Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 11
Marion Klingelhöfer und Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Quietschvergnügt sitzt der eineinhalbjährige Musab auf dem Rücken von Elisabeth, der Freundin der Familie und strahlt. Er ist in Deutschland geboren und fühlt sich sichtlich wohl. Seine Mutter Nimco (21) und der Papa Fahmi (23) sind seit gut zwei Jahren in Deutschland.
In ihrer Heimat, Somalia, tobt der Bürgerkrieg. Eine wahre Odyssee liegt hinter den jungen Eltern, vor allem in Osteuropa war es schwierig, weil diese Länder kaum Erfahrung mit Flüchtlingen haben. Mit Hilfe von Verwandten sind sie über Moskau bis in die Ukraine geflohen. Der dortige Aufenthalt war geprägt von ständiger Überwachung der Polizei, menschenunwürdiger Unterkunft und öffentlicher Diskriminierung. In der Slowakei angekommen, stellten sie einen Asylantrag und gaben ihre Fingerabdrücke. Gleich darauf wurden sie für drei Monate in Haft genommen, um schließlich Ende 2012 in einem Lager nahe der ungarischen Grenze unterzukommen.
Mit 16 weiteren Flüchtlingen wurden sie in einem kleinen Raum eingesperrt. Es gab nur eine Dusche und ein WC für alle. Sie durften diesen Raum nicht verlassen. Die tägliche Mahlzeit bestand aus Brot, Tee und Suppe, mehr nicht. Der Morgen begann immer gleich. Die Sicherheitskräfte betraten den Raum, zählten die Personen ab und sperrten danach die Tür wieder zu. „Es war einfach nur schrecklich!“ Nach zwei Monaten bekamen die beiden eine Asylentscheidung mitgeteilt und es wurden nochmals Fingerabdrücke genommen. Ein Jahr lang hatten sie nun ein „Aufenthaltsrecht“ außerhalb des Lagers. Zuletzt lebten sie als Obdachlose im dortigen Bahnhof. Mit Hilfe eines somalischen Landsmannes konnten Nimco und Fahmi nach Schweden reisen. Auch dort wurden ihre Fingerabdrücke genommen und sie blieben drei Monate lang. Danach wollte die dortige Behörde beide wieder in die Slowakei zurückschicken.
Da Fahmi eine Tante in Gelnhausen hat, die seit acht Jahren dort lebt und arbeitet, flüchtete er mit seiner Frau nach Deutschland.
Wieder half ihnen ein Somalier bei der Flucht. Fahmi schaut auf seinen Sohn und seine wieder schwangere Frau. „Ich träume davon, keine Sorgen mehr um meine Familie haben zu müssen. Keine Sorge mehr zu haben, aus Deutschland ausgewiesen zu werden!“
Nimco besucht die Kinzig-Schule in Schlüchtern und absolviert ein Praktikum im Bistro. Sie ist stolz auf ihren Mann, der in der Zeit, in der sie in der Schule ist, auf ihr gemeinsames Kind aufpasst. Nicht selbstverständlich für die Mentalität eines Mannes aus Somalia.
Dreimal in der Woche besuchen sie die Deutschkurse in Steinau, die von sieben Lehrern ehrenamtlich gehalten werden. Dienstags sogar mit Kinderbetreuung! „Es ist sehr schön da und wir lernen viel! Alle sind sehr hilfsbereit und freundlich! Am Anfang konnte ich nur sagen: Ich habe nicht verstanden! Doch nun verstehen wir schon sehr viel. Sprechen, sprechen, sprechen. Lernen, lernen, lernen!“, sagt Fahmi und lacht. Glücklich blicken sie auf ihren Sohn und sind von Herzen froh, dass er in Deutschland aufwachsen kann. In Frieden, ohne Krieg. Keine Angst haben zu müssen, getötet zu werden.
Im Juli ist Nimco mit der Schule fertig und ihr Mann hofft sehr, daß dann er einen Schulplatz bekommt. Die Wartelisten für die Schulform „EIBE“, die einen Hauptschulabschluss ermöglicht, sind lang. Fahmi ist voller Energie und Tatendrang. Möchte noch besser Deutsch lernen und eine Ausbildung machen. „Es ist schwer, in Deutschland als Flüchtling Arbeit zu finden. In seiner Freizeit spielt er Fußball im FV Bellings. Es ist seine einzige Abwechslung und es macht ihm große Freude.
Nimco und Fahmi sind äußerst dankbar für die Unterstützung vieler, insbesondere von Elisabeth und Martin Mascher, die ihnen bei den täglichen Herausforderungen zur Seite stehen.
„Ich suche einen Geschwisterwagen“, sagt Nimco, „auch eine Kinderbadewanne, einen Wickeltisch sowie ein weiteres Kinderbett und einen Hochstuhl bräuchte ich dringend!“ Vom Sozialamt hat sie die Info, für das zweite Kind keine Hilfe mehr zu bekommen. Auch eine größere Wohnung sehnen sich beide herbei. Ab September sind sie zu Viert. Sie wären eine überaus glückliche Familie, wenn die Angst nicht wäre. Die Angst, nicht bleiben zu können.
Wie Deutsche den Geflüchteten helfen...
„Da! Da!“, ruft Musab und zieht Elisabeth Mascher (62) zur Tür. Vor einigen Tagen sind die beiden zum ersten Mal alleine spazieren gegangen und offensichtlich hat der Eineinhalbjährige wieder Lust dazu. „Nachdem ich in Rente gegangen bin, wollte ich Singen und etwas mit Flüchtlingen tun“, erzählt die ehemalige Krankenschwester. Ihr Mann Martin (63) arbeitet schon seit längerer Zeit ehrenamtlich im Kirchenbereich. „Man muss auf die geflüchteten Menschen zugehen und sich kennenlernen“, meint Elisabeth, „wenn man jemanden kennt, kann man nicht gegen ihn sein.“
Die beiden Steinauer helfen Nimco und Fahmi den deutschen Alltag zu bewältigen, gehen mit auf Ämter, fahren gemeinsam zu Ärzten oder unterstützen sie bei der Anmeldung zur Kindertagesstätte. Die Frauen gehen zusammen auf den Spielplatz oder beide Familien treffen sich zum Kaffeetrinken oder Essen. Die kinderlose Elisabeth unterstützt auch Nimco bei den Hausaufgaben und wird jetzt schon „Oma“ genannt. „Das alles war ein Glücksfall für beide Seiten“, sagt Martin, „wir kommen einfach gut miteinander klar!“
Somalia ist ein föderaler Staat im äußersten Osten Afrikas am Horn von Afrika. Der Name ist vom Volk der Somali abgeleitet, das die Bevölkerungsmehrheit bildet. Die Vereinten Nationen gehen von 7,5 Mio. Einwohnern aus. Sechzig Prozent aller Somalier leben teilweise oder vollständig als Nomaden. Bis 2011 existierte aufgrund des noch andauernden Bürgerkrieges keine funktionierende Zentralregierung. Seit einigen Jahren versucht eine gewählte somalische Regierung staatliche Strukturen aufzubauen. Weite Teile des Landes sind jedoch in den Händen lokaler Clans, radikal-islamistischer Gruppen oder Piraten. Die Bevölkerung des Landes gehört zu fast 100 % dem sunnitischen Zweig des Islam an. Schätzungsweise 13 % der Jungen und 7 % der Mädchen besuchen eine Schule. Unterricht findet heute in Abwesenheit eines offiziellen Bildungssystems hauptsächlich in Koranschulen und privaten Einrichtungen statt. (Text: Clas Röhl)
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© Hanswerner Kruse