Schicksale und Machenschaften Frankfurter Mediziner im Nationalsozialismus
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kurz nach Hitlers Machtübernahme standen auch in Frankfurt stramme Parteigänger bereit, um ihre jüdischen Kollegen aus den Ämtern zu drängen. Allerdings hat die Frankfurter Universität aus Historikerperspektive eine Ausnahmestellung, denn auf ihrer Personalliste standen Namen wie von Verschuer, Mengele und Hirt.
Trotz ihrer Bekanntheit ist bis heute vieles um diese Täter rätselhaft geblieben. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Forschung Frankfurt“ - dessen interessante Artikel wir schon öfter weitergaben - geht die Medizinjournalistin Martina Lenzen-Schulte den Schicksalen und Machenschaften Frankfurter Mediziner im Nationalsozialismus nach.
Schon früh wurden in Frankfurt jüdische Mitglieder der Fakultät aus dem Amt gedrängt – entweder aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, oder aber informell, wie im Fall des Hygienikers Max Neisser, der selbst um seine Emeritierung bat. Von den 19 Ordinarien der Medizin, die in Frankfurt für das Wintersemester 1932/1933 dokumentiert sind, mußten bis 1938 sechs aktive Mediziner und vier emeritierte ihr Amt verlassen. Hinzu kamen zahlreiche weitere Dozenten und Professoren der Fakultät, insgesamt listet der Frankfurter Medizinhistoriker Udo Benzenhöfer in seinem Buch zur Geschichte der Frankfurter Universitätsmedizin 53 Namen auf.
Richard Koch war eines der ersten jüdischen Fakultätsmitglieder, die nach der Machtübernahme entrechtet wurden. Er war in Frankfurt seit 1926 Vorsteher des Seminars für Geschichte der Medizin und verdiente sich seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen als niedergelassener Arzt in Frankfurt. Er publizierte regelmäßig in der „Frankfurter Zeitung“ über medizinische und naturwissenschaftliche Themen, hatte jedoch nach der Beurlaubung kaum noch Einnahmen. Ab 1936 musste er sich regelmäßig bei der Polizei melden, wurde schließlich gewarnt und floh über verschiedene Stationen in den Kaukasus, wo er in Essentuki 1949 mittellos starb. Er gilt als einer der bedeutendsten Medizintheoretiker und -historiker des 20. Jahrhunderts.
Der international anerkannte Physiologe Gustav Emden wurde zunächst nicht entlassen. Wahrscheinlich wäre er als Jude später verfolgt worden, aber er starb bereits im Juli 1933. Anders erging es dem Ordinarius der Dermatologie, Oscar Gans, der nach Versetzung in den „Ruhestand“, wie es offiziell hieß, 1934 emigrierte und 1949 wieder zurück nach Frankfurt kam. Klassisch ist auch der Fall des Pharmakologen Werner Lipschitz, der als „Volljude“ von zwei Mitarbeitern, die sich bei ihm habilitiert hatten, denunziert worden war. Daß einer von ihnen sich später dazu bekannte, unter dem Druck der neuen Ideologie und seines Kollegen gehandelt zu haben und sich bei der Familie entschuldigte, ist ebenfalls eine Konstellation, die man von anderen Universitäten kennt.
Anstiftung zu verbrecherischer Zwillingsforschung?
Otmar Freiherr von Verschuer zählte zu denjenigen, die sich und ihr Fach den neuen Verhältnissen anzupassen wußten. Er kam nach Frankfurt, nachdem der nationalsozialistische Dekan der Medizin, Hans Holfelder, sich für die Einrichtung eines Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität eingesetzt hatte. Josef Mengele wurde 1937 sein Praktikant, später Assistent und Doktorand.
Als von Verschuer 1942 die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Anthropologie in Berlin übernahm und Mengele 1943 Lagerarzt in Auschwitz wurde, versorgte er das Berliner Institut regelmäßig mit „Material“, Blutproben und Augen von Zwillingspaaren. Von Verschuer bedankte sich ebenso regelmäßig dafür, habe aber – so seine Aussagen nach dem Krieg – nicht gewußt, wie genau dies alles gewonnen wurde. Daß Mengeles Untaten in Auschwitz in der für von Verschuer so bedeutenden Zwillingsforschung ihren Ursprung hatten, ist mehr als plausibel.
In Mengeles Biografie nach der Frankfurter Zeit gibt es bis heute Unklarheiten: Obwohl von Verschuer versuchte, ihn in Frankfurt zu halten, wurde er 1940 einberufen und kam über verschiedene Stationen Ende Mai 1943 als Lagerarzt nach Auschwitz. Bis zum Kriegsende wurde er weiterhin als Angestellter der Universität Frankfurt geführt. Zdenek Zofka erwähnt in seiner Publikation über Mengele, daß dessen Versetzung nach Auschwitz Methode gehabt haben könnte und ganz im Interesse von Verschuers war. Es sei „nicht einmal auszuschließen, dass es überhaupt von Verschuers Idee war, die in Auschwitz gegebenen besonderen Verhältnisse für die wissenschaftliche Forschung auszunützen“.
Für Unverständnis und Aufregung sorgt unter Historikern, daß es von Verschuer gelang, 1951 einen Lehrstuhl für Humangenetik in Münster zu erlangen. Obwohl er alle Aufzeichnungen über seine Forschung aus dem Krieg retten konnte, fehlten just diejenigen, die sich auf die Zusammenarbeit mit Mengele beziehen. Nach dem Krieg bettelte er unbelastete deutsche Kollegen – darunter Otto Hahn vergeblich – um Persilscheine an, und stellte sich geschickt seinen internationalen Kollegen gegenüber als Opfer unseliger Entwicklungen und einer Verbrecherkaste dar, von der er sich stets distanziert hätte.
Der Historiker Benno Müller-Hill vermutet, dass ihm dabei auch belastendes Wissen über andere zugutekam. Eine Biografie von Verschuers fehlt noch immer, auch die Forschung über das vermutete Netzwerk ehemaliger NS-Eugeniker und Nationalsozialisten an der Universität Münster hat nie wirklich Fahrt aufnehmen können.
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