über die inzwischen achtzigjährige Alma behauptete er noch – allerdings ohne Belege -, sie würde ihm noch Liebesbriefe schreiben.18 Alma war sehr unstet in ihren Gefühlen, sie entfremdete sich zunehmen von Kokoschka, über den sie in ihrem Tagebuch herzog: „Mit Oskar möchte ich abrechnen. Er taugt nicht mehr in meinem Leben […] ich muss ihn aus meinem Herzen reißen! […] Weg mit ihm.“ Kokoschkas irrationales Verhalten- „er ist mir ein unersehnt Fremder geworden“ - trieb sie erneut in die Arme von Walter Gropius. Paradoxer Weise hängen jetzt Kokoschkas Bilder von Alma in Museen und tragen zu ihrem Nachruhm bei.
Fortsetzung folgt
Anmerkungen
15 Neue Züricher Zeitung, 06.11.2018.
16 Xięga Bałwochwalcza – Grafikzyklus entstanden in den Jahren 1920-21.
17 Seele, S. 69; Hilmes hingegen berichtet, dass Kokoschka sich nur widerstrebend von seinem „einzigen Kind“ trennte. S. 140.
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Foto:
Doppelbildnis Oskar Kokoschka und Alma Mahler (1912/1913, Ölbild)
Ende 1912 arbeitete Kokoschka an diesem Doppelbildnis, auf dem Alma einen roten Schlafanzug trägt, der für Kokoschka zu einer Art Fetisch wurde. Sie schreibt: „Ich bekam einst einen feuerfarbenen Pyjama geschenkt. Er gefiel mir nicht wegen seiner penetranten Farbe. Oskar nahm ihn mir sofort weg und ging von da ab nur mehr damit bekleidet in seinem Atelier herum. Er empfing darin die erschreckten Besucher und war mehr vor dem Spiegel als vor seiner Staffelei zu finden.“ Unverkennbar stellt das Bild das Liebespaar Oskar und Alma dar, sie reichen sich – wie zur Verlobung – die Hände. Das erkannte wohl auch Walter Gropius, der das Doppelbildnis im Frühjahr 1913 auf der 26. Ausstellung der Berliner Secession zu sehen bekam. Die Aussage war unmissverständlich und muss ihn tief getroffen haben, zumal Alma ihm in ihren Briefen das bereits über ein Jahr währende Verhältnis mit Kokoschka stets verheimlicht hatte.
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