Kritik am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA)
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Das American Jewish Committee kritisiert das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, weil es den Antisemitismus verharmlose. Nach der Definition der Wissenschaftler wäre nicht einmal Mahmud Ahmadinejad Antisemit.
Antijüdische Hassdemonstrationen im Sommer 2014 in Deutschland und gezielte Morde an Juden im Januar 2015 in Frankreich – da sollte man eigentlich meinen, dass die deutsche Antisemitismusforschung im Aufwind ist und gemeinsam mit jüdischen Organisationen nach Antworten sucht. Nun aber warf das American Jewish Committee (AJC) ausgerechnet dem Berliner „Zentrum für Antisemitismusforschung“ (ZfA) in einer 15-seitigen Stellungnahme eine „Verharmlosung des Judenhasses“ vor.[1]
Niemals zuvor hat eine renommierte jüdische Organisation die deutsche Antisemitismusforschung derart scharf kritisiert. 1906 in den USA gegründet, organisiert das AJC seit vielen Jahren Bildungsprogramme gegen den Antisemitismus in Berlin. Bei der Feier zum hundertsten Jahrestag dieser Organisation trat neben Kofi Annan auch Bundeskanzlerin Angela Merkel als Rednerin auf.
Anlass der AJC- Kritik ist der vom ZfA erarbeitete Forschungsbericht „Antisemitismus als Problem und Symbol“.[2] Diese vom Senat geförderte Studie soll die Erscheinungsformen des Antisemitismus in Berlin für die Jahre 2010 bis 2013 darstellen, deren Ursachen erforschen und Leitlinien für seine Bekämpfung entwickeln.
Die 140-seitige Untersuchung, die die ZfA-Mitarbeiter Michael Kohlstruck und Peter Ullrich im Januar 2015 vorlegten, reiche „in ihrer grundsätzlichen Bedeutung weit über Berlin hinaus“, betont die Leiterin des ZfA, Professorin Schüler-Springorum.[3] Aus entgegengesetzter Perspektive wird diese Einschätzung auch vom AJC geteilt: Der Streit über diese Studie sei eine Auseinandersetzung, „die über das Land Berlin hinaus globale Bedeutung besitzt.“[4]
Der „Welt“ gegenüber bezeichnet Schüler-Springorum die Differenzen als eine „Diskrepanz in der Wahrnehmung“ und führt diese darauf zurück, „dass das AJC sich systematisch weigert, den Unterschied zwischen Wissenschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement zur Kenntnis zu nehmen.“ Ob sie die Vorwürfe auf diese Weise aus der Welt schafft, erscheint jedoch zweifelhaft.
Verhaltensauffälligkeit des jüdischen Kindes
Der Studie mangelt es „an Sensibilität für die Ängste und Sorgen von Juden“, erklärt die Berliner AJC-Direktorin Deidre Berger. Anstatt diese ernst zu nehmen, würde „den Juden Befangenheit beim Thema unterstellt.“[5] In der Tat vermittelt der Bericht nicht selten den Eindruck, als würden Opfer und Täter vertauscht. Wenn es zum Beispiel um jüdische Schüler geht, die aus Furcht vor Angriffen das öffentliche Schulsystem verlassen, fragen die Autoren, ob wirklich „die Zugehörigkeit zum Judentum ausschlaggebend für Konflikte“ sei, oder nicht eher „Verhaltensauffälligkeiten des Kindes.“[6] Wenn es aber um potentielle Antisemiten geht, werden diese wiederholt gegen „das ritualhafte Anbringen … überzogener Antisemitismusvorwürfe“ verteidigt.[7]
Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umgang mit Israel. Deidre Berger zufolge, nehmen die Autoren „radikale Israelkritiker in Schutz.“[8] Tatsächlich schränken Kohlstruck und Ullrich die Bedeutung des Wortes Antisemitismus derart ein, dass selbst ein Mahmoud Ahmadinejad aufatmen kann. Der „Begriff Antisemitismus“ erklären sie, gelte nur bei einer „Ablehnung von Juden als Juden“.[9] Damit sind Ahmadinejad und seine Freunde, die „nur“ den jüdischen Staat, nicht aber die „Juden als Juden“ auslöschen wollen, vom Stigma des Antisemitismus befreit. Doch auch Gruppenfahrten nach Israel lehnt das ZfA ab. Die Begründung: „Derartige deutsch-israelische Begegnungsprojekte können bei jugendlichen Teilnehmenden ungewollt eine Gleichsetzung der Kategorien ,Israelis‘ und ,Juden‘ befördern“, was aber zu vermeiden sei.[10]
Drittens erweckt der Bericht, so weiter Deidre Berger, „den Eindruck, antijüdische Stimmungen unter Muslimen zu verteidigen“[11]. Dass diese zumindest entschuldigt werden, ist evident. So behaupten die Autoren, dass in dieser Bevölkerungsgruppe aufgrund von Unterprivilegierung und Diskriminierung „die subjektive Notwendigkeit“ einer Verwendung antijüdischer Feindbilder bestehe. Zum Teil gehe die „generalisierte Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden“ auch auf „Erfahrungen der Eltern- und Großelterngeneration“ in der nahöstlichen Konfliktregion zurück.[12]
Alles durch die Brille der deutschen Schuld?
Der Forschungsbericht stelle „sowohl die zivilgesellschaftliche als auch die politische Arbeit zum Thema Antisemitismus grundlegend in Frage“, schreibt abschließend das AJC.[13] Tatsächlich gehen Kohlstruck und Ullrich mit dem „Anti-Antisemitismus“, also mit den Versuchen, sich gegen Antisemitismus zu wehren, erstaunlich hart ins Gericht. Sie mokieren sich über die „Empörung“ derer, die der Judenfeindschaft entgegentreten, sie kritisieren die „Dämonisierung“ des Judenhasses und sie fordern, dass man den „Anti-Antisemitismus“ bei Fortbildungsveranstaltungen ebenso kritisch behandeln sollte, wie den Antisemitismus selbst.[14]
Deidre Berger ist beizupflichten, wenn sie die ZfA-Studie eher als „politische Streitschrift denn als eine objektive wissenschaftliche Untersuchung“ begreift.[15] Eine Vorlage dürfte das von Koautor Peter Ullrich 2013 veröffentlichte Buch „Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt“ gewesen sein. [16]
Hier wendet sich Ullrich gegen „ein ganz spezifisches ,Denken nach Auschwitz‘, das den Zwang beinhaltet, mehr oder weniger alle Ereignisse durch die Brille von deutscher ,Schuld und Erinnerung‘ zu betrachten.“[17] Und er polemisiert gegen Israel. „Das Schlagwort von der ,einzigen Demokratie im Nahen Osten‘“, heißt es dort, liefere ein „Zerrbild von Israel, welches bestenfalls etwas mit dem bunten Nachtleben von Tel Aviv zu tun hat.“[18]
Ullrich macht aus seiner Nähe zur Partei „Die Linke“ keinen Hehl.[19] Folgerichtig lehnt er den Vorwurf des Antisemitismus für Anti-Israel-Aktivitäten, wie sie Teile der Linkspartei praktizieren, ab. Weder der Boykott Israels noch „die Ablehnung eines ,Selbstbestimmungsrechts des jüdischen Volkes‘“ seien zwingend antisemitisch, betont er in seinem Buch, und „selbst der Vergleich von Aspekten israelischer und nationalsozialistischer Politik … muss möglich sein und wird auch vielfach praktiziert.“[20]
Den Verantwortlichen im „Zentrum für Antisemitismusforschung“ sind diese Positionen bekannt, Ullrichs Buch wurde auf dessen Homepage beworben. Ob auch Andreas Statzkowski, der Berliner Staatssekretär für Sport und Verwaltung, Ullrichs Positionen kannte und billigte, als er dessen jüngsten Forschungsbericht mit einem lobenden Vorwort versah, ist unbekannt.
Verfehlte deutsche Antisemitismusforschung
Zwar deutete sich der jetzt aufgebrochene Konflikt über den Antisemitismus und seine Bekämpfung seit Längerem an. Alarmierend ist jedoch, dass sich die Leiterin des Zentrum für Antisemitismusforschung die Aussagen des Kohlstruck/Ullrich-Berichts vorbehaltlos zu eigen macht und als zukunftsweisend begrüßt.
Seit dem Sommer 2014 hat sich der Antisemitismus in Westeuropa radikalisiert. Da ist es schon betrüblich, dass es der Intervention einer amerikanischen jüdischen Organisation bedarf, um über eine verfehlte Weichenstellung der deutschen Antisemitismusforschung zu informieren. Das ZfA setze „weiter auf kollegialen Austausch und Diskussion“, erklärt Schüler-Springorum und kündigt der „Welt“ gegenüber „eine Tagung zum Thema“ an. Ob die Chance, die die Intervention des American Jewish Committee bietet, genutzt werden wird, ist offen.
Am 11. Februar 2015 in der Tageszeitung DIE WELT veröffentlicht .
Anmerkungen:
[1] AJC Berlin Ramer Institute for German-Jewish Relations, Antisemitismus im Deutungskampf, Anmerkungen zur Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol – Phänomene und Interventionen in Berlin“ des Zentrums für Antisemitismusforschung, 4. Februar 2015, Berlin.
[2] Michael Kohlstruck und Peter Ullrich, Antisemitismus als Problem und Symbol. Phänomene und Interventionen in Berlin, Heft 52 der Reihe Berliner Forum Gewaltprävention, Berlin 2014.
[3] Kohlstruck/Ullrich, a.a.O., S. 10.
[4] AJC Berlin Ramer Institute, a.a.O., S. 3.
[5] AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück, Pressemitteilung des AJC vom 5. Februar 2015.
[6] Kohlstruck/Ullrich, a.a.O., S. 46.
[7] Kohlstruck/Ullrich, a.a.O., S. 22.
[8] AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück, a.a.O..
[9] Kohlstruck/Ullrich, a.a.O., S. 91.
[10] Ebd., S. 69
[11] AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück, a.a.O..
[12] Kohlstruck/Ullrich, a.a.O., S. 89f.
[13] AJC Berlin Ramer Institute, a.a.O., S. 13.
[14] Ebd., S. 91f f.
[15] AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück, a.a.O..
[16] Peter Ullrich, Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs, Göttingen 2013.
[17] Peter Ullrich, a.a.O., S. 23.
[18] Ebd., S. 24.
[19] Samuel Salzborn, Unter falscher Flagge. Politische Ablehnung oder wissenschaftliche Kritik? Drei Klarstellungen zu den Einwänden von Peter Ullrich und Alban Werner, in: Zeitschrift für Politik, 59. Jg., 1/2012, S. 104.
[20] Ebd., S. 34 und S. 75f.