Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 13

 

Marion Klingelhöfer, Clas Röhl, Hanswerner Kruse

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Freundlich lächelnd reicht Rashed Hosseini (17) den Kaffee über die Theke. Seit drei Monaten betreiben sein Vater Ahmadshah Hosseini (42), sein Bruder Jams-hid Hosseini (19) und Rashed selbständig die Wiener Feinbäckerei im Kaufhaus Langer in Schlüchtern.



Ahmadshah und seine Ehefrau haben außer den Söhnen noch zwei Töchter, zehn und fünf Jahre alt. Die Freude, mit der sie ihre Kundschaft bedienen, machen deutlich, wie glücklich sie sind, hier heimisch geworden zu sein. „Wenn unser Name genannt wird, dann heißt es: „Ach, die vom Bäcker“, lachen Jamshid und Rashed amüsiert.



Die Odyssee, die sie hinter sich haben, ähnelt der von anderen Flüchtlingen aus Afghanistan. In ihrer Heimat hatten sie in Kandahar, der zweitgrößten Stadt im Süden des Landes, ein gut gehendes Geschäft, bis die Taliban begann, sie zu bedrohen. Ahmadshah ist gelernter Schreiner, hatte ein Geschäft, das Holz und Baumaterial vertrieb, genau wie sein Vater und Großvater schon vor ihm. Finanziell ging es der Familie gut, doch die Taliban ließen sie nicht in Ruhe. So wurden sie gezwungen, keine Geschäfte mehr mit öffentlichen Stellen zu machen. Und sie wurden aufgefordert, für die Taliban gegen die Regierung zu kämpfen. „Was die Taliban sagen, wird gemacht. Wer nicht hört, wird getötet“, sagt Rashed Hosseini und blickt in die Ferne.



Es war klar, dass wir in unserer Heimat keine Zukunft mehr hatten. Wir wussten nicht, wem wir trauen konnten, und wem nicht. Jeder, mit dem wir zu tun hatten, hätte einer von den Taliban sein können. Uns blieb nur die Flucht. 2011 sind wir schließlich über die Türkei nach Deutschland gekommen. Wie so viele Flüchtlinge, mussten wir uns auf Schlepper verlassen, anders ging es nicht. Es war anstrengend, zumal wir mit Kleinkindern unterwegs waren. Nach kurzen Aufenthalten in dem hessischen Aufnahmecamp in Gießen und dem Wohnheim für Asylsuchende des Main-Kinzig-Kreises in Schlüchtern kamen wir nach Sinntal-Sterbfritz, wo uns eine Wohnung zugewiesen wurde. Wir haben von Anfang an alles alleine gemacht. Mein Bruder und ich kamen in die Schule. ohne auch nur ein Wort Deutsch sprechen zu können. Wir haben gelernt, gelernt und gelernt und im EIBE, das Schulprogramm zur Eingliederung in die Berufs- und Arbeitswelt, unseren Hauptschulabschluss geschafft“.



Es ist bewundernswert, wie konsequent und tatkräftig die Familie daran arbeitet, Boden unter die Füße zu bekommen und selbständig ihr neues Leben zu gestalten. Beide Söhne haben sich in der Berufsschule mit Holz befasst und haben so die Familientradition fortgesetzt. Rasheds Hobby ist kreatives Arbeiten mit Holz. Stolz zeigt er uns Fotos, die seine fertige Arbeit eines Pfeilbogens darstellen. „Wenn ich mal Zeit habe, werde ich mich im Herolzer Schützenverein anmelden, um wieder Bogen schießen zu können“, lacht er verschmitzt. „Wir wollen arbeiten, wollen dem deutschen Staat nicht auf der Tasche liegen“, sagt er mit Bestimmtheit.



Die mühsame Flucht nach Deutschland hält er derzeit in einem Buch fest. Es ist ihm wichtig, alles aufzuschreiben. Nichts zu vergessen. Er fragt auch seine Familie, wie sie es sah und seelisch aufgenommen hat. Er schreibt auf Farsi und hofft, einen Dolmetscher zu finden, der sein Buch übersetzen kann. Und danach einen Verlag, der sein Buch verlegt. „In meiner Heimat war es verboten zu schreiben, aber ich muss schreiben, alles genau aufschreiben, was passiert ist, damit es nicht vergessen wird. Ich möchte, dass Deutsche verstehen, warum wir in unserer Heimat nicht weiterleben konnten. Wir sind froh, dass Deutschland uns aufgenommen hat, dass wir hier arbeiten können, einen gesicherten Status haben. Wir wollen arbeiten, Steuern zahlen, ein gutes Leben haben. Wir sind bereit, alles dafür zu tun“.



Voller Stolz erzählen uns die sympathischen Männer, dass die Familie bald in eine Wohnung in der Innenstadt von Schlüchtern umzieht, die sie ganz ohne Hilfe gefunden hat. „Wir haben eine sehr freundliche Vermieterin“, verraten sie uns freudestrahlend.