Neue Erkenntnisse aus dem Bereich der Onkologie helfen Kranken und ihren Ärzten
Iris und Gert Schmidt
Heidelberg (Weltexpresso) - Professor Dr. Dirk Jäger ist der verantwortliche Leiter des gesamten medizinischen Bereichs des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg sowie aller onkologischen Fachabteilungen des Universitätsklinikums. Sein wesentlicher Schwerpunkt ist die Translation von innovativen Behandlungsansätzen in frühen klinischen Studien.
Hierbei spielt die erfolgreiche Strategie, das eigene Immunsystem für die Behandlung von Tumoren einzusetzen, eine ganz bedeutende Rolle.
In der individuellen Krebstherapie erläuterte Prof. Jäger die neuesten Forschungsergebnisse, auf deren Basis bereits einer beachtlichen Anzahl von Krebspatienten heutzutage geholfen werden kann. "Im Moment explodiert die Immuntherapie", so Prof. Jäger, "wenn wir die Daten anschauen, die diese neuen sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die Immun-Modulatoren, PD1, PDL1-Antikörper generieren, dann ist das sehr erfolgreich. Welche Ansprechraten wir bei Tumorentitäten, wie Lungenkrebs sehen, wo wir nicht meinen, dass es eine immunologisch besonders angehbare Erkrankung ist oder jetzt auch beim Blasenkarzinom, beim Magenkarzinom, dann scheint es so zu sein, dass diese immunologischen Therapieansätze statistisch gesehen, viel wirksamer sind als Chemotherapie.“
Er fährt fort: „ Das Dramatische ist nicht so sehr die Ansprechrate, sondern dass es bei einem kleinen Teil der Patienten offenbar gelingt, eine metastasierte Situation langzeit zu kontrollieren. Beim Melanom sehen wir es jetzt so, dass 20% der Patienten mit metastasiertem Melanom offenbar 10 und mehr Jahre überleben. Das sind Daten, die wir nie gehabt haben. Das Melanom galt noch vor 5 Jahren als eigentlich nicht zu behandelte Erkrankung. Jetzt sehen wir Ansprechraten um 80% Langzeitüberleben von metastasierten Patienten. Das ist schon erstaunlich, eben die immer wichtiger werdende Sicht auf den Fortschritt der Immuntherapie".
Neue Erkenntnisse helfen
Mit dem Blickpunkt darauf hat die Entwicklung zu Gunsten der individuellen Behandlung von betroffenen Patienten einen großen Schritt nach vorn getan und ihnen bei der anfänglich oft erschreckenden Diagnose helfen können, wie Prof. Jäger bestätigte: "Ich glaube das Wichtigste ist, dass man versucht, die individuelle Situation möglichst exakt zu diagnostizieren, dass man sehr genau weiß, welcher Subtyp der Erkrankung vorliegt, welches Stadium. Dann braucht der Patient einfach einen erfahrenen Onkologen, der ihm hilft,
a) die Erkrankung zu verstehen - was bedeutet das für mich?
b) zu verstehen, welche Behandlung ist notwendig,
c) zu verstehen, was ist die realistische Prognose, die durch diese Erkrankung bedingt ist
und dann, je nach Patientensituation, muss der Onkologe auch offen dafür sein, andere, ich nenn es mal Berater, wie Psycho-Onkologie, Ernährungsberatung, einfach Spezialisten, die für die individuelle Patientensituation notwendig sind, mit an Bord zu nehmen. Also, wir brauchen einen guten Manager, der führt, den jeder Patient haben sollte".
In Verbindung damit steht die Aussage von Prof. Dr. med. Michael Hallek, Präsident des Deutschen Krebskongresses: "Choosing Wisely" (klug entscheiden) d.h. eine Vermeidung unnötiger Maßnahmen in dem schwierigen Fach der Onkologie zuzustimmen, da die Onkologie lt. Prof. Jäger eher ein empirisches Fach ist. "Wir verstehen ja eigentlich nicht, warum wirkt eine Chemotherapie A bei einer Situation nicht wie bei Chemotherapie B. Das ist reine Empirie. Man hat es probiert, man hat es in Studien getestet, richtig sachlich erklären kann man es nicht. Wir sind in dem Umbruch, wo wir versuchen, die individuelle Erkrankung, die Biologie und die Immunologie besser zu verstehen, um dann basierend auf den genetischen molekular-immunologischen Daten für einen Patienten die wahrscheinlich optimale Therapie aufzustellen. Ob uns das gelingt, wissen wir noch nicht. Das wird im Moment in immer mehr Studien untersucht. Insofern will ich es sehr begrüßen, wenn es uns gelingt, aus einer Situation reiner empirischer Betrachtung in einer Studie mit 1000 Patienten und wenn das Outcome statistisch so gewesen ist, wird der Patient jetzt auch so behandelt, um zu einer Situation zu kommen, wo wir die individuelle Patienteninformation mehr berücksichtigen für Therapie-Entscheidungen."
Weltweit gibt es auf dem Gebiet der molekularen Erkenntnisse hinsichtlich Krebs Neues zu berichten. "Wir sind natürlich heute in der Lage," so Prof. Jäger, "tatsächlich von individuellen Patienten das ganze Krebsgenom zu lesen, alle Fehler im Erbgut, alle Mutationen zu bestimmen und annähernd korrekt die Bedeutung der Tumorbiologie des Tumors vorherzusagen. Was bedeutet das für die Tumorbiologie des Tumors? Warum wächst er, was treibt den Tumor? Bei einzelnen Kranken hilft das auch schon, bessere Therapien einzusetzen. Es gibt Tumorentitäten, die sehr stark von einem fehlregulierten Signalweg getrieben werden. Dann macht es besonders Sinn, diesen Signalweg zu unterbinden. Beispielsweise gibt es vom Melanom schon solche Daten, wie Braf-Inhibitoren, bei bestimmten Leukämieformen ebenfalls Daten mit Tyrosinkinasehemmern, ebenso signifikante Daten bei CML, der Haarzell-Leukämie usw. Das Problem allerdings ist, dass die meisten, zunächst mal soliden fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, extrem komplex sind. Ich spreche da nicht von einer Tumorzelle, sondern von fast chaotisch schon für mich genetisch recht unterschiedlichen Zellen. Da fällt es dann sehr schwer zu sagen, wie dieses chaotische Gemisch auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird".
Die schwierige Frage bezüglich zukünftiger Versorgung von Krebspatienten hinsichtlich der stets wachsenden Zahl der Betroffenen kommentiert Prof. Jäger folgendermaßen: "Ja, die Zahl nimmt zu, aber auch die Art der Versorgung wird sich ändern. Je mehr komplexe molekulare Diagnostik und je mehr Fachwissen im immunologischen Bereich notwendig ist, desto eher muss eine Versorgung in immer spezialisierteren Zentren herum erfolgen. Also, es kann nicht jeder niedergelassene Onkologe in der Lage sein, eine Genomsequensierung zu machen und die Daten zu verstehen. Das müssen Dinge sein, die zumindest mit dem kompetenten Zentrum in Kooperation erfolgen. Insofern wird sich auch unsere Versorgungsstruktur in den nächsten Jahren ändern müssen und dass sich dezentrale onkologische Einheiten doch viel enger mit echten Tumorzentren verbinden, um überhaupt die Diagnostik darstellen und interpretieren zu können und um daraus Therapie-Rückschlüsse zu ziehen".
Nähere Informationen u.a. www.nct-heidelberg.de
Foto: Prof. Dr. Dirk Jäger NCT Heidelberg © Iris Schmidt