Zum Weggang von Raphael Gross als Direktor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Am Ende der achtjährigen Tätigkeit von Raphael Gross als Direktor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main steht ein politischer Offenbarungseid. Der in der Schweiz geborene und dort aufgewachsene Wissenschaftler, von Beginn an überfordert mit diesem Amt, räumt das Feld, ohne sich seiner Verantwortung für den beschämenden Umgang des Fritz-Bauer-Instituts mit seinem Namensgeber gestellt zu haben.

 

Als die Diskussion darüber unausweichlich zu werden schien, zog er die Notbremse. Er machte die Auseinandersetzung mit meiner Kritik davon abhängig, dass ich die, so wörtlich „falsche Unterstellung, Werner Renz habe die Angeklagten im Auschwitz-Prozess als ‚für das Geschehen in Auschwitz nicht verantwortlich’ bezeichnet“, öffentlich widerrufe und mich ebenso öffentlich bei Herrn Renz entschuldige, bei jenem Werner Renz, der seit Jahren als Leiter der Dokumentation der Fritz-Bauer-Instituts die historische Bedeutung des Auschwitz-Prozesses und die entscheidende Rolle des hessischen Generalstaatsanwalts beim Zustandekommen des Verfahrens in Zweifel zieht.

 

Raphael Gross konnte schwerlich davon ausgehen, dass ich dem Ansinnen nachkommen und mich bei seinem Untergebenen entschuldigen würde. Oder ist Werner Renz gar nicht sein Untergebener, sondern der eigentliche Chef des Instituts? Wie auch immer, jedenfalls war die Hoffnung, sollte der Institutsleiter sie denn gehegt haben, der Auseinandersetzung aus dem Wege gehen zu können, ein Trugschluss. Zur selben Zeit hatte sich nämlich der hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, meiner Kritik angenommen. Er werde die „Eigen- und Fremdwahrnehmung des Fritz-Bauer-Instituts und die Positionierung zum Namensgeber“ im Stiftungsrat zum Thema machen und den wissenschaftlichen Beirat daran beteiligen, schrieb er mir. Der Minister ist stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates. Er vertritt dort zusammen mit dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier das Land Hessen, das dem Fritz-Bauer-Institut 2014 einen Zuschuss von 350 000 Euro gewährte.

 

Dies alles geschah wenige Tage nachdem der Berliner „Tagesspiegel“ in großer Aufmachung meine Kritik am Umgang des Fritz-Bauer-Instituts mit seinem Namensgeber veröffentlicht und sie als Ausdruck eines Deutungskampfes um das Vermächtnis des Auschwitz-Chefanklägers interpretiert hatte. Um eine Stellungnahme zu dem Artikel gebeten zeigte sich Raphael Gross wenig im Bilde. Dem Deutschlandradio Kultur erzählte er, es seien „ganz viele wirklich falsche Tatsachen in dem Artikel“. Eingefallen ist ihm dazu ein einziges Beispiel, und auch das stimmte nicht. Gross unterstellte mir die Behauptung, das Fritz-Bauer-Institut habe die Arbeit der Historikerin Irmtrud Wojak an der Biografie des hessischen Generalstaatsanwalts nicht gefördert. Tatsächlich steht in dem Artikel davon kein einziges Wort.

 

Ebenso konfus war seine Reaktion auf meinen Vorwurf, das Fritz-Bauer-Institut habe ein Buch unterstützt, dessen Verfasser Ronen Steinke wahrheitswidrig behauptet, Fritz Bauer sei zum Antisemitismus der Nachkriegszeit nie ein öffentliches Wort über die Lippen gekommen. Das Institut habe die Arbeit „von Herrn Steinke überhaupt nie unterstützt“, wehrte sich Raphael Gross, er habe nur wie jeder andere die Archivbestände genutzt. In Wirklichkeit wäre das Buch ohne tatkräftige Mitwirkung des Fritz-Bauer-Instituts wahrscheinlich niemals herausgekommen. „Mein Dank gilt dem Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main, das mir den Status eines Gastwissenschaftlers mit allen dazugehörigen fachlichen und technischen Hilfestellungen freundschaftlich gewährt hat“, schwärmt Ronen Steinke in seiner Danksagung. „Allen voran Werner Renz, sachkundig und zu meinem Glück auch großzügig wie wenige.“

 

Ohne Scheu lobte Werner Renz das Werk seines Schützlings denn auch über den grünen Klee. (1) Da Fritz Bauer seit den 1990er Jahren anscheinend „nur noch Verehrer, Adepten und Jünger“ gehabt habe, schrieb er in einer Rezension, sei es „geradezu wohltuend“, dass der Jurist und Journalist Ronen Steinke Fritz Bauer aus Fachinteresse zum Gegenstand eines kritischen und gut lesbaren Buches gemacht habe - den sprichwörtlichen Blick durchs Schlüsselloch nicht ausgeschlossen, wie man hinzufügen muss. Schon im ersten Monat nach seiner Ankunft im dänischen Exil habe Fritz Bauer eine Nacht mit einem Dänen verbracht, lässt Steinke seine Leser wissen. Ein Polizist habe Bauers Fenster noch nachts um 2.30 Uhr beobachtet und in seinem Bericht festgehalten: „Von der Straße aus konnte man beobachten, dass der Deutsche sich ausgezogen hat, ohne sich ein Pyjama anzuziehen.“ (S. 101). Am Schluss der Rezension schreibt Renz: „Eine herausragende Gestalt der Zeitgeschichte findet ihre angemessene Darstellung.“

 

Weitere Details gab Werner Renz später unter der Überschrift „Geschichtsklitterung oder Fritz Bauer und die Hagiografie“ (2) selber preis, und zwar gestützt auf eine Quelle, von der er sagt, sie gelte in der Bauer-Rezeption als umstritten. Gemeint ist eine Akte der Kopenhagener Polizei aus dem Jahr 1936. Wortgetreu zitiert Renz die darin geschilderten „widernatürlichen Handlungen“, bei denen Bauer das Geschlechtsteil eines männlichen Prostituierten „bis zum Samenerguss manipuliert habe“. Bei der Zusammenstellung handle es sich um seine rein persönliche Auffassung, erklärte Renz in einem Begleitschreiben, und nicht um einen Text, der eine Ansicht des Fritz-Bauer-Instituts darlege.

 

Eine solche Einschränkung hat Werner Renz bei keinem der mir bis dahin bekannten Texte für notwendig gehalten. Egal was er zu Papier brachte, er konnte sich der Rückendeckung von „oben“ allem Anschein nach immer gewiss sein. Selbst als er im Herbst 2006 mit einem skandalösen Artikel über die angebliche Sinnlosigkeit des Auschwitz-Prozesses das Fritz-Bauer-Institut in eine Existenzkrise stürzte, konnte er bleiben, während sein Kritiker, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates, Professor Joachim Perels, gehen musste. Als Raphael Gross 2007 die Leitung des Fritz-Bauer-Instituts übernahm, fand er einen Scherbenhaufen vor. Statt die Ursachen der Malaise zu beheben, kehrte er nach der Beobachtung von Insidern die Scherben unter den Teppich und machte sich als „Jedermanns Liebling“ einen Namen. Selbst als Werner Renz öffentlich zu verstehen gab, dass es den Auschwitz-Prozess wahrscheinlich auch ohne Fritz Bauer gegeben hätte, ließ Raphael Gross ihn gewähren.

 

Irritiert fragte der Vorsitzende des in Braunschweig beheimateten Fritz-Bauer-Freundeskreises Udo Dittmann, Ende Dezember 2014: „Welches Verhältnis hat das Fritz Bauer Institut zu Fritz Bauer?“ Im neuen Programm des Jahres 2015 tauche Fritz Bauer an keiner Stelle auf. Es sei merkwürdig, dass mit vielen Personen, die zu Fritz Bauer gearbeitet hätten, Konflikte bestünden, zum Beispiel mit Irmtrud Wojak, Joachim Perels, Ilona Ziok und anderen. Von Joachim Perels war bereits die Rede. Die Historikerin Irmtrud Wojak, ehemals stellvertretende Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts, wird von den Verantwortlichen der Einrichtung geschnitten, weil ihre Biografie über Fritz Bauer, mit der sie sich habilitierte und die ihr zu Weltgeltung verhalf, angeblich nicht genug Distanz zum verstorbenen hessischen Generalstaatsanwalt wahrt. Eine von ihr gestaltete öffentlich gelobte Ausstellung über den Auschwitz-Prozess und seinen Initiator wurde mit der fadenscheinigen Begründung vernichtet, es fehle an Lagerkapazität. Ilona Zioks Film „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ www.fritz-bauer-film.de, von der deutschen Filmbewertungsstelle einstimmig mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet und seit Jahren international erfolgreich, wird vom Fritz-Bauer-Institut boykottiert, weil die Regisseurin Gegner Fritz Bauers nicht zu Wort kommen lasse. Werner Renz nannte ihn einen „medialen Missgriff“.

 

Von all dem scheint die Vorsitzende des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V., Jutta Ebeling, die zum Abschied den Weihrauchkessel für Raphael Gross geschwenkt hat, nichts mitbekommen zu haben. Dabei müsste sie sich längst fragen, ob das Fritz-Bauer-Institut seinen Namensgeber überhaupt noch fördert, bzw. inwieweit seine Tätigkeit noch mit der Satzung des Fördervereins konform geht. Dort heißt es, Zweck des Vereins sei es „des Weiteren, durch die Gründung des Instituts die Erinnerung an Leben, Werk und Wirken des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer im öffentlichen Bewusstsein wachzuhalten und zu fördern.“ Das Institut besteht jetzt 20 Jahre. In dieser langen Zeit haben es die Verantwortlichen – von allem Anderen abgesehen - nicht fertig gebracht, eine Gesamtausgabe der Schriften zu Fritz Bauer herauszubringen. Wer Bauers Vortrag über die „Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ aus dem Jahr 1960 lesen möchte, wird zwar in Amerika fündig, nicht aber in Deutschland. Ist es das, was das Fritz-Bauer-Institut unter der Aussage versteht, es fühle sich dem Andenken Fritz Bauers verpflichtet?

 

Nicht alle, die einst an der Wiege der wissenschaftlichen Einrichtung standen, sehen deren Werdegang so unkritisch wie Jutta Ebeling. Eine Mitbegründerin des Instituts, Trägerin eines berühmten Namens, bedankte sich unaufgefordert für meinen - wie sie mir schrieb - „guten Artikel im Tagesspiegel“, in dem ich den Umgang mit Fritz Bauer beanstande. Das Fritz-Bauer-Instituts leiste allerdings auch „sehr gute aufklärerische Arbeit, ganz im Sinne des Namensgebers“. Sie setze zuversichtlich darauf, „dass sich eine wissenschaftlich saubere und menschlich anständige Rezeption Fritz Bauers à la longue durchsetzen“ werde. Getroffene Hunde bellen, sagt der Volksmund. Verärgert kündigte Werner Renz, als er das las, der Dame die Freundschaft.

 

Mir unterstellte Raphael Gross wegen meines Artikels „eine Art von Ressentiment“, ohne zu sagen, was er damit meint. „Der Autor ist ja zum Beispiel kein Historiker“, druckste er im Deutschlandradio herum, „ist ein Journalist, eine Zeitzeuge, auch ein sehr interessanter in dieser Kapazität, aber wirklich nicht als Historiker“. Es stimmt, ich bin kein Historiker, aber Werner Renz ist auch keiner. Ein halbes Jahr davor spielte das für Raphael Gross überhaupt keine Rolle. Am 4. Juni 2014 akzeptierte er in einem halbstündigen Telefonat meine Kritik an der unkommentierten Wiedergabe eines Zeitungsartikels aus der Nazizeit, in dem behauptet wird, Fritz Bauer habe 1933 als Schutzhäftling ein Treuegelöbnisses gegenüber der Naziführung abgelegt.

 

Ich hatte dieses Dokument im Katalog zur Ausstellung „Fritz Bauer – Der Staatsanwalt“ entdeckt und mich deswegen an Gross gewandt. Am 5. Juni schrieb er mir: „Mit Recht monieren Sie in Ihrem Brief, wir würden den Kontext . . . nicht genügend im Katalog darstellen. Das werden wir bei jeder weiteren Auflage nun versuchen. Auch werden wir in der Ausstellung den Kontext deutlicher herausstellen.“ Passiert ist nichts. Ergänzt wurde die Ausstellung lediglich durch drei Dokumente, die der Nazipropaganda den Schein der Glaubwürdigkeit verleihen. Eine Unterschrift Fritz Bauers war nicht dabei. „Geradezu gespenstisch“ nannte es der Historiker Peter Steinbach am 10. Dezember 2014 im Deutschlandradio Kultur, eine von den Nazis verbreitete Erklärung Bauers aus der Haft als ein ernst zu nehmendes Treuebekenntnis zu interpretieren. Er halte das für abwegig. Unberührt davon bedankte sich Felix Semmelroth im Namen der Stadt Frankfurt für die Tätigkeit von Raphael Gross und bedauerte seinen Weggang. Die hessische Landesregierung äußerte sich nicht; jedenfalls enthält die Pressemitteilung des Fritz-Bauer-Instituts über den Weggang seines Direktors weder ein Wort des Dankes noch des Bedauerns aus Wiesbaden.

 

Als ich 1993 in einem Rundfunkessay unter der Überschrift „Einem Nestbeschmutzer zum Gedenken“ Fritz Bauers Wirken als politischer Mensch gewürdigt habe, wies ich zum Schluss darauf hin, dass mit der Benennung des Frankfurter Studien- und Dokumentationszentrums zur Geschichte und Wirkung des Holocaust nach Fritz Bauer ein erster Schritt zur Rehabilitierung des unbequemen Mahners getan worden sei. Jetzt beende ich diesen eher betrüblichen Rückblick auf das, was seither geschah, wiederum mit einem optimistischen Ausblick. Fritz Bauer bekommt einen neuen Gedenkort. „Haus der Humanität“ heißt die Internet-Plattform, ins Leben gerufen von der gemeinnützigen Buxus-Stiftung. Dort wir der Demokrat und Patriot Fritz Bauer, der „an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst hat“ (3), fern jeder staatlichen Einflussnahme den ihm gebührenden dauerhaften Platz in der deutschen Erinnerungskultur bekommen. Auch die Geschichten von anderen Menschen, „deren Haltung, Mut und Eigensinn sie gegen den Strom schwimmen lässt, weil ihr Gewissen, ihre Menschlichkeit ihnen dies gebietet“ (4), sollen dort erzählt werden.

 

 

Anmerkungen:

 

(1) Werner Renz, Ronen Steinke: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, Nassauische Annalen, Bd.125, 2014.

(2) Hagiografie = Darstellung des Lebens von Heiligen

(3) Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes.

(4) Geschäftsadresse der Stiftung: Isabellastraße 10, 80798 München. Erreicht werden kann die Geschäftsführerin PD Dr.Irmtrud Wojak auch unter der E-Mail-Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!