Ein Musiktheater vom Metropolenrand arbeitet an der Subversion der Verhältnisse, Teil 2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - ‚Apocaluther‘ entstand nicht zuletzt aus dem Umstand, dass seit Luthers Wirken 500 Jahre vergangen sind. Luther konnte dem Inhalt der Apokalypse (‚Offenbarung des Johannes‘) nicht gar so viel abgewinnen.
Die Apokalypse war für ihn Vergangenheit, Jesus hatte schon die Zeichen der großen Veränderung gesetzt; dennoch: „In der Welt sieht es nicht wesentlich besser aus als vor 500 Jahren – und die Menschen fürchten immer wieder apokalyptische Zustände“. (Zitat aus der Ankündigung) Lasen wir darüber nicht eben erst in der Zeitung? ‚Von Terror bis Einsamkeit: Eine Studie zeigt, wie sehr die Furcht der Deutschen wächst‘, so titelte die Frankfurter Rundschau (13.07.2016).
Zum Plot der Geschichte: Luther entschließt sich, die 95 Thesen (aus dem Jahr 1517) um 5 hinzukommende zu erweitern, fünf, zu denen er in seiner damaligen Lebenszeit fortzuschreiten noch nicht imstande war. Um diese Thesen in die Welt zu bringen und endlich den alten Adam in die Wüste zu schicken, braucht es die Kinder, denn von diesen weiß der Weise: sie haben den gnadenlos unverstellten, analytischen Blick auf die Welt der Erwachsenen, wissen genau Bescheid, was darin fehlfunktioniert und warum. Denn sie sind ursprüngliche Philosophen, wie Schopenhauer erkannte.
Die Kernthese
„Ich habe mir die Welt von der anderen Seite fast 500 Jahre angesehen. Viele Kriege fanden statt, einer schlimmer noch als der andere. Ganze Völker wurden vernichtet. Ich will das nicht alles aufzählen, was zu sehen war. All diese Diktatoren, Menschenverachter, Familientyrannen! Doch als wäre das noch nicht genug gewesen, haben die Menschen weiter Angst vor der Apokalypse“. Die Mittel und Möglichkeiten der befreiten Welt liegen aber längst bereit (S. 27 des Text-und Liedbuches)
Also steigt Luther in das irdische Tal hinab und über das Fenster hinein in den Theologenhaushalt, trifft dort auf die überraschten Kinder Theodor und Theodizee. Natürlich lebt die Situation von dem Kontrast der unterschiedlichen Sprache zwischen Luther und Kindern. Das Internetzeitalter ist für Luther schon kein Unbekanntes mehr, er sieht es als Mittel, seine Kampagne mit den über die Weltlage und ihre Ungereimtheiten wohlinformierten Kinder einzuleiten und die Menschen zur Überwindung der verwalteten und verunstalteten Welt (und deren Hintermänner) zu führen.
Die persönliche Ein-Gott-Beziehung und die ungeteilte Liebesreligion - niemand wird aufgegeben, fallengelassen oder ist verdammt – sind die konsequenterweise höchsten Begriffe des Stückes. Sie sind nebenbei auch das Alleinstellungsmerkmal unter den Religionen. Für die berechtigterweise Skeptischen kann der Kompromiss lauten: Gemeinsamkeit und Verbundenheit aller Wesen und Dinge, die Fehlbaren und Gefallenen können mitgerettet werden.- Der Präsident der Luther-Gesellschaft, Johannes Schilling, der zur Einführung des Musiktheaterstückes schrieb, betont, dass Luther „die Erkenntnis Gottes und des Menschen immer zusammengedacht“ hat (‚Apocaluther‘ - Zur Einführung). Die Reformation Luthers setzt auf Diesseitigkeit, auf aktive Veränderung menschlicher Verhältnisse. Sie birgt einen die Gesellschaft verändernden Impuls, der das Musikstück vorantreibt.
Bedingungslose Liebe heißt nicht, sich alles gefallen zu lassen
Johannes Schilling: „Luther ermutigt den auf sich selbst bezogenen – er sagt: den in sich selbst verkrümmten – Menschen dazu, sich aus seiner Selbstbezogenheit befreien zu lassen und furchtlos ins Leben zu gehen“. Im Stück tritt Luther ein, um sich mit den Kindern zu verbünden, sein Plan mündet mit Hilfe der Kinder im Standgericht (nach der Pause) über die Mächtigen der Welt, es endet bravourös und argumentativ überwältigend mit Hilfe der bisher fehlenden Thesen in der Gründung der Neuen Erde. Die Kinder schalten sich mit Invektiven dazwischen, stellen die 5 Thesen auch ins Internet - Luther runzelt die Stirn. Oft wird aufgelacht, wenn die Kinder pointiert sprechen.
Der eintretende Engel liest nach den etlichen martialischen Momenten, in denen es hart auf hart geht, schließlich den Handlangern der Machthaber aus Briefen ihrer Eltern vor – denn Eltern sind die unglücklichen Scharniere und Schaltstellen zur Erhaltung der Verhältnisse, das ist die These. „Wir sind erschüttert über das, was auf der Welt passiert […] Doch wir sind nicht mehr da. Wir können nichts mehr verändern. Das könnt jetzt nur noch Ihr selbst“. (S. 35 des Text- und Liedbuchs)
Das Musiktheater besticht, weil es keine verbalen und mentalen Peinlichkeiten aus dem Lager des Religionsbekenntnisses unter die Leute bringt. Die Kinder halten ihren Part bis zum Schluss - immerhin über mehr als zwei Stunden – meisterhaft in Gang, geleitet von Ulrike Streck-Plath. Apocaluther hat das Zeug für die große Öffentlichkeit. Der Güte wegen und weil es funktioniert.
Foto: (c) hm
Info:
‚Apocaluther‘, von Ulrike Streck-Plath (Musik, Text, Leitung), Musiktheater für Kinderchor, Darsteller unterschiedlicher Altersstufen und ein Instrumentalensemble (Geige, Klavier, Cello, Schlagzeug). Aufführungen waren am 9. und 10. Juli 2016 im evangelischen Gemeindezentrum in Dörnigheim.
www.apocaluther.de