Nun sag, wie hast du’s mit dem Völkerrecht im Falle Syrien?

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - So tief wie einst Joschka Fischer wird Außenminister Walter Steinmeier hoffentlich nicht sinken, um die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zu begründen. Joschka Fischer berief sich als Außenminister einer rot-grünen Bundesregierung auf Auschwitz, um die deutsche Teilnahme am völkerrechtswidrigen Krieg gegen das ehemalige Jugoslawien zu rechtfertigen.

 

Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz“, sagte er am 7. April 1999, so, als hätten auf dem Balkan Massenmorde in Gaskammern verhindert werden müssen.

 

Dass die Entsendung deutscher Kampfflugzeuge zu Aufklärungs-Einsätzen in Syrien ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates völkerrechtswidrig wäre, ist den Beteiligten bewusst. Nicht von ungefähr war laut „“Spiegel“ vom 19. November in Brüssel zu hören, Frankreich könnte sich um eine solche Resolution bemühen. Das wäre dann die völkerrechtliche Grundlage, die sich die Bundesregierung für einen militärischen Einsatz in Syrien gewünscht habe. Weil daraus nichts geworden ist, werden juristische Ersatzkonstruktionen gesucht. Erwähnt wird unter anderem das Recht Frankreichs auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta, auf dessen Grundlage Deutschland Nothilfe leisten könne.

 

Der Begriff Nothilfe taucht darin allerdings nicht auf. Es heißt dort: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keinesfalls das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Die Feststellung, dass eine Angriffshandlung vorliegt, bleibt gemäß Artikel 39 dem Sicherheitsrat vorbehalten. Nach Artikel 43 sind die UN-Mitgliedsstaaten verpflichtet, dem Sicherheitsrat „auf Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung“ zu stellen.

 

Die Bundesregierung bezieht sich außerdem auf die Sicherheitsrats-Resolution 2249 vom 20. November 2015. Sie fordert die Mitgliedsstaaten auf, unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um terroristische Handlungen zu verhüten. Was damit konkret gemeint ist, sagt die Resolution nicht, wohl aber macht sie deutlich, dass ein Mandat des Sicherheitsrates Voraussetzung ist für die Einleitung von militärischen Zwangsmaßnahmen. Schließlich erinnert die Bundesregierung daran, dass Frankreich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aufgefordert hat, ihrer Beistandspflicht gemäß Artikel 42 Absatz 7 der EU-Verträge nachzukommen. Dort steht: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“

 

Aber waren die Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015, bei denen 130 Menschen getötet und 352 verletzt wurden, ein bewaffneter Angriff in herkömmlichem Sinne? Die spanische Regierung hat die von islamistischen Terroristen in Madrid verübten Anschläge vom 11. März 2004, bei denen 191 Menschen ums Leben kamen und 2051 verletzt wurden, nicht als bewaffneten Angriff auf ihr Hoheitsgebiet eingestuft und die EU-Mitgliedsländer auch nicht um Beistand gebeten. Hat sich die Ausgangslage inzwischen so verändert, dass die alten Kriterien nicht mehr gelten? Das wäre das Eingeständnis, dass der von den USA ausgerufene Krieg gegen den internationalen Terror dessen Erstarken ungeachtet aller Opfer nicht verhindert hat. Ihn fortzusetzen oder gar noch zu erweitern, erscheint demnach sinnlos. Die Ursachen der Konflikte im Nahen Osten würden dadurch nicht beseitigt und eine politische Lösung würde erschwert. Eine Binsenwahrheit, die zwar allen bewusst ist, aber nicht beherzigt wird.

 

Nach dem out-of-area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 ist der Einsatz deutscher Soldaten außerhalb der Bündnisgrenzen nur dann mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz zu vereinbaren, wenn ihm eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nation zugrunde liegt. Artikel 25 des Grundgesetzes bestimmt: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Demnach wäre die Beteiligung am Syrien-Krieg ohne UNO-Mandat grundgesetzwidrig und deshalb unzulässig.

 

Das Urteil aus dem Jahr 1994 ist eines der längsten, wenn nicht überhaupt das längste, das ein deutsches Gericht nach dem zweiten Weltkrieg jemals gefällt hat. Denkwürdige 108 Druckseiten brauchte das Bundesverfassungsgericht, um darzulegen, wie man aus dem Grundgesetz etwas herauslesen kann, das nicht drin steht, nämlich dass deutsche Soldaten unter gewissen Voraussetzungen außerhalb Deutschlands, ja sogar außerhalb des Nato-Gebietes für Zwecke eingesetzt werden dürfen, die nichts mit der Landesverteidigung zu tun haben. Es wäre interessant, zu erfahren, wie viel Bundestagsabgeordnete sich jemals die Mühe gemacht haben, das out-of-area-Urteil auch nur zu lesen. Ehe sie sich jetzt im Fall Syrien entscheiden, sollten sie zumindest die Grundzüge kennen. Die Gelegenheit dazu bieten wir ihnen demnächst an dieser Stelle.