Das Karlsruher Urteil von 1994 zu Auslandseinsätzen

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Als eine von den Unionsparteien und den Freien Demokraten geführte Bundesregierung 1993 beschloss, Soldaten der Bundeswehr für eine Friedensmission der Vereinten Nationen im afrikanischen Somalia bereit zu stellen, klagte die SPD dagegen beim Bundesverfassungsgericht.

 

Ihre Verfassungsbeschwerde richtete sich gleichzeitig gegen die deutsche Beteiligung an der Überwachung eines Embargos gegen Jugoslawien und die Teilnahme an AWACS-Flügen zur Durchsetzung eines Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina.

 

Die Bundesregierung hatte die Rechtmäßigkeit ihres Tuns damals aus dem Grundgesetz-Artikel 24 hergeleitet. Dort heißt es: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.“ Die SPD hielt dem entgegen: „Wollte man Militäraktionen, zu deren Durchführung keine Verpflichtung nach der Satzung der Vereinten Nationen besteht, generell durch den Artikel 24 Abs. 2 GG rechtfertigen, wären die Grenzen des Zulässigen kaum mehr erkennbar.“

 

Lang, lang ist’s her. Mit der verfassungsrechtlichen Prüfung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr bekamen die acht Richter des zweiten Senats eine harte Nuss zu knacken. Vier von ihnen meinten, die Regierung habe sich nichts vorzuwerfen, vier teilten die Bedenken der Kläger. Die Entscheidung kam mit Stimmengleichheit zustande – Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft. Aus Gründen der Staatsräson galt es, die neue militärische Rolle des wiedervereinigten Deutschlands verfassungsrechtlich abzusichern, gleichzeitig aber sollte Befürchtungen wegen einer deutschen Dominanz in einem erweiterten Europa entgegengewirkt werden.

 

Einer der Kernsätze des Urteils vom 12. Juli 1994 lautet: „ Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher Soldaten, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG, der den Bund ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen“. So ein System seien die Vereinten Nationen und die Nato. In Somalia hätten die deutschen Soldaten der Befehlsgewalt eines Kommandeurs der Vereinten Nationen, bei den anderen Einsätzen dem Kommando von Natobehörden unterstanden, die ihrerseits im Rahmen einer Aktion der Vereinten Nationen tätig geworden seien. Die deutsche Beteiligung an friedenssichernden Operationen der Vereinten Nationen sei durch Artikel 24 Abs.2 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich legitimiert. (Näheres bei Conrad Taler, Der braune Faden, Köln 2005, S. 215)

 

Der Beschluss des Bundeskabinetts zur Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Syrien erfüllt keine der vom Bundesverfassungsgericht genannten Voraussetzungen. Dem Einsatz liegt kein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde. Die deutschen Soldaten unterstehen nicht einem Kommandeur der Vereinten Nationen und auch nicht der Kommandogewalt von Natobehörden, sondern einer von den USA geführten Koalition unter dem Codenamen „Inherent Resolve“. Und es handelt sich nicht um die deutsche Beteiligung an einer friedenssichernde Operation der Vereinten Nation. Insofern ist der Beschluss der Bundesregierung zur Teilnahme am Syrienkrieg, vom Bruch des Völkerrechts ganz abgesehen, verfassungsrechtlich nicht legitimiert. Die zu erwartende Zustimmung einer Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ändert daran nichts.