Ein notwendiger Nachtrag zu dem Artikel „Mythos Galizien“
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - In ihrem Artikel „Mythos Galizien“ (Weltexpresso 20. März 2015 ) - über die kommende Ausstellung im Wien Museum - schreibt Anna von Stillmark, bei der Erinnerung an Lemberg, die ehemals pulsierende Hauptstadt Galiziens zur Zeit der Habsburgermonarchie, würden Literaturbegeisterte oder die, die um die Geschichte der europäischen Juden wissen, von Wehmut ergriffen.
Diese Wehmut, verbunden mit Zorn und Verachtung, fühlt erst derjenige richtig, der um den wichtigen Teil der Geschichte von Lemberg weiß, die auch zu einem wichtigen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte wurde. Lemberg war 1941 beim Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion Schauplatz eines grausamen Pogrome gegen die jüdischen Bewohner der Stadt, der wiederum eng verbunden ist mit einem der größten politischen Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem Fall des Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer, der wegen seiner Verstrickung in das damalige Geschehen zurücktreten musste. Es war der erste derartige Fall in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Schon allein deshalb verdient er Beachtung.
„Es fing damit an“, erinnerte sich die Schweizer Zeitung „Der Bund“ am 18. März 1960, „dass ‚Die Tat’, das wöchentlich erscheinende Organ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, im September 1959 behauptet hatte, Theodor Oberländer stehe unter dem Verdacht, im letzten Weltkrieg an Massenmorden in Lemberg beteiligt gewesen zu sein.“ Oberländer gehörte während der NS-Zeit einer militärischen Sondereinheit an, die 1940 von der Auslandsabwehr beim Oberkommando der Wehrmacht für künftige Einsätze im Osten gebildet worden war. Sie bestand aus nationalistisch gesinnten Ukrainern, die sich auf die Seite der Deutschen geschlagen hatten. Dieses so genannte Bataillon „Nachtigall“, dem Oberländer als Verbindungsoffizier angehörte, marschierte als erster Verband in Lemberg ein, wo seine Angehörigen, so hieß es in dem Artikel, „beträchtliche Initiative“ bei Säuberungen und Pogromen entfaltet hätten.
Noch ehe die Zeitung ausgeliefert werden konnte, erwirkte Oberländer deren Beschlagnahme, was sich für ihn äußert kontraproduktiv auswirkte. Jetzt wollten alle wissen, was da unterdrückt werden sollte. Die Öffentlichkeit erfuhr, um wen es sich bei Theodor Oberländer handelte und wen sich der erste Kanzlers der Bundesrepublik da ins Kabinett geholt hatte, einen alten Parteigänger Adolf Hitlers, der bereits 1923 an einem Putschversuch der Nazis, dem Marsch zur Feldherrnhalle in München, teilgenommen hat und später als Amtsleiter im Gaustab Ostpreußen der NSDAP tätig war. Als Experte für osteuropäische Fragen leitete er den nationalsozialistischen „Bund deutscher Osten“. Die Details aus dem politischen Vorleben des Bundesvertriebenenministers erregten weltweit Aufsehen. Die Bundesrepublik war von ihrer Vergangenheit eingeholt worden. Genervt von der Affäre regte die Fraktion der CDU/CSU im Bundestag die Beurlaubung Oberländers an. Adenauer wiegelt ab. Jeder wisse doch, dass Oberländer „tief braun“ gewesen sei; seine persönliche Integrität stehe aber außer Zweifel. Am 3. Mai 1960 reichte Oberländer seinen Rücktritt ein.
Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde ein halbes Jahr später mangels Tatverdachts eingestellt. Die Bonner Staatsanwalt kam in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis, dass es nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Lemberg zu einem Pogrom gegen Juden gekommen sei. den Angehörige verschiedener national-ukrainischer Bewegungen entfesselt hätten.
Es sei nicht auszuschließen, dass sich einzelne, namentlich nicht feststellbare ukrainische Angehörige des Bataillons „Nachtigall“ entgegen den eindeutigen Befehlen des Bataillonskommandeurs Dr. Herzner und des Verbindungsoffiziers Oberländer an den Ausschreitungen beteiligten. In einer der vielen noch folgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen gab der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann als Anwalt zu bedenken, dass einige Unklarheiten offen geblieben seien, die durchaus eine Belastung Oberländers bedeuten könnten. Die Gerichtsakten kann niemand mehr einsehen. Sie wurden als „nicht archivwürdig“ vernichtet, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 3. Oktober 1983 berichtete.
Aus der kollektiven Erinnerung ist der Fall auch verschwunden, wie der eingangs erwähnte, von lückenhafter Geschichtskenntnis zeugende Artikel „Mythos Galizien“ beweist.
P.S.: Ob dem so ist, wird die Ausstellung in Wien, die am 25. März eröffnet wird, zeigen. Die Redaktion
Bezugsartikel: http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/4513-mythos-galizien
Foto: TExt unter dem Foto: Einmarsch einer Wehrmachtseinheit in Lemberg, unmittelbar darauf begannen die Judenpogrome
INFO:
MYTHOS GALIZIEN
Eine Ausstellung des Wien Museum in Kooperation mit dem International Cultural Centre in Krakau
Eröffnung: Mittwoch, 25. März 2015, 18.30 Uhr
Ausstellungsort: Wien Museum Karlsplatz, 1040 Wien
Ausstellungsdauer: 26. März bis 30. August 2015
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr
www.wienmuseum.at