Streit unter Vertriebenen am Vorabend des Sudetendeutschen Tages
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Als im März dieses Jahres bekannt wurde, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft auf die „Wiedergewinnung der Heimat“ und auf Entschädigungszahlungen gegenüber der Tschechischen Republik verzichtet, war das Aufsehen groß. Die Tageszeitung „Die Welt“ sprach von einem „grundsätzlichen Kurswechsel“, einem „revolutionären Quantensprung“.
Ich selbst dachte eher an einen Satz aus Schillers „Wallenstein“: „Spät kommt Ihr – doch Ihr kommt! Der weite Weg, Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen“, obwohl es in dieser Sache nichts zu entschuldigen gibt.
Mit dem Versprechen einer Rückkehr in die alte Heimat hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft Jahrzehnte lang Schindluder getrieben mit der Heimatliebe der Vertriebenen. Jetzt sagte ihr Sprecher Bernd Posselt, wie der „Donaukurier am 15. Mai zu berichten wusste: „Das hält sowieso kein vernünftiger Mensch für möglich oder anstrebenswert.“ Nicht anstrebenswert? Noch vor zehn Jahren hat derselbe Bernd Posselt, der seine Landsmannschaft jetzt „als Bindeglied im deutsch-tschechischen Dialog“ empfiehlt, als CSU-Abgeordneter im Europäischen Parlament gegen die Aufnahme der Tschechischen Republik in die EU gestimmt. 2006 stellte er die Tschechen auf eine Stufe mit den Mördern von Auschwitz und nannte die Aussiedlung der Sudetendeutschen „gezielten Völkermord“.
Jetzt raspelt er Süßholz. Für ihn und seinen Verein geht es nämlich ums politische Überleben. Damit die Sudetendeutsche Landsmannschaft nicht das Wohlwollen der bayerischen Landesregierung und der Bundesregierung verliert, die beide an gutnachbarlichen Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarn interessiert sind, musste die Landsmannschaft sich wohl oder übel von revanchistischen Forderungen aus der Zeit des Kalten Krieges verabschieden.
Deutsche Gebiets- und Entschädigungs-Forderungen gegenüber befreundeten EU-Mitgliedsländern machen einen schlechten Eindruck. So was hört auch die Bundesregierung nicht gern. Deshalb mussten anrüchige Passagen aus der Satzung verschwinden. Sowohl die Sudetendeutsche Landsmannschaft als auch der Bund der Vertriebenen (BdV) sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ohne sie könnten sie nicht überleben. Als politische Hilfstruppe werden sie nicht mehr gebraucht. Wohl auch deshalb möchte der neue BdV-Präsident Bernd Fabritius nach dem Abgang der querulatorischen Erika Steinbach das Verhältnis zu Warschau verbessern, vorausgesetzt dass auch Polen seine Vergangenheit kritisch beleuchte.
Die vom Bundesvorstand der Sudetendeutschen Landsmannschaft beantragte und auf einer Bundesversammlung am 28. Februar mit Zweidrittelmehrheit gebilligte Satzungsänderung ist bei Teilen der eigenen Leute auf Widerspruch gestoßen. Der Vorsitzende der Bezirksgruppe Oberbayern, Johan Slezak, und der Vorsitzende der Bezirksgruppe Schwaben, Felix Vogt-Gruber, haben der Bundesführung den Fehdehandschuh hingeworfen. Es wurden Unterschriften gesammelt, Klagen bei Gerichten eingereicht und Rücktrittsforderungen formuliert. Die genannten Provinzfürsten der Landsmannschaft sind gleichzeitig Vorsitzende des nationalkonservativen Witikobundes. Das ist ein elitärer Verein, der sich als geistige Speerspitze der Landsmannschaft versteht. Er wurde nach dem Krieg von ehemaligen Volkstumskämpfern ins Leben gerufen. Tonangebend waren dabei ehemalige Nazis, von denen viele wichtige Funktionen in der Landsmannschaft bekleideten.
Er rechne mit einem unruhigen Sudetendeutschen Tag, sagte Johan Slezak, gegenüber dem „Donaukurier“ vom 15. Mai. Anders als das bisher der Fall war, stellt die Landsmannschaft dem Witikobund beim diesjährigen Pfingsttreffen in Augsburg keinen Raum mehr für Propagandazwecke zur Verfügung. Als Grund nannte Posselt mangelnde Abgrenzung von Rechtsextremisten. Der eloquente Schwadronierer hängt auch in diesem Fall sein Mäntelchen nach dem Wind. Vor vier Jahren rühmte er den verstorbenen Vorsitzenden des Witikobundes und ehemaligen Führer der Hitlerjugend im Gau Sudetenland, Walter Stain, als „einen unserer führenden Repräsentanten“. Jetzt spricht er mit Blick auf die Vorsitzenden des Witikobundes von „bewussten Krawallmachern“.
Mich erinnert das an jenen Mann, der die Sudetendeutschen in den 1930er Jahren gegen die tschechische Regierung aufgewiegelt hat, an Konrad Henlein, den Führer der Sudetendeutschen Partei. Der hat auch mal so und mal so geredet. Als Gauleiter der NSDAP bekannte er in der Prager Zeitung „Der Neue Tag“ vom 15. März 1941: „Um uns vor tschechischer Einmischung zu schützen, waren wir gezwungen zu lügen und unsere Ergebenheit gegenüber dem Nationalsozialismus zu leugnen. Lieber hätten wir uns offen zum Nationalsozialismus bekannt. Es ist jedoch eine Frage, ob wir dann imstande gewesen wären, unsere Aufgabe zu erfüllen – die Tschechoslowakei zu vernichten.“ Welche Rolle die Sudetendeutschen dabei als Fünfte Kolonne Hitlers gespielt haben, dazu demnächst mehr.
Foto:
Das Foto zeigt Franz Karmasin, den „Volksgruppenführer“ der Deutschen in der Slowakei. Er wurde nach dem Krieg in Abwesenheit wegen Beteiligung an der Judenverfolgung zum Tode verurteilt.